NiederschlagErst kein Regen, dann wieder viel Regen – nehmen die Extreme zu?
Dürre und Starkregen im Wechsel: Niederschlagsextreme scheinen in den vergangenen Jahren zuzunehmen. Und für große Teile Europas ist diese Tendenz auch nachweisbar, sagen Forscher. Man spürt es allerdings nicht überall gleichermaßen.
Stunden- oder gar tagelang Regen, davor war lange nichts. Klimawandelgeschult, wie man ist, sagt man sich: Klar, so etwas wird jetzt immer extremer. Denken wir hier in Deutschland nur ans Dürre-Rekordjahr 2018. Oder an den entgegengesetzten Rekord, der gerade erst (2023/24) aufgestellt wurde: die niederschlagsreichsten zwölf zusammenhängenden Monate, die es seit Beginn der Aufzeichnungen je gab.
Aber kann man aus vorhandenen Zahlen auch tatsächlich einen stetigen Trend ermitteln? Und wenn ja, für welche Region? Ist das in jedem Ort gleich? Sicher nicht. Also betrachten wir lieber Bundesländer? Oder ganz Deutschland? Europa? Die Welt?
Gleiche Großwetterlage, gleiche Niederschläge?
Es ist schwierig, wie man gleich sehen wird, weil je nach betrachtetem Gebiet und je nach Art des Vergleichs ganz verschiedene Trends herauskommen können. Nehmen wir zum Beispiel Hohenpeißenberg und Jena. Beide Orte liegen in Deutschland, beide betreiben schon sehr lange eine Wetterstation und zeichnen dort tägliche Niederschlagsmengen auf. Aber die eine Station steht in fast 1.000 Metern Höhe in Oberbayern, die andere in 155 Metern Höhe in Thüringen. Dazwischen liegen reichlich 400 Kilometer. Gleiche Großwetterlage? Wohl recht oft, ja. Gleiche Niederschlagsextreme? Nicht wirklich.
Wichtig im folgenden Diagramm: Die Kurven zeigen nicht die Niederschlagsmenge an, sondern die "Unterschiedlichkeit" der täglichen Niederschläge in einem Jahr. Wenn die täglichen Regenmengen in einem Jahr also besonders stark auseinanderliegen, dann ist der Wert hoch, wenn es jeden Tag im Jahr in etwa gleich viel geregnet hat, dann ist der Wert niedrig. In der Statistik spricht man von der Standardabweichung, das ist in diesem Fall die durchschnittliche Abweichung aller Werte eines Jahres vom Mittelwert dieses Jahres. Sie ist türkis dargestellt. Die rote Kurve ist eine "geglättete" Version davon und veranschaulicht zu jedem Zeitpunkt den zehnjährigen Trend.
Wie man sieht, können die Menschen im oberbayrischen Hohenpeißenberg ganz klar sagen: Ja, in letzter Zeit sind die Niederschlagsunterschiede extremer geworden. So extrem war es nur mal 1985, davor hundert Jahre nicht (wiederum davor allerdings noch extremer als heute, falls die damaligen Aufzeichnungen korrekt sind).
Die Menschen in Jena wiederum können das angesichts der Messwerte so nicht bestätigen. Generell sind dort, geografisch bedingt, die Unterschiede viel kleiner. Aber um die Jahrtausendwende waren die Niederschlagsunterschiede extremer als heute, Ende der 1950er-Jahre auch. Die Tendenz zuletzt ist sogar leicht fallend.
Nicht nur zwei Wetterstationen, sondern alle
Und wie sieht das deutschlandweit aus? Dazu schauen wir auf alle täglichen Niederschlagsdaten aus deutschen Stationen seit dem Jahr 1900. Das sind knapp 20 Millionen Tageswerte, die in die Durchschnittsberechnung einfließen. Und da zeichnet sich wieder ein ganz schön anderes Bild als bei den Einzelkurven von Hohenpeißenberg und Jena.
Im Durchschnitt aller Wetterstationen waren also die 1950er-Jahre ganz besonders extrem, was Niederschlagsunterschiede angeht. Und auch die sogenannten Nuller-Jahre waren etwas extremer als die jetztige Zeit.
Aber vielleicht ist es auch gar nicht sinnvoll, tägliche Niederschlagsmengen zu vergleichen. Vielleicht sollte man die Zeiträume vergrößern und auf ganze Jahre schauen, inwiefern sie sich von den Vorjahren unterscheiden. Wenn man das für ganz Deutschland tut, sieht man: Oh ja, in jüngster Zeit geht die Kurve deutlich nach oben, die Niederschlagsunterschiede von Jahr zu Jahr werden wieder extremer. Noch extremer waren sie aber auch bei dieser Betrachtung schon mal in der Vergangenheit, nämlich zuletzt in den Nuller-Jahren und ganz besonders in den 1960er/70er-Jahren.
Ist eine Betrachtung für ganz Deutschland überhaupt sinnvoll?
Wir haben ja schon gesehen, dass ein durchschnittlicher deutscher Trend nicht bedeutet, dass er überall gleichermaßen festzustellen ist. Und so ist das auch bei den jährlichen Regenmengen. Das kann in den einzelnen Bundesländern schon wieder ganz anders aussehen. In den einen gibt es große Unterschiede im Laufe der Zeit, in den anderen eher kleine.
Zur letztgenannten Gruppe muss man dann wohl auch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zählen, die mit ihren Kurven der Niederschlags-Extreme mittendrin liegen im Feld der Bundesländer. Und in jedem der drei könnte man eine leicht andere Geschichte erzählen. In Thüringen waren die Unterschiede Ende der 1960er-Jahre am stärksten, in Sachsen Anfang der 1980er und in Sachsen-Anhalt um das Jahr 2010 herum.
Globale Studie zeigt, Extreme bei Niederschlägen nehmen insgesamt zu, in Europa ganz besonders
Zum gleichen Thema ist kürzlich eine Studie von chinesischen Wissenschaftlern erschienen, die Niederschlagextreme und ihre Ursachen noch viel umfassender (nämlich global) und genauer (Rasterpunkte über die ganze Welt) untersucht haben. Ihr Ergebnis: In den vergangenen 120 Jahren stieg die tägliche Variabilität von Niederschlägen in jedem Jahrzehnt um durchschnittlich 1,2 Prozent, wobei der Trend seit den 1950er-Jahren stärker ausgeprägt sei als zuvor.
In der Studie zeigte sich, dass die Zunahme der Niederschlagsvariabilität hauptsächlich auf Treibhausgasemissionen zurückging, die zu einer wärmeren und feuchteren Atmosphäre geführt haben. "Das bedeutet, dass selbst bei gleichbleibender atmosphärischer Zirkulation die zusätzliche Feuchtigkeit in der Luft zu intensiveren Regenfällen und drastischeren Schwankungen führt", sagt Erstautorin Wenxia Zhang.
Europa gehört demnach zu den Weltregionen, in denen die Variabilität der Niederschläge besonders stark zugenommen hat. Eine weitere Weltregion mit diesem Phänomen ist zum Beispiel die nordamerikanische Ostküste. Je mehr ein Rasterpunkt auf der folgenden Weltkarte ins Dunkelgrün geht, umso stärker haben sich dort laut Studie die Niederschlagsextreme seit 1950 im Zehn-Jahres-Rhythmus verstärkt.
Wie man sieht, sind die Rasterpunkte in Deutschland nur ein bisschen grün, aber nicht sonderlich dunkelgrün. Der Trend ist hierzulande also nicht so stark wie vor allem in Skandinavien und Teilen Osteuropas.
Es ist also so ähnlich wie bei den Temperaturen im Jahr 2024: Immer wieder globale Hitzerekorde, und als deutscher Wetterbeobachter fragt man sich, wie das sein kann, wo es doch gefühlt so regnerisch und kühl ist in großen Teilen des Jahres. So ist das beim Klimawandel: Mal bekommen ihn die einen stärker zu spüren, mal die anderen. Im Durchschnitt aber eben die ganze Welt.
Links/Studien
Die Studie "Anthropogenic amplification of precipitation variability over the past century" ist im Wissenschaftsjournal "Science" erschienen.
Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | 01. August 2024 | 22:02 Uhr
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