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WaldumbauWas wir aus Waldbränden lernen können

09. September 2024, 16:39 Uhr

Käfer, Stürme, Brände: 90 Prozent des früheren Fichtenbestandes im Nationalpark Harz sind inzwischen abgestorben. Was dramatisch klingt, ist eine Chance. Denn das Ende der Monokulturen sorgt für mehr Brandschutz in unseren Wäldern.

Jedes Mal, wenn der Wald brennt, beginnen die Diskussionen. Dann geht es um Ursachen und Folgen, um Glutnester, Bodenerosion, Totholz aber auch den Umbau des Waldes. Wie viel Wirtschaft muss sein und wie viel Natur wollen wir zulassen bzw. unterstützen. Beim Totholz etwa schlägt der Forst- und Brandexperte Prof. Michael Müller von der TU Dresden einen Kompromiss vor zwischen dem Holz, das entfernt werden sollte, weil es als Brennmaterial dienen kann und jenem, das zu einem gesunden Wald dazu gehört und daher liegen bleiben sollte: "Ein Ausdünnen des Brennmaterials empfiehlt sich dort, wo man den Brand stoppen will – also an Wegen, mitten im Wald ist es eher nicht sinnvoll."

An Waldbränden ist fast immer der Mensch schuld

Wenn der Wald anfängt zu brennen, ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Mensch schuld. Auch wenn die Statistik zum Beispiel für das Jahr 2023 bei 77 Prozent der verbrannten Waldfläche "Ursache ungeklärt" angibt. Aber für Forstwissenschaftler Müller steht fest: von selbst entzündet sich der Wald eigentlich nicht. "Man braucht auch beim trockensten Material im Wald mindestens 300 Grad Celsius, um eine Flamme zu entzünden. Das ist schon ziemlich viel." Auf natürliche Art könne das eigentlich nur durch Blitzeinschläge passieren. Für alles andere sei der Mensch verantwortlich – ob bewusst oder unbewusst. Auslöser für Waldbrände können beispielsweise Zigaretten sein, Streichhölzer oder Lagerfeuer, aber auch Katalysatoren von Autos oder schnelldrehende Maschinen. Die Hauptursache für Waldbrände ist allerdings Brandstiftung.

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"Mehr als die Hälfte (141) der Brände, die durch Fahrlässigkeit entstanden, sind zum Beispiel auf die Allgemeinheit, unter die unter anderem Camper, Besucher im Wald oder Kinder fallen, zurückzuführen", heißt es in der Waldbrandstatistik für 2023.

Oft ist Munition im Spiel

Durch den Zweiten Weltkrieg und in Ostdeutschland große Übungsgelände der Sowjetarmee sind viele Flächen mit Munition belastet. Forscher der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde untersuchen das in ihrem bis 2025 laufenden Projekt Pyrophob. Nicht nur im Zusammenhang mit der Brandursache, sondern auch bei der Brandbekämpfung gehe von Munitionsbelastungen eine erhebliche Gefahr aus, heißt es im 2022 veröffentlichten Zwischenbericht des Projektes. Pyrophob, der Name bedeutet feuerabweisend, soll Wege zu widerstandsfähigen Wäldern aufzeigen. Wie sieht ein Wald aus, dem Hitze, Trockenheit und Brände wenig anhaben können? Wie entsteht ein Waldökosystem, das unter den Bedingungen des Klimawandels widerstandsfähig bleibt?

Testgebiet Treuenbrietzen

Das Testgebiet ist ein 28 Hektar großes Areal, das nach dem großen Waldbrand von Treuenbrietzen 2018 sich selbst überlassen wurde. Leider wurde das Gebiet vier Jahre später wieder von einem Brand betroffen, noch bevor sich ein resistenter Wald bilden konnte. In der Zwischenzeit hatte sich jedoch bereits gezeigt, dass der Wald sich selbst heilen kann. "Also das fing erst so stellenweise an, dass sich Moose und Gräser angesiedelt haben – aber ziemlich schnell sind auch die ersten Baumarten dort aufgetreten", so Jeanette Blumröder von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, die Projektkoordinatorin von Pyrophob.

Unter Totholz am Boden hatte sich bereits der Effekt eines abnehmenden Austrocknungspotenzials gezeigt, schrieben die Forscher. "Weniger gut brennbare Laubbäume begannen sich zu entwickeln. Damit wurde prinzipiell die Entwicklung eines später weniger brennbaren Waldes eingeleitet." Das Ziel ist klar: Weg von Monokulturen. Ohne, diese gäbe es kein vergleichbares Waldbrandrisiko, heißt es in dem Bericht, der zwar für Brandenburg angelegt ist, sich aber auch in vielen Punkten auf andere Bundesländer mit ähnlichen Strukturen und Monokulturen übertragen lässt.

Waldumbau im Harz: Monokulturen gehören verboten

Dieser Umbau findet auch im Harz statt. Seit 2008 wurden laut niedersächsischem Umweltministerium rund sieben Millionen Laubbäume im Nationalpark Harz gepflanzt – überwiegend Buchen, aber auch andere Arten wie zum Beispiel Bergahorn oder Erlen. Auch die Landesregierung Sachsen-Anhalts sieht den klimastabilen Mischwald als eine der wichtigsten Maßnahmen der Strategie für den Wald der Zukunft. Eine Entwicklung, die die Forscher begrüßen dürften. Die Dominanz der Nadelbaumreinbestände bekämpfen ist beim Pyrophob-Projekt die wichtigste Maßnahme zur Brandvorsorge.

Weitere Forderungen sind:

  • Reine Nadelbaumwälder sollten gesetzlich verboten werden, das sollte auch für nichtheimische Arten wie etwa Douglasien oder Japanische Lärchen gelten. Eine Forderung, die auch die große Mehrheit der mdrfragt-Community unterstützt.
  • Bestehende Monokulturen sollten stärker bejagt werden.
  • Totholz muss im Wald verbleiben, außer auf munitionsbelasteten Flächen.
  • Siedlungen in Waldnähe bzw. direkt im Wald sollten einer neuen Risikobewertung unterzogen werden. Hier würden Gefahren drohen, die wir bisher aus Regionen mit Mittelmeerklima kennen.
  • Kahlflächen, Zerschneidung und Belastung von Wälder mit Infrastruktur erhöht laut den Forschern ebenfalls das Brandrisiko. Dies gilt auch für Windkraftanlagen und deren Zuwegung im Wald. Erneuerbare Energien, so die Forscher, dürfen nicht zur stärkeren Belastung von Ökosystemen beitragen.

Es bleibt ein Balance-Akt

Dass ein derartiger Waldumbau ein wirtschaftlicher Balance-Akt ist, ist den Forschern klar. Diese verschiedenen Interessen müssen berücksichtigt werden, sagt Jeanette Blumröder. Und doch müsse angesichts der Klimaveränderungen ein Umdenken stattfinden: "Wir müssen dazu beitragen, dass unsere Ökosysteme sich entwickeln können und langfristig stabiler sind."

Links/Studien

Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung: Brandstatistik 2023
Das Forschungsprojekt Pyrophob
Sachsen-Anhalt: Waldschutz und forstwirtschaftliche Nachhaltigkeit 2.0
Umweltministerium Niedersachsen: Der Harz im Wandel

gp

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 09. September 2024 | 14:17 Uhr

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