Treibhausgas-Emissionen im Meer Unkontrolliert: Nordsee-Gaslecks setzen tausende Tonnen Methan frei

05. August 2020, 08:59 Uhr

Am Boden der Nordsee blubbert es, wo eigentlich Stille sein sollte: Rund um Bohrlöcher, aus denen in der Nordsee Erdöl oder Erdgas gefördert wurde, tritt Methan ins Wasser aus. Schuld sind Lecks in sogenannten Gastaschen, die relativ flach unter dem Meeresboden liegen und gar nicht Ziel der Bohrungen waren. Doch während die Bohrlöcher verschlossen wurden, tritt das Gas an den Lecks weiter aus, haben Forscherinnen und Forscher des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel herausgefunden.

Auf den ersten Blick sehen sie ganz unschuldig aus: Blasenströme, die aus dem Meeresboden kommen. Es sind Gasbläschen - Methanbläschen, um genau zu sein. Sie strömen im Umfeld früherer Bohrlöcher aus dem Boden. Das Team um den Biogeochemiker Matthias Haeckel vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel hat sie bereits vor acht Jahren zufällig bei Fahrten mit Forschungsschiffen entdeckt. "Wir hatten damals mit einem Tauchroboter direkt Gasproben genommen und festgestellt, dass es eben nicht das Reservoir-Gas ist, sondern sogenanntes biogenes Gas", erklärt Geomar-Forscher Haeckel. Dieses werde bei unter 80 Grad Celsius von Mikroorganismen aus organischem Material gebildet. "Damit war klar, dass es nicht unten aus dem Öl- und Gas-Reservoir kommt, in das gebohrt wurde, sondern aus flacheren Horizonten."

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Bohrlöcher in der Nordsee. Die schwarzen Punkte sind die deutschen. Die meisten (blau) stammen von britischen Bohrungen. Bildrechte: GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Die Gastaschen in 1.000 Metern Tiefe

Dem Forscher zufolge liegen in bis zu 1.000 Metern Tiefe sogenannte Gastaschen. Sie seien nie das eigentliche Ziel der Bohrungen gewesen, erläutert Haeckel. Doch während die Bohrer sich durch das Gestein gearbeitet haben, hat das für Bewegung im umliegenden Meeresboden geführt. Dadurch seien wohl Risse und Löcher in den Gesteinsschichten entstanden, die die Gastaschen in geringer Tiefe zuvor abgedichtet hatten. Bei insgesamt 15.000 Bohrlöchern in der Nordsee könnten sie erhebliche Mengen des Treibhausgases Methan freisetzen. Ein Teil davon werde aber im Meer mikrobiell abgebaut, erklärt Haeckel. Deswegen trete nur ein Teil des Methans in die Atmosphäre.

Schaubild Methan
Methan gelangt über viele Wege in die Athmosphäre. Es ist nach Kohlendioxid das zweitwichtigste vom Menschen verursachte Treibhausgas und hat sogar eine um ein Vielfaches höhere Treibhauswirkung. Bildrechte: University of Rochester illustration / Michael Osadciw

Prognose: Ein Drittel des ausströmenden Methans gelangt in die Atmosphäre

"Bei den Wassertiefen der Nordsee zwischen 20 und 100 Metern wird ungefähr ein Drittel des austretenden Methan an den Bohrlöchern in die Atmosphäre gelangen", erklärt der Meeresforscher die Hochrechnungen. Für die Untersuchungen seien die Wissenschaftler gezielt mit einem Forschungsschiff zu den Bohrlöchern gefahren, die einst in der Nähe von oder sogar durch Gastaschen hindurch gebohrt wurden. Mithilfe sogenannter hydroakustischer Wellen - auch Unterwasserschall genannt - haben sie sich auf die Suche nach den Gaslecks gemacht. "Auf etwa fünf Wochen Forschungsfahrt haben wir uns insgesamt 43 Bohrlöcher angesehen", erklärt Haeckel. "Bei 28 von diesen 43 Löchern haben wir eine Gasfahne gesehen."

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Kleine Blasenströme dringen durch den Meeresboden in das Wasser. Die Forscher entdeckten: Es handelt sich um Methan, das unkontrolliert aus Gaslecks austritt. Bildrechte: GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Sachsen-Anhalt in der Nordsee

Zusätzlich werteten sie seismische Daten zur Beschaffenheit des Untergrunds in einem Teil der Nordsee aus. Das untersuchte Gebiet mit fast 1.800 Bohrlöchern auf 20.000 Quadratkilometern sei etwa so groß wie Sachsen-Anhalt. Das Ergebnis: Je weiter weg von den Gastaschen, desto weniger Lecks.

Bis zu 30.000 Tonnen Methan pro Jahr

Das Forschungsteam hat errechnet, dass die Gas-Lecks der Nordsee zwischen acht und 30-tausend Tonnen Methan pro Jahr freisetzen. Besonders problematisch: Im Gegensatz zu Kohlendioxid gebe es weltweit noch starke Unsicherheiten darüber, wie viel Methan maximal emittiert werden darf, um die Klimaziele einzuhalten, sagt Haeckel.

Dies ist eine zusätzliche Komponente im fossilen Energiesektor, die bisher auch nicht betrachtet ist. Wenn man dies global oder europaweit hochrechnet, dann könnte es sein, dass diese Art Leckage tatsächlich zu zehn Prozent höheren oder zusätzlichen Methan-Emissionen führt.

Matthias Haeckel Forscher am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

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Blasenströme zeigen, wie das Methan-Gas austritt und sich verteilt. Bildrechte: GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Nicht nur ein Unterwasserproblem

Das Problem spiele sich keinesfalls nur unter Wasser ab, erklärt Haeckel. Er gehe davon aus, dass das an Land in den meisten Gebieten ähnlich sei, weil die Geologie vergleichbar ist. Bei bundesweit 23.000 Bohrlöchern dürfte es also ebenfalls solche mit Gaslecks geben. Doch die sind eben nicht ganz so einfach zu finden wie die blubbernden Gasfahnen unter Wasser.

Link zur Studie

Die Untersuchung der Forschenden ist unter dem Titel "Greenhouse gas emissions from marine decommissioned hydrocarbon wells: leakage detection, monitoring and mitigation strategies" im International Journal of Greenhouse Gas Control erschienen.

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