Lichtverschmutzung Von Astronomie bis Zwergfledermaus – was Lichtverschmutzung anrichtet

16. Juni 2023, 10:15 Uhr

Neue Forschungsberichte zeigen die negativen Folgen des nächtlichen Kunstlichts und stellen rechtliche und technologische Lösungen vor, die die Auswirkungen der Lichtverschmutzung abmildern können.

Wissen Sie, wer oder was ALAN ist? Es ist in diesem Fall kein Vorname und hat auch nichts mit LAN oder WLAN zu tun. ALAN ist in der internationalen Forschungslandschaft die offizielle Abkürzung für nächtliches Kunstlicht (engl.: Artificial Light At Night). Und um dieses ALAN dreht sich alles in einer Sonderausgabe des renommierten Wissenschaftsmagazins "Science". In fünf Artikeln von internationalen Forscherinnen und Forschern wird dabei das Thema Lichtverschmutzung von ganz verschiedenen Seiten, nun ja, beleuchtet.

Professor Martin Morgan-Taylor von der Universität im englischen Leicester erforscht die Lichtverschmutzung schon sehr lange. Er sagt, dass Lichtverschmutzung eine breite Palette von Problemen verursacht, darunter Energieverschwendung, die die Klimakrise verschärft und Schäden für die menschliche und ökologische Gesundheit. Trotz dieser breiten Auswirkungen werde das Problem des Kunstlichts in der Nacht oft auf den Verlust des Sternenhimmels reduziert, was dazu führt, dass die Öffentlichkeit glaubt, dass Lichtverschmutzung hauptsächlich ein Problem für Astronomie und Sternbeobachtung sei. In Wahrheit aber sei "ALAN" auch für den Durchschnittsmenschen sehr relevant.

Auswirkungen auf die Menschen

Die nachts erleuchteten Städte sind Zeichen von Fortschritt und Wohlstand, aber nicht zwingend von Wohlergehen. Wissenschaftlerin Karolina Zielinska-Dabkowska erörtert zusammen mit einigen Kollegen, wie der menschliche Körper auf nächtliche Exposition gegenüber städtischen Straßenlaternen, beleuchteten Sportstadien und Leuchtreklamen, aber auch auf Licht in der eigenen Wohnung reagiert, nämlich mit Auswirkungen auf das visuelle, zirkadiane und neurologische System.

Sie verweisen dabei auf Studien, in denen bei Menschen, die regelmäßig nachts arbeiten müssen, die Lichtexposition als wahrscheinliche Ursache für verschiedene Krebsarten und auch als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Fettleibigkeit, Depressionen ausgemacht wurde.

Eingegangen wird auch auf die direkten Auswirkungen der Außenbeleuchtung. So wurde eine kleine Gruppe von Autofahrern, Fußgängern und Menschen, die dem Licht von Straßenlampen ausgesetzt waren, untersucht. Überraschenderweise fanden die Forscher heraus, dass das Spektrum der getesteten Lichtquellen auf empfohlenen Straßenbeleuchtungsstufen die menschliche Gesundheit nicht beeinträchtigt hat. Dies deutet darauf hin, dass es möglich ist, eine Balance zwischen der Notwendigkeit von Beleuchtung für Sicherheit und Komfort und dem Schutz unserer Gesundheit zu finden.

Die gute Nachricht sei, so schreiben Zielinska-Dabkowska und Kollegen, dass es in manchen Branchen bereits Bemühungen gibt, die Lichtverschmutzung zu reduzieren. So wurden bei Fahrzeugen datengesteuerte Designs entwickelt, um die Beleuchtungsstufen besser abzustimmen, überflüssiges Licht zu reduzieren und trotzdem ein hohes Sicherheitsniveau für Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten.

Klar sei aber auch, dass in diesem Forschungsgebiet noch sehr viel mehr Untersuchungen nötig sind und dass Wissenschaft und Beleuchtungsindustrie viel besser zusammenarbeiten sollten als bisher.

Auswirkungen auf die Tiere

Es ist gar nicht immer möglich und sinnvoll, die Tiere in Sachen Lichtverschmutzung getrennt vom Menschen zu betrachten. Denn mancher Schaden im Tierreich fällt auch auf uns Menschen zurück. Zum Beispiel bei Insekten, die Nacht für Nacht vom Kunstlicht gestört und, wenn es heiße Lampen sind, massenweise getötet werden. Das große Insektensterben der vergangenen Jahre hat mutmaßlich auch viel mit ALAN, dem nächtlichen Kunstlicht zu tun. Die Nacht ist außerdem, wenn sie dunkel ist, die Hauptbestäubungszeit bei Insekten. Und wenn immer weniger bestäubt wird, haben wir Menschen immer weniger zu ernten.

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MDR Garten So 10.07.2022 08:30Uhr 03:18 min

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Annika Jägerbrand und Kamiel Spoelstra aus Schweden haben für Science die Auswirkungen von nächtlichem Kunstlicht auf Pflanzen, Tiere und ganze Ökosysteme untersucht. Sie erklären, wie verschiedene Arten auf die Lichtverschmutzung ganz unterschiedlich reagieren, was es schwierig macht, die negativen Auswirkungen des Lichts auf ein ganzes Ökosystem abzumildern. Klar sei aber, dass die zunehmende Lichtverschmutzung zum Verlust von Lebensräumen, zur Störung von Nahrungsnetzen und zum Rückgang der Insektenpopulationen führt.

Aber obwohl die Reaktionen der Arten auf das Licht unterschiedlich sind, sei vor allem Vorsicht gegenüber der hohen Emission von blauem Licht geboten. Durch die Verwendung von Dioden, die andere Farben erzeugen und durch die Anwendung von Phosphor-Konversionstechniken könne die Menge an blauem Licht in einer Lichtquelle reduziert werden. Dies sei effektiv zum Schutz mehrerer Tierarten, so das Autorenpaar, weil der rote Teil des Farbspektrums weniger Insekten anzieht und eine weniger störende Wirkung auf die Aktivität von Fledermäusen hat.

 Eine Fledermaus der Art "Groߟes Mausohr" aus der Gattung der "Mausohren" im Flug. 1 min
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Es ist nicht schwer den Garten so zu gestalten, dass sich auch Fledermäuse wohlfühlen. Ein Teich, blühende Wiesen, ein Totholzstapel - wenn dann noch ein Fledermauskasten dazukommt ist der Fledermausgarten perfekt.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Sa 07.09.2019 10:00Uhr 00:48 min

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Einige Länder haben schon nationale Richtlinien zur Reduzierung der ökologischen Lichtverschmutzung umgesetzt, schreiben die Autoren. Bedauerlich sei, dass das Thema Außenbeleuchtung nicht in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung enthalten sei, die von allen Mitgliedern der Vereinten Nationen angenommen wurde. Außenbeleuchtung und Lichtverschmutzung hätten aber genau auf diese nachhaltige Entwicklung erheblichen negativen Einfluss.

Auswirkungen auf die Astronomie

Die nächtliche Beobachtung des Himmels, die seit Jahrtausenden eine Quelle der Inspiration und von wissenschaftlichen Entdeckungen ist, wird durch die zunehmende Lichtverschmutzung immer schwieriger, schreibt Antonia Varela Perez. Die Astronomin stellt dabei fest, dass die Auswirkungen von künstlichem Licht auf die Astronomie vielfältig und komplex sind. Wie in der Tierwelt sei aber auch hier vor allem der blaue Lichtanteil problematisch, der stärker in die Atmosphäre gestreut wird. Deshalb solle der blaue Anteil am Kunstlicht (unter 500 Nanometer Wellenlänge) so weit wie möglich reduziert, am besten ganz entfernt werden.

Varela Perez verweist dabei auf die Bedeutung der erdgebundenen Astronomie. Sie sei erstens deutlich preiswerter als ein Weltraumteleskop wie das James Webb Space Telescope, das alles in allem etwa zehn Milliarden Dollar gekostet hat. Und zweitens gebe es auch astronomische Erkenntnisse, die nur von der Erde aus gewonnen werden können, wie zum Beispiel bei der "planetaren Verteidigung", also dem Schutz der Erde vor Asteroiden oder Kometen, die auf Kollisionskurs mit unserem Planeten sein könnten. Aber auch das Aufspüren von Weltraumschrott geschehe mit Teleskopen auf der Erde.

Ein weiteres Problem sieht die Autorin in den immer mehr Satelliten auf der Erdumlaufbahn. Ende April 2022 waren es fünfeinhalbtausend. Schätzungsweise sind es derzeit aber schon etwa 8.000, und in einigen Jahren könnten es Zehntausende sein. Wenn das schon nicht zu verhindern ist, dann müssen aus Sicht der Astronomin wenigstens die Satellitenbahnen möglichst niedrig gehalten werden, damit die Satelliten schnell nach Sonnenuntergang in den Schatten der Erde eintreten. Je weiter oben sie fliegen, umso länger werden sie nach Sonnenuntergang noch angestrahlt und erschweren Beobachtungen von Profi- und Hobby-Astronomen gleichermaßen.

Position aller bekannten Objekte, die es derzeit in der niedrigen Erdumlaufbahn gibt. Orange sind aktive Satelliten, hellblau inaktive Satelliten, grau Trümmer/Schrott. Stand: 9. März 2023
Position aller bekannten Objekte, die es derzeit in der niedrigen Erdumlaufbahn gibt. Orange sind aktive Satelliten, hellblau inaktive Satelliten, grau Trümmer/Schrott. Stand: 9. März 2023 Bildrechte: AstriaGraph / University of Texas

Und Hobby-Astronomie sei durchaus wichtig, schreibt Antonia Varela Perez. Weltweit gebe es etwa eine Million Begeisterte, viel mehr als professionelle Himmelsbeobachter. Hobby-Astronomen entdecken Kometen, suchen nach Galaxien und Supernovae, führen Stern- und Meteorverfolgungskampagnen durch und bestätigen mögliche Exoplaneten. Diese Aktivitäten sind besonders anfällig für Lichtverschmutzung, da Hobby-Astronomen nicht die wirtschaftlichen und technologischen Ressourcen haben, um deren Auswirkungen zu mildern, so Varela Perez. Mit steigender Lichtverschmutzung seien diese Aktivitäten ernsthaft gefährdet und könnten in den nächsten zehn Jahren, wenn die aktuellen Trends anhalten, praktisch unmöglich werden.

Messung und Überwachung

Wie viel oder auch wie wenig man bislang fundiert über Lichtverschmutzung weiß, machen Miroslav Kocifaj, Stefan Wallner und John C. Barentine in ihrem Artikel deutlich. Klar sei, dass Lichtverschmutzung hauptsächlich aus fehlgeleiteter Lichtemission besteht, die Bereiche beleuchtet, die nicht beleuchtet werden sollen, sowie aus zu starker Beleuchtung und der Verwendung von schädlichen Lichtfarben, wie z.B. blauem Licht. So sei die Umstellung auf LED-Beleuchtung, obwohl sie oft als umweltfreundliche Lösung angepriesen wird, in Sachen Lichtverschmutzung eher kontraproduktiv gewesen, denn tatsächlich haben beleuchtete Flächen und nach oben gerichtete Strahlung weltweit kontinuierlich zugenommen, seit es überall LED-Lampen gibt.

Die Autoren nennen verschiedene Techniken zur Messung von ALAN (künstlichem Nachtlicht), darunter Ein-Kanal-Photometer, All-Sky-Kameras und Drohnen. Sie betonen, dass die spektralen Unterschiede zwischen Lichtquellen die Interpretation photometrischer Daten erschweren können und dass die Variabilität der Erdatmosphäre den Vergleich von verschiedenen Datensätzen erschwert. Theoretische Modelle können jedoch dazu beitragen, Experimente zu kalibrieren und Ergebnisse zu interpretieren.

Hingewiesen wird in dem wissenschaftlichen Artikel auf mehrere Herausforderungen und Mängel in den aktuellen Ansätzen zur Messung von Lichtverschmutzung. Die Forscher schlagen vor, dass die Entwicklung neuer Modelle und experimenteller Techniken Hand in Hand gehen sollten, weil die Ergebnisse des einen den Fortschritt des anderen vorantreiben und neue Anwendungen generieren können. Zukünftige Forschung sollte sich darauf konzentrieren, die Messungen von Lichtverschmutzung umfassender zu nutzen und neue Modelle und experimentelle Techniken zu entwickeln, um die Herausforderungen in diesem Bereich zu bewältigen.

Regulierung

Der eingangs schon erwähnte Professor Martin Morgan-Taylor hat sich viele Gedanken zu einer möglichen Regulierung von nächtlichem Kunstlicht gemacht. Mit Blick auf die Europäische Union stellt er fest, dass zumindest begonnen wird, das Problem anzugehen.

Ein Beispiel dafür seien die "Green Public Procurement Criteria for Street Lighting and Traffic Signals" der EU, die Empfehlungen für Straßenbeleuchtung enthalten, einschließlich der Bekämpfung von Lichtverschmutzung. Diese Empfehlungen beinhalten das Dimmen und selektive Ausschalten von Licht, abhängig vom Beleuchtungsstandard. Obwohl das hauptsächlich dazu diene, Energie zu sparen, trage es auch dazu bei, alle anderen negativen Auswirkungen von künstlichem Licht in der Nacht (ALAN) zu reduzieren, schreibt Morgan-Taylor in Science.

Auch den "Zero Pollution Action Plan" des "European Green Deal", der die Lichtverschmutzung als zunehmenden Schadstoff nennt, den es zu überwachen gilt, hält Morgan-Taylor für einen guten Anfang.

Und auch das ausdrückliche Benennen der Lichtverschmutzung als eine Ursache für den Rückgang der Insekten in der "EU-Bestäuberinitiative" sei nützlich. Aber trotz aller Anerkennung geht die Reduzierung der Lichtverschmutzung nur langsam voran, so Morgan-Taylor. Er ist sich sicher, dass die Wissenschaft in Zukunft noch für deutlich mehr Regulierungsmaßnahmen eintreten wird.

Links/Studien

Die Sonderausgabe zum Thema Lichtverschmutzung ist im Journal Science erschienen.

(rr)

Blick auf die nachts hell erleuchtete Erde von der Raumstation aus. 4 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Garten | 10. Juli 2022 | 08:30 Uhr