E-MobilitätSkepsis beim E-Auto: Woher kommt die Reichweitenangst?
Der deutsche Autofahrer fährt im Schnitt nur knapp 40 Kilometer pro Tag. Trotzdem sind viele Menschen skeptisch, die Reichweite von Elektroautos könne nicht ausreichen. Woher kommt diese Reichweitenangst? Ingenieurpsychologe Thomas Franke forscht darüber, wie Autofahrer Reichweite erleben. Im Interview mit MDR WISSEN erklärt er, wie irrational unser Verhältnis und unsere Erwartungen zum Auto sind.
Herr Franke, nichts beschäftigt E-Autofahrer mehr als die Reichweite. Dabei fahren Deutsche im Schnitt unter 40 Kilometer pro Tag. Was ist da los?
Unser Verhältnis zum Auto ist nicht unbedingt rational. Erstens kaufen sich viele Menschen ihre Autos nicht mit dem Fokus auf dem alltäglichen Gebrauch. Die meisten preisen immer den besonderen Fall, den Urlaub, den Möbeltransport oder andere Aspekte ihrer Nutzung mit in die Überlegungen des Autokaufs ein. Sie wünschen sich Allrounder-Fahrzeuge, die alles können – eben auch gefühlt unendlich lange fahren, ohne dass sie nachdenken müssen.
Doch viele E-Autos haben heute eine Reichweite von weit über 400 Kilometer?
Ja, das haben viele. Doch oft fehlt hier, zweitens, die Erfahrung. Ein Fahrzeug zu kaufen, ist eine große Investitionsentscheidung. Oft bleibt man dabei, was man kennt und begibt sich nicht auf ungewisses Terrain – gerade bei solchen verhältnismäßig hohen Summen beim Kaufpreis.
Die Ladesäuleninfrastruktur wurde maßgeblich ausgebaut. Heute kann man doch fast an jedem Supermarkt das Auto aufladen?
Die Struktur ist viel besser geworden. Die Reichweitenangst hat in der Vergangenheit auch schon stark abgenommen. Die Frage ist jedoch, ob wir überhaupt über Angst sprechen können. Meine Forschung hat ergeben, dass viele Menschen eher Reichweitenstress als Reichweitenangst empfinden und das auch nur sehr selten. Dieser Stress speist sich zumeist aus Unsicherheit.
Ist das die Unsicherheit vor dem Neuen, dem Unbekannten?
Die beste Maßnahme ist hier einfach, Erfahrungen zu sammeln. Sprechen Menschen mit Bekannten und Freunden, merken sie sehr schnell, dass viele Vorbehalte gegen das E-Auto unbegründet sind. Natürlich muss man im E-Auto neue Routinen erlernen. Doch das ist mittlerweile sehr einfach. Das E-Auto plant die komplette Route oft inklusive der Ladesäulen. Das Tanken muss einfach nur bei der Planung schon mitgedacht werden.
Ist es diese Planung, die der Idee der Freiheit im eigenen Auto widerspricht? Einfach losfahren, ohne nachzudenken. Musik an, Fenster auf – und hinaus in die Freiheit?
Das Spannende ist ja, dass die Menschen beim Autofahren sowieso Pausen machen. Wieso kann man dabei nicht einfach sein Auto laden? Schön in der Sonne einen Espresso trinken und nebenbei das Auto laden? Einkaufen und nebenbei Strom zapfen? Telefonieren und kurz ein bisschen Strom auf die Batterie? Es gibt immer noch Vorbehalte, dass das Laden der E-Fahrzeuge sehr lange dauern kann. Doch auch das ist schon fast Geschichte. Die Batterien moderner E-Autos lassen sich heute oft binnen 20 Minuten wieder auf 80 Prozent laden.
Mehr Pausen mit dem E-Auto: Das könnte ja schon fast gesundheitsfördernd sein?
Ich persönlich kann mir gar nicht mehr vorstellen, zurückzugehen. Ich kann mir auch nicht mehr vorstellen, 600 Kilometer durchzufahren. E-Autos fördern gesunde Pausen. Wenn das dazu führt, aus anderen Perspektiven über Zeit nachzudenken, wäre das natürlich toll. Ständig versuchen wir, auf die Minute optimiert, Zeit herauszuholen. Andererseits trödeln wir an vielen Stellen herum. Der Umgang mit Zeit ist nicht unbedingt rational. Macht es wirklich Sinn, die ganze Zeit zu hetzen, nur um 20 Minuten zu sparen? Man sollte E-Autos jedoch nicht nur aus einem Mangel heraus betrachten. Wichtig wäre ja auch die Frage: Was gewinnt man eigentlich?
Und, was gewinnt man?
E-Autos sind leise, nichts ruckelt, nichts brummt, nichts stinkt. Sie beschleunigen viel schneller. Sie liefern unheimlich viel Komfort. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass es anders ist. Der Gesamtstress, den man durch Mobilität empfindet, ist eher reduziert als erhöht.
Sie sprachen aber gerade von Reichweitenstress!
In meiner Dissertation habe ich mir angeschaut, wie sich das Erleben von Reichweite über die Zeit entwickelt hat. Dabei habe ich bemerkt, dass sich schon in den ersten zwei, drei Monaten Sicherheit im Umgang mit dem E-Auto herausbildet. Mit jeder Erfahrung empfinden die Autofahrerinnen und Autofahrer also immer weniger Reichweitenstress. Über Reichweiten reden wir ja vor allem bei Langstrecken. Die Menschen entwickeln ziemlich schnell Strategien; schon nach kurzer Zeit empfinden sie keinen Reichweitenstress mehr. Doch auch hier unterscheiden sich die Menschen, wie auch im Fahrverhalten. Es gibt Fahrerinnen und Fahrer von Verbrennern, die mit dem letzten Tropfen zur Tankstelle fahren – oder liegen bleiben. Und es gibt E-Auto-Fahrerinnen und -Fahrer, die ihre Batterie eher früher oder auch später aufladen.
Die Menschen entwickeln ziemlich schnell Strategien, schon nach kurzer Zeit empfinden sie keinen Reichweitenstress mehr.
Thomas Franke | Professor für Ingenieurpsychologie und Kognitive Ergonomie
Wie erleben Autofahrer die Reichweite in anderen Ländern Europas?
Insgesamt haben wir eine internationale Studie durchgeführt. Meine Forschungsarbeit bezog sich jedoch ausschließlich auf Deutschland. Doch von meinen Kollegen weiß ich: die Ergebnisse sind überall relativ ähnlich. Ich würde nicht sagen, dass es hier so große Kulturunterschiede gibt, wie die Menschen damit umgehen.
Es gibt also keine "German Reichweitenangst"?
Wir müssen zwei Perspektiven unterscheiden: Erstens, wie E-Mobilität in der Öffentlichkeit diskutiert wird und zweitens, wie jeder Einzelne das Fahren mit dem E-Auto erlebt. Wir in Deutschland haben eine spezifische Diskussion, weil E-Autos hier nicht nur die Nutzerinnen und Nutzer tangieren, sondern eine ganze Schlüsselindustrie betreffen. Zum Beispiel in Norwegen und auch in den Niederlanden haben es sich die Menschen deutlich leichter gemacht, auf E-Autos umzusatteln.
Weil diese Länder keine Autoindustrie haben, konnte man sich hier also leichter einlassen?
In sehr E-Mobilität-affinen Ländern schlägt sich die industriepolitische Perspektive in der gesellschaftlichen Meinungsbildung nicht so krass nieder. Besonders Norwegen ist ein sehr großes Land, die Leute leben hier weit verteilt. Trotzdem ist E-Mobilität hier auf dem Vormarsch.
Warum ist es so schwierig in Deutschland mit den E-Autos? Knabbern hier alle an der schmerzvollen Trennung von den Verbrennern?
Das ist nicht ganz mein Fachbereich. Aber, was ich sicher sagen kann: Ein Veränderungsprozess, der sich auf vielen Ebenen abspielt, braucht einfach mehr Zeit. Er braucht Zeit, um sich strategisch neu aufzustellen. Und natürlich, wie eben schon gesagt, gibt es bei der Akzeptanz in Deutschland Verzögerungen durch die öffentliche Meinungsbildung vor dem Hintergrund der Verbrenner.
Niemand braucht also heute mehr Reichweitenangst zu haben?
Nein. Die meisten aktuellen E-Fahrzeuge sind auch für die Langstrecke passend. Interessant ist, dass die meisten auf die Reichweite blicken. Eigentlich ist die Ladezeit viel, viel spannender. Sowohl Reichweite als Ladeleistung steigen kontinuierlich. Dass Leute sich große Autos kaufen, nur, weil sie zwei Mal im Jahr viel zu transportieren haben, zeigt, wie irrational ein Autokauf sein kann. Viel sinnvoller wäre ein gut ausgebautes Carsharing, aktuell ist das jedoch noch nicht überall gut verbreitet.
Sie raten Ungeduldigen, lieber auf die Ladegeschwindigkeit zu achten?
Auf alle Fälle. Fahre ich öfters längere Strecken, sollte ich darauf achten, dass mein Auto eine hohe Ladegeschwindigkeit hat. Gerade bei sehr günstigen E-Autos mangelt es oft noch daran. Natürlich ist es auch relevant, wie viel das Auto verbraucht. Je geringer der Verbrauch, desto länger reicht die Batterie. Hier lohnt es sich auch, sich für eher windschnittige Fahrzeuge zu entscheiden.
Wie lange dauert das noch mit Reichweitenstress?
Die Entwicklung der E-Mobilität ist ein kontinuierlicher Prozess. Es gibt probierfreudige Menschen, die gern experimentieren und sehr schnell auf E-Autos gesetzt haben. Sie informieren Freunde und Bekannte, Familienmitglieder und Arbeitskollegen. Irgendwann haben die Skeptiker genügend positive Geschichten gehört und trauen sich auch. Es ist immer so: Die anfängliche Skepsis nimmt Stück für Stück ab. Andererseits entwickeln sich die E-Fahrzeuge auch weiter. Mit der Zeit holt man also immer mehr Menschen ab.
Langsamer, weniger hetzen, Zeit für einen Kaffee und gute Laune – ist dieser Lebensstil nicht für uns alle gut?
Sicherlich. Es ist etwas ganz Basales, dass wir Menschen gut dran sind, immer mal eine Pause einzulegen. Von daher ist das sicherlich ein guter Ansatz,
Sie blicken also positiv in die Zukunft der E-Mobilität?
Ja. Natürlich. Ich sitze hier in Lübeck, wir haben hier richtig viel Windenergie. Natürlich ist es viel effizienter, den Strom direkt vom Feld zu nehmen, als ihn zum Speichern in Wasserstoff umzuwandeln. Die Verluste spare ich mir. Auch die Haltbarkeit von Batterien hat sich immens entwickelt. Während es vor vier Jahren noch die Diskussion gab, Batterien auszutauschen, halten viele Batterien heute schon länger als ein Auto. Wie gut E-Autos angenommen werden, zeigt das Beispiel Norwegen. Das geht nicht wieder zurück. E-Mobilität ist gekommen, um zu bleiben.
Links/Studien
- Professor für Ingenieurpsychologie und Kognitive Ergonomie, Institut für Multimediale und Interaktive Systeme.
- "Nachhaltige Mobilität mit begrenzten Ressourcen: Erleben und Verhalten im Umgang mit der Reichweite von Elektrofahrzeugen" im Volltext: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:ch1-qucosa-133509
- PKW mit Diesel-Motor fuhren im Jahr 2023 pro Tag im Schnitt 47 Kilometer, PKW mit Benziner nur 26 Kilometer, hat das Kraftfahrtbundesamt ermittelt: Inländerfahrleistung 2023
tomi
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 04. Mai 2024 | 16:10 Uhr
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