Planet in GefahrWie können wir den Herausforderungen des Anthropozäns begegnen?
Klimakrise, Artensterben und intensiver Verbrauch von Boden, Wasser und Rohstoffen: Der Einfluss des Menschen hat unseren Planeten verändert. Denn er hat stark in die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse eingegriffen. Forschende sprechen deshalb vom Zeitalter des Anthropozäns – dem Erdzeitalter des Menschen. Auf einer Konferenz in Jena haben sich führende Köpfe ihrer Disziplinen getroffen, um zu diskutieren, wie den negativen Folgen dieser Entwicklung begegnet werden kann.
Die Tagesordnung der Konferenz "The Anthropocene - Addressing its challenges for humanity - crossing the boundaries of science" liest sich wie ein Spitzentreffen von renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ihrer Disziplinen: Klimaforschung, Biodiversitätsforschung, Erdsystemforschung, Geophysik, Geschichtsforschung oder Ethno- und Soziologie – aus all diesen und noch mehr Fachgebieten braucht es Kompetenz, um den Herausforderungen des Anthropozäns zu begegnen. Dieser interdisziplinäre Ansatz soll es ermöglichen, Ursachen und Prozesse der Entwicklungen zu verstehen und eine Idee davon zu entwerfen, was zu tun ist. Denn es geht um nichts Geringeres als um die Zukunft der Welt, wie wir sie kennen, und womöglich sogar unserer Zivilisation.
AnthropozänDas Anthropozän ist das Erdzeitalter des Menschen. Der Begriff ist zusammengesetzt aus dem altgriechischen "Ánthropos" für "Mensch" und der Endung "-zän", die von "kainós" abgeleitet ist und "neu" bedeutet. Anthropozän bezeichnet also ein neues geologisches Zeitalter, das vom Menschen bestimmt ist. Denn der Mensch greift seit jeher, aber insbesondere seit dem Beginn der Industriellen Revolution vor rund 200 Jahren so massiv in die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde ein, dass die Auswirkungen noch in 100.000 bis 300.000 Jahren zu spüren sein werden. Mindestens so lange dauern die Epochen in der Erdgeschichte.
Der Begriff und das Konzept des Anthropozän ist um die Jahrtausendwende erstmals von Nobelpreisträger Paul Crutzen aufgebracht worden und ist seitdem umstritten. Erst kürzlich hat die International Union of Geological Sciences (IUGS), das höchste Wissenschaftsgremium seiner Disziplin, es abgelehnt, das Zeitalter des Anthropozän offiziell auszurufen.
Einer der entscheidenden Begriffe der Anthropozänforschung ist die "große Beschleunigung" (Great Acceleration). Unter diesem Schlagwort wird die Entwicklung zusammengefasst, dass seit den 1950er Jahren eine Vielzahl sozio-ökonomischer, ökologischer und geografischer Messgrößen regelrecht explodiert. So etwa bei der Weltbevölkerung, dem Verlust an Biodiversität, den Mengen an CO2 und Methan in der Atmosphäre sowie bei Erosion und Entwaldung.
Die internationale Konferenz in Jena war außerdem auch die Eröffnungskonferenz des Max-Planck-Instituts für Geoanthropologie. Dort sollen in inter- und transdisziplinären Forschungsteams die Auswirkungen der menschgemachten Systeme auf und Eingriffe in das natürliche Erdsystem untersucht werden. Die Konferenz startete dementsprechend auch mit einer Vorstellung dieses noch neuen Forschungsfeldes.
Der Planet sei so stark vom Menschen geformt worden, dass er mit dem biophysikalischen Gefüge und den Prozessen der Erde geradezu verflochten sei, erklärte die Gründungsdirektorin des Instituts, Ricarda Winkelmann in ihrem Eröffnungsvortrag. "Wir haben sogar eine neue Erdsphäre geschaffen, die sogenannte Technosphäre. Die Technosphäre beschreibt alles vom Menschen Geschaffene: industrielle Technologien, Infrastruktur, Energiequellen, unsere Wissenssysteme und unsere sozialen Institutionen und Mächte, die im Laufe der Moderne entstanden sind", erläuterte die Klimaforscherin. Sie sei funktional gleich anzusehen wie andere natürliche Erdsphären, wie die Biosphäre oder die Hydrosphäre, und agiere mit ihnen auf mindestens gleicher Ebene.
Bestandsaufnahme: Klimakrise, Artensterben, planetare Grenzen
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich auf der Tagung zunächst der Analyse der Problemlage gewidmet, indem über Ursprünge und Auswirkungen der grundsätzlichen Veränderungen, die der Planet im Anthropozän durchmacht, gesprochen wurde. Dabei kamen Perspektiven der Klimaforschung – etwa über die Erreichbarkeit der Pariser Klimaziele – und aus Disziplinen wie der Erdsystemwissenschaft, der Geologie, den Biowissenschaften sowie der Geschichte vor.
Und immer wieder haben die Forschenden betont: Nur wenn all diese Perspektiven gemeinsam gedacht werden, lassen sich die Herausforderungen des Anthropozäns angehen. Denn die verschiedenen Subsysteme und Erdsphären sind eng miteinander verflochten und beeinflussen sich gegenseitig. Wie genau, das hat die Menschheit bis heute noch nicht vollständig durchschaut.
Unser Planet ist ein extrem komplexes System und die Antwort nach dem richtigen Umgang mit den Folgen des menschlichen Einflusses ist nicht weniger komplex. Will man etwa den Verlust der Biodiversität begreifen und sein Ausmaß – immerhin befinden wir uns bereits mitten in einem Massenaussterben – dann reicht es nicht, die reine Biologie zu betrachten. Es braucht unter anderem auch Erkenntnisse über physikalische Prozesse, die den Lebensraum beeinflussen, oder sozio-ökonomische Perspektiven zu Monokulturen in der Landwirtschaft oder Bodenversiegelung durch Baugeschehen. Auch die Frage nach den Grenzen des Planeten wurde in diesem Kontext diskutiert. Denn tatsächlich gibt es einen Konsens in der Wissenschaft, dass endloses Wachstum nicht möglich sein kann, da unser Planet an seine natürlichen Grenzen kommt – und darüber hinaus.
Künstliche Intelligenz soll komplexe Probleme erfassbar machen
Auf der Grundlage dieser Bestandsaufnahme haben die Forschenden sich dann einzelne Subsysteme angeschaut, die die komplexe Dynamik des Anthropozäns beeinflussen, und aufgezeigt, welche Handlungsperspektiven und Ansatzpunkte es hier geben kann. Dabei ging es etwa um den wirtschaftlichen Schaden, den ein verändertes Klima nach sich ziehen wird, um soziale Kipppunkte oder die Änderung des Verhältnisses von Mensch und Natur. Und schließlich wurden auch Methoden und Handlungsperspektiven ausgewertet und diskutiert.
Was braucht es also, um den existenziellen Bedrohungen des Anthropozäns zu begegnen? Vor allem deutlich mehr Forschung. Es müsse besser durchblickt werden, wie genau die Zusammenhänge im gekoppelten Erd-Mensch-System sind. Zusätzlich müssen die Forschenden auch nach außen kommunizieren, wie die Problemlage ist, um die Bevölkerung zu sensibilisieren – denn auch politische und gesellschaftliche Entscheidungen sind ein wichtiger Faktor.
Und dann brauchen die Forschenden angesichts der Komplexität des Forschungsfeldes unbedingt Hilfe – und zwar von Künstlicher Intelligenz. Denn Menschen allein können derartige Zusammenhänge kaum erfassen, der Computer dagegen schon. Zur Konferenz wurde deshalb bereits ein KI-Projekt vorgestellt: "Geacop" lieferte schon erste Handlungsanweisungen und Empfehlungen zu einigen Fragen. Und dabei zeigte sich die KI erstaunlich inklusiv: Wichtig sei vor allem den Wert allen Lebens auf der Erde anzuerkennen und für Harmonie zwischen Mensch und Natur zu sorgen, so die Empfehlung.
(kie)
Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 28. Juni 2024 | 17:40 Uhr