Eine Person in einem weißen Kittel gibt in einem Labor mit einem Gerät in der Hand eine Flüssigkeit in Röhrchen in einer Box.
Bildrechte: Med Uni Graz

Multiresistente Keime Übertriebene Hygiene fördert Antibiotikaresistenz

08. April 2019, 15:42 Uhr

Wenn Antibiotika wirkungslos sind, kann ein Keim zur tödlichen Gefahr werden. Weltweit steigt der Weltgesundheitsorganisation zufolge die Zahl der Menschen, die an antibiotikaresistenten Keimen erkranken und sterben. Eine Mitschuld an Antibiotikaresistenzen trägt offenbar etwas, das uns eigentlich vor gefährlichen Keimen schützen soll: Reinigungs- und Hygienemaßnahmen.

Forscher aus Graz haben im Fachmagazin Nature communications Untersuchungsergebnisse veröffentlicht, die auf den ersten Blick widersprüchlich klingen: Viel Hygiene fördert offenbar die Entwicklung von Resistenzen bei Krankheitserregern - also sogenannte multiresistente Keime, gegen die kein Antibiotikum mehr wirkt.

Die Forschungsgruppe um TU Graz-Biologin Gabriele Berg hat untersucht, wie die mikrobielle Kontrolle - oder anders gesagt Reinigungs- und Hygienemaßnahmen - die Entwicklung von solchen Resistenzen beeinflusst. Dazu haben sie mikrobiell stark kontrollierte Räume mit wenig kontrollierten verglichen. Dabei untersuchten sie zum einen das Mikrobiom, also die Gesamtheit aller vorhandenen Mikroorganismen in dem Raum, mit dem sogenannten Resistom. Das sind alle antibiotikaresistenten Keime im untersuchten Raum, so die Forscher.

Je sauberer ein Ort, desto mehr Resistenzen

Das Forschungsteam nahm für den Vergleich Proben an der Intensivstation der Universitätsklinik für Innere Medizin am LKH-Universitätsklinikum Graz und glich diese mit Proben aus mikrobiell wenig und stark kontrollierten Räumen.

Eine Person in einem weißen Kittel gibt in einem Labor mit einem Gerät in der Hand eine Flüssigkeit in Röhrchen in einer Box.
Untersuchungsgegenstand war unter anderem die Intensivstation der Universitätsklinik für Innere Medizin am LKH-Universitätsklinikum Graz Bildrechte: Med Uni Graz

Wenig kontrollierte Räume waren für die Wissenschaftler natürlich schnell zu finden: Hier nahmen sie Proben in öffentlichen und privaten Gebäuden. Die aus den stark kontrollierten Räumen stammen aus Reinräumen der Luft- und Raumfahrtindustrie.

Die Analysen zeigten schließlich, schreiben die Forscher, dass die mikrobielle Vielfalt in sehr sauberen Räumen abnimmt, die Vielfältigkeit der Resistenzen dagegen zunimmt.

In stark mikrobiell kontrollierten Umgebungen der Intensivstation und der industriell genutzten Reinräume finden sich vermehrt Antibiotikaresistenzen, die ein hohes Potential aufweisen, sich mit Krankheitserregern zu verbinden.

Alexander Mahnert, Studienleiter

Der Schluss der Forscher lautet deshalb: Eine stabile mikrobielle Vielfalt müsste der Ausbreitung der multiresistenten Krankenhauskeime entgegenwirken.

Weniger Desinfektion: Mikroorganismen-Vielfalt tut gut

Porträtaufnahme von Gabriele Berg, Leiterin des Instituts für Umweltbiotechnologie der TU Graz
Gabriele Berg, Leiterin des Instituts für Umweltbiotechnologie der TU Graz Bildrechte: Lunghammer – TU Graz

Die Leiterin des federführenden Instituts für Umweltbiotechnologie der TU Graz, Gabriele Berg, weist darauf hin, dass die mikrobielle Kontrolle von Krankheitserregern bereits erfolgreich bei Kulturpflanzen und beim Menschen im Rahmen der Stuhltransplantation angewendet wird. "Unsere Studie ist eine erste Basis dafür, solche Ideen zukünftig auch in Innenräumen zu verfolgen“, so Berg.

Dazu liefern die Österreicher auch gleich ein paar Empfehlungen mit: Demnach könnten regelmäßiges Lüften, Zimmerpflanzen, der gezielte Einsatz von nützlichen Mikroorganismen oder weniger antibakterielle Reinigungsmittel erste Strategien sein, um die mikrobielle Vielfalt zu erhalten oder zu verbessern.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 03. März 2019 | 21:45 Uhr