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DNA-StammbaumAhnenforschung durch Gentest: Es gibt keine Anonymität.

17. Oktober 2024, 13:57 Uhr

Hape Kerkeling hat's gemacht und berichtet über seine Erkundungen im jüngsten Buch. Und wenn man es nicht selbst schon gemacht hat, dann kennt man wahrscheinlich jemanden, die oder der jemanden kennt. Seit Jahren ist es in Mode, mittels Gentest die eigene Abstammung zu erforschen – und vielleicht entfernte Verwandte zu finden. Mittlerweile zum Spartarif. Die Anbieter locken Interessierte aber auf eine zwielichtige Fährte – bis hin zu einem zünftigen Datenschutzdesaster.

  • Anbieter von Ahnenforschung mittels DNA-Test vermitteln den Eindruck, einen Einblick in die persönlichen ethnischen Wurzeln zu verschaffen
  • Das Ganze ist aber häufig vielmehr ein Partygag, der zudem wohlüberlegt sein sollte
  • Datenschützende sind aus verschiedenen Gründen alarmiert und raten von Gentests ab – weil das Ganze nicht nur eine Entscheidung für sich selbst ist

Nur mal kurz verstohlen ins Röhrchen spucken – und ab die Post. Den modernen Blick auf den Stammbaum gibt’s mittlerweile zum Preis eines Abendessens beim Lieblingsitaliener oder was man sich eben sonst so für 39 Euro gönnt. Serviert wird ein buntes Abstammungsmenü, das illustrieren soll, wie viel Prozent vermeintlich norwegisches oder polnisches oder halt eben italienisches Blut in einem steckt. Und welche oder welcher Deutsche wäre nicht gern ein kleines bisschen italienischer Abstammung, wenn sie oder er beim nächsten Kaffeehausbesuch das Wissen über die richtige Pluralbildung von "Espresso" zum Besten gibt?

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Nun ist das mit der Abstammung leider völliger Unsinn, sagt Martin Moder, Molekularbiologe aus Wien und Mitglied der Wissenschaftskabarett-Gruppe Sciences Busters: "Man kann ja jetzt nicht in der DNA direkt nachschauen, wo die in der Vergangenheit spazierengegangen ist, sondern man kann immer nur schauen, in welchen Regionen der Welt bestimmte Genvarianten wie häufig vorkommen." Und zwar auf Basis der Gendaten und geografischen Informationen anderer Menschen – ob entfernt verwandt oder nicht.

Das könnte ein Ergebnis sein. Sieht zumindest ganz cool aus. Bildrechte: MDR WISSEN

Elf Prozent Italienerin kann bedeuten, dass irgendwann in der Verwandtschaftsgeschichte mal jemand eine Rolle gespielt hat, der auf der Apenninen-Halbinsel gelebt hat. Muss es aber nicht. Und über unsere kulturelle Prägung sagt es schon mal gar nichts aus. Ohnehin ist unsere Spezies im Erbgut nahezu identisch. Angesichts dessen werden bei derartigen Tests auch nur die Bereiche analysiert, in denen wir uns unterscheiden, so Moder. "Und die machen aber nur in etwa 0,1 Prozent unserer gesamten Erbinformation aus."

Menschen unterscheiden sich nur in einem winzigen Teil Ihres Erbguts

Allerdings lässt sich aus dem Rest so viel herauslesen, dass sich daraus eine ganze Branche entwickelt hat. Dabei ist es wie mit allen Dingen im Internet, die dort unentgeltlich oder verdächtig günstig angeboten werden: Geld ist nicht die entscheidende Währung und der Gentest nicht das eigentliche Produkt. Sondern in dem Fall die intimsten Daten, die man als Mensch so besitzt. Für Datenschützerinnen und -schützer ist DNA-Ahnenforschung deshalb ein rotes Tuch. Zum Beispiel für Rainer Mühlhoff, Professor für Ethik der künstlichen Intelligenz an der Uni Osnabrück: "Man sollte sich zunächst mal dessen bewusst sein, dass man im Fall von DNA-Daten eine Entscheidung für seinen gesamten Verwandtenkreis trifft, und zwar für einen sehr weiten Verwandtenkreis."

Eine Entscheidung für seinen gesamten Verwandtenkreis.

Prof. Dr. Rainer Mühlhoff | Uni Osnabrück

Trotz Datenschutzmaßnahmen – in der Europäischen Union sind das wohlweislich nicht die lapidarsten – gebe es bei der Erbgutanalyse keine Anonymität, auch wenn die versprochen wird. Bereits vor über zehn Jahren konnten Forschende zeigen, dass es anhand einer DNA möglich ist, den Nachnamen einer Person zu ermitteln. Das Problem liege aber vielmehr im großen Gesamtpaket, sagt Mühlhoff: "Wenn viele Menschen in einer Gesellschaft ihre DNA preisgeben, dann kann man Schätzungen machen, dass Menschen in bestimmten Regionen oder in bestimmten Bevölkerungsgruppen oder mit bestimmten Lebensstilen oder Lebensgewohnheiten ein höheres Risiko an bestimmten Krankheiten zum Beispiel haben." Das ganze nennt sich prädiktive Analytik, "also die datenschutzmäßig eigentlich pikanten Daten, die man über Sie schätzt und die dann einen Nachteil für Sie bilden könnten".

DNA-Daten zu Forschungszwecken bedeutet nicht unbedingt Wissenschaft

37,2 Prozent Skandinavier sagt ungefähr nichts aus. Bildrechte: MDR WISSEN

Gerade das Interesse von Versicherungsunternehmen und Arbeitgebern an solchen Daten sei sehr groß. Wenn Nutzende gefragt werden, ob sie einer Verwendung ihrer Daten zu Forschungszwecken zustimmen, gilt das auch für Unternehmen, die Risikobewertungen für Versicherungen oder Arbeitgeber erstellen. Es drohe eine Diskriminierung durch DNA, sagt Mühlhoff. Rund achtzig Prozent der Nutzenden würden einer derartigen Verwendung zustimmen, sagt einer der großen Anbieter. Bei der Konkurrenz vermutet Mühlhoff eine ähnliche Quote. Und selbst wenn die Daten im Moment geschützt sind, muss das nicht für immer so bleiben: Gegen Datenlecks, totalitäre Regime oder schlichtweg gerichtliche Beschlüsse in der Strafverfolgung – vor allem in den USA ein Thema – gibt es keine Sicherheit.

Und dann sind da noch die Auswertungsverfahren, die durch künstliche Intelligenz stetig besser werden. Mühlhoff sieht da eigentlich nur einen sinnvollen Schluss: "Diese technische Entwicklung der KI ist so ergebnisoffen, dass wir heute eigentlich nicht vom aktuellen Stand der Technik ausgehen können, sondern immer die Fantasie schweifen lassen müssen." Gar nicht mal so viel Fantasie braucht es für eine Verknüpfung der DNA mit Social Media-Daten oder Tracking-Informationen anderer unentgeltlicher Internetdienste. Das Diskriminierungspotenzial scheint unerschöpflich: "Das heißt, in welche Risikogruppen man uns einsortieren kann, um uns unterschiedlich zu behandeln, um uns unterschiedliche Konditionen und Preise für Versicherungen anzubieten, um uns bei Job-Auswahlprozessen unterschiedlich zu behandeln und so weiter."

DNA-Ahnenforschung: Aktuelle Datenschutzregelungen nicht ausreichend

Die derzeitigen Datenschutzregelungen seien dahingehend nicht ausreichend, weil das Konzept der Entscheidungshoheit durch DNA-Daten ausgehebelt werde, sagt Rainer Mühlhoff. Stichwort: Verwandtschaft, die erst gar nicht gefragt wurde. Und auch hier gibt es keine Sicherheit, dass die aktuellen Maßnahmen uns auch in Zukunft schützen.

Ob nun witziger Partygag oder nicht: Sicher gibt es Fälle, mit denen sich per DNA-Abgleich Verwandtschaft in Übersee oder sonst wo hat auftreiben lassen. Nun, auch dieses Szenario sollte wohlüberlegt sein, weil man manche Dinge vielleicht auch gar nicht wissen möchte. Wer nun aber wirklich an seiner eigenen Herkunft interessiert ist – die Antwort gibt es hier ganz ohne Test, wirklich kostenlos und sie darf gern ausgedruckt und eingerahmt werden:

100 Prozent Abstammung vom afrikanischen Kontinent.

So wie halt alle Menschen.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 12. Oktober 2024 | 00:00 Uhr

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