Mädchen bei Blutzuckermessung
Insgesamt gibt es weniger Neuerkrankungen. Aber die Zahl junger Menschen, die an Typ-2-Diabetes erkranken, wird seit Jahren größer. Bildrechte: IMAGO / YAY Images

Diabetes Typ 2 Weniger Diabetes-Neuerkrankungen in Deutschland – außer bei den jungen Erwachsenen

20. März 2023, 16:19 Uhr

Die Zahl der Neuerkrankungen mit Typ-2-Diabetes ist innerhalb von sechs Jahren gesunken. Allerdings nicht in allen Altersgruppen gleichmäßig. Bei jungen Erwachsenen ist sie gestiegen.

Es ist die umfangreichste Studie ihrer Art in Deutschland. Daten von 63 Millionen Patientinnen und Patienten flossen ein – und das über sechs Jahre hinweg. Ziel war, das zu bekommen, was es bislang nicht gab: einen genauen und glaubhaften Überblick über die Trends bei der Typ-2-Diabetes-Inzidenz.

Was sind Prävalenz und Inzidenz?

Vorausschicken sollte man noch einmal zwei Begriffserklärungen. Zum einen gibt es die Prävalenz, die die Gesamtzahl von Betroffenen angibt, in diesem Fall also von Typ-2-Diabetes-Kranken. Diese Zahl steigt kontinuierlich in Deutschland. Es gibt also von Jahr zu Jahr immer mehr Kranke. Das weiß man schon lange.

Zu wenig untersucht wurde aber bislang die Inzidenz. Sie gibt an, wie viele neue Erkrankungen es jährlich gibt, und zwar umgerechnet auf die Gesamteinwohnerzahl, zum Beispiel gab es 2019 im Landkreis Nordsachen 9,1 Neuerkrankungen je 1.000 Einwohner. Eine Forschungsgruppe um Thaddäus Tönnies vom Institut für Biometrie und Epidemiologie am Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ) hat diese Inzidenz nun genauestens untersucht und auch nach Altersgruppen und Regionen aufgeschlüsselt. Ihnen war wichtig, "einen möglichst langen Zeitraum zu untersuchen, damit verwertbare Trends entstehen und nicht nur eine Momentaufnahme erfolgt", so Tönnies.

Dazu stellte das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung anonymisierte Daten aller gesetzlich Versicherten in Deutschland (ca. 85% der Gesamtbevölkerung) zur Verfügung, also von 63 Millionen Menschen. Die Identifikation einer Typ-2-Diabetes-Neuerkrankung erfolgte auf Grundlage der entsprechenden ICD-10 Codes, wobei für einen inzidenten Fall mindestens zwei Kodierungen in zwei unterschiedlichen Quartalen vorliegen mussten.

Prävalenz rauf, Inzidenz runter

Herausgekommen ist, dass die Zahl der Neuerkrankungen in Deutschland von 2014 bis 2019 gesunken ist, bei Frauen jährlich um 2,4 Prozent, bei Männern um 1,7 Prozent. Das sei erfreulich, sagt Thaddäus Tönnies, aber die Zahl der Neuerkrankungen pro Jahr sei mit etwa 450.000 trotzdem noch immens.

Es gibt also gegenläufige Trends bei Inzidenz und Prävalenz. Wie passt das zusammen? "Dass die Prävalenz im gleichen Zeitraum steigt, ist nur ein scheinbarer Widerspruch", erklärt Professor Oliver Kuß, Leiter des Instituts für Biometrie und Epidemiologie am DDZ. "Denn die immer besser werdende medizinische Versorgung von Menschen mit Typ-2-Diabetes führt zu einer höheren Lebenserwartung und damit auch zu einem größeren Anteil erkrankter Personen an der Gesamtbevölkerung."

Typ-2-Diabetes ist definitiv keine Krankheit des Alters mehr.

Dr. Thaddäus Tönnies, Deutsches Diabetes-Zentrum

Bedenklich stimmt die Studienautoren allerdings der Fakt, dass in der Altersgruppe der 20- bis 39-Jährigen die Neuerkrankungen anstiegen: bei Männern um 2,9 Prozent, bei Frauen um 2,4 Prozent jährlich. "Typ-2-Diabetes ist definitiv keine Krankheit des Alters mehr", schätzt der Erstautor der Studie ein. "Es erhalten immer häufiger junge Menschen die Diagnose Typ-2-Diabetes."

Regionale Unterschiede

Typ-2-Diabetes ist in Deutschland nicht gleichmäßig verteilt, das zeigt auch die neue Studie. Vor allem in den östlichen Bundesländern und im Saarland ist die Zahl an Neuerkrankungen höher als im Bundesdurchschnitt. Das veranschaulicht die folgende Karte, in der wir die Originaldaten aus der Studie verwenden.

Rechnerische Grundlage ist die durchschnittliche deutsche Inzidenz im Jahr 2014. Gefärbt sind die Landkreise und kreisfreien Städte dann je nachdem, wie sie verglichen mit diesem Durchschnitt dastehen. Wenn ein Landkreis den Faktor 1,0 hat, dann liegt er genau im Schnitt und wird hellgrau dargestellt. Je dunkler die rote Färbung, desto höher liegt der Kreis über dem Durchschnitt, was die Inzidenz angeht.
Wenn Sie die jährliche Inzidenz-Entwicklung und weitere Einzelheiten zu Ihrem eigenen Kreis sehen möchten, dann pausieren Sie oben den Schieberegler und klicken auf den gewünschten (Land-)Kreis.

Diabetiker-"Hochburg", was Neuerkrankungen angeht, ist statistisch gesehen also der Elbe-Elster-Kreis im südlichen Brandenburg. Aber auch dort ging die Inzidenz leicht zurück, wie fast überall in Deutschland, die Karte hat von Jahr zu Jahr immer weniger Rot-Anteile.

Es ist aber auch zu erkennen, dass die Inzidenzrate in den neuen Bundesländern und im Saarland tendenziell über dem Bundesdurchschnitt liegt.
Und in 14 Kreisen läuft die Entwicklung sogar gegen den gesamtdeutschen Trend, die Inzidenz ist dort gestiegen. Negative Spitzenreiter in dieser Hinsicht sind der Main-Kinzig-Kreis, Dessau-Roßlau und Gotha.

Daher können die Forscher auch noch keine Entwarnung geben. "Auch, wenn die vorliegende Arbeit erstmals auf leicht sinkende Neuerkrankungsraten hinweist, muss weiterhin intensiv beobachtet werden, ob sich dieser Trend auch fortsetzt", fordert Professor Michael Roden, Direktor des Deutschen Diabetes-Zentrums. Die Dynamik könne sich rasch wieder umkehren, wie Daten aus Dänemark zeigten. Auch eine gewisse Dunkelziffer Nicht-Diagnostizierter sowie Falsch-Kodierungen dürfe man im Sinne der Limitation der Ergebnisse nicht unberücksichtigt lassen.

Präventive Maßnahmen, gezielte Bewegungsangebote, gesunde Ernährungsgewohnheiten und die gesundheitliche Aufklärung der Bevölkerung müssen aus Sicht der Mediziner gefördert werden, um aus einem ersten Trend eine langfristige Kehrtwende für Deutschland einzuleiten.

(rr)

Podcast Kekulés Gesundheits-Kompass 61 min
Bildrechte: MDR/Stephan Flad

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache Gesund | 17. November 2022 | 21:00 Uhr