Gletscher in der Antarktis Meteoriten im Eis: Verhagelt der Klimawandel bald den Blick auf den Ursprung des Lebens?
Hauptinhalt
14. Mai 2024, 09:50 Uhr
Polemisch gesagt: Die Erinnerung an den Ursprung von fast allem könnte bald verblassen. Durch den menschengemachten Klimawandel sind hunderttausende Meteoriten in der Antarktis gefährdet. Das ist ein Problem für die Forschung. Und alle, die Meteoriten mögen.
- Wer sich auf die Suche von Meteoriten begeben möchte, fährt am besten einfach in die Antarktis
- Allerdings sind die Himmelskörper durch den Klimawandel gefährdet
- Meteoritenhelfen uns, Antworten auf zentrale Fragen des Lebens oder zur Entstehung des Universums zu beantworten
Es mögen ja Menschen existieren, denen es nichts gibt, so ein Ding aus Werweißvonwieweitweg in der Hand zu halten. Aber wahrscheinlich genau so viele, die ganz gern mal einen echten Meteoriten finden würden, so ein praktisches kleines Stückchen Weltraum für die Hosentasche. Daniel Farinotti gehört nicht zu den Glücklichen. Um Meteoriten kümmert er sich trotzdem, obwohl der Schweizer eigentlich Glaziologe ist.
Genau genommen macht er sich Sorgen: Nicht um die achtzigtausend Meteoriten, die sich bereits in der sicheren Obhut der Menschheit befinden, sondern um die schätzungsweise 300.000 Stück, die in der Eiswüste des südlichen Kontinents darauf warten, endlich ein zünftiges Sammlerglück auszulösen.
In der Antarktis zumindest muss man sich als Weltraumsteinchensammler so fühlen wie Goldsuchende am Klondike zum Ende des vorletzten Jahrhunderts. Aber es ist Eile gefragt, zeigt aktuelle Forschung. Den Meteoriten in der Antarktis könnte es jetzt an den Kragen gehen und das dürfte nicht nur Abenteuerlustigen Unwohlsein bereiten.
Bis zur Mitte des Jahrhunderts könnte ein Viertel der Antarktis-Meteoriten von der Erdoberfläche verschwunden sein. Davon gehen Farinotti und der Rest des Teams aus, eine europäische Forschungsgruppe aus Belgien, der Schweiz und Großbritannien, die im April im Fachblatt Nature ihre Erkenntnisse publiziert hat. Mit jedem Zehntel Grad Erwärmung verschwinden 5.000 bis 12.000 Meteoriten im ewigen Eis der Antarktis.
Dass sich daran überhaupt jemand stört, liegt an der Beschaffenheit der Eiswüste, eben dem Klondike der Meteoriten: "Die Antarktis wirkt sozusagen wie ein großer Trichter und sammelt Meteoriten auf sehr großen Flächen, die man dann in relativ kleinen Regionen sammeln kann", erklärt Daniel Farinotti. Dabei ist es erstmal unerheblich, wo so ein Meteorit in der Antarktis landet. Vereinfacht gesagt: Gletscher fließen und transportieren Dinge wie Meteoriten in Regionen, wo sie bevorzugt zutage treten. Diese Regionen sind bekannt. Das helle Eis und die dunklen Steinchen aus dem All ergeben noch dazu einen schönen Kontrast – ein praktischer Umstand, wenn es ans Finden geht.
"Das ist auch der Grund, warum etwa sechzig Prozent aller Meteoriten, die jeweils auf der Erde gefunden wurden, aus der Antarktis stammen", so Farinotti. Durch den Klimawandel ist also der bevorzugte Fundort für Asteroiden bedroht. Dass es cool ist, außerirdisches Zeug in der Hand zu halten, haben wir bereits festgestellt. Aber warum ist das nun ein Problem, wenn man es nicht mehr kann?
Wen kümmern unzugängliche Meteoriten?
"Wenn man Fragen nachgeht, wie der Entstehung von Planeten und womöglich auch der Entstehung des Lebens im Universum, dann kann man entweder mit einem Raumschiff rausfliegen und Material einsammeln, oder man nimmt sich eben Meteoriten an, die auf der Erde schon da sind." Zum Beispiel können uns Meteoriten interessante Erkenntnisse über die chemischen und physikalischen Umstände des frühen Sonnensystems liefern. So enthalten Meteoriten etwa Aminosäuren und Kohlenwasserstoffe – die Bausteine für das, was hier grad fleißig vor sich hin tippt oder fleißig vor sich hin liest.
Bevor sie die Wissenschaft zu Gesicht bekommt, droht Meteoriten also die Versackung im Eis. Und das, obwohl längst nicht überall in der Antarktis im Laufe des Jahres sommerliche Plusgrade herrschen. Vielmehr wird den Meteoriten ihre Beschaffenheit zum Verhängnis: ihre dunkle Farbe und hohe Wärmeleitfähigkeit, weil sie oftmals Metall enthalten. Die Sonnenstrahlung gibt neben den gestiegenen Umgebungstemperaturen den entscheidenden Anstoß, um den Schmelzprozess unter den Gesteinen in Gang zu bekommen. Farinotti: "Man kann sich das in etwa so vorstellen, wenn man in eine Speise in die Mikrowelle stellt, dann wird sie ja auch erwärmt, obwohl die Luft in der Mikrowelle nicht sonderlich warm wird."
Meteoriten in der Antarktis: Es gibt Wichtigeres, aber …
Auch der Glaziologe Olaf Eisen vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven betont die Wichtigkeit der antarktischen Meteoritensammelbecken, eine "echte Fundgrube" für Forschende nennt er sie. Wie Farinotti sieht Eisen die Rolle der einstigen Himmelskörper als Informationsspeicher. Er räumt jedoch ein: "In sozioökonomischer Hinsicht ist das aber letztendlich nicht von großer Relevanz, da ist eher viel mehr zu beachten, dass eine zunehmende Erwärmung des Klimas dazu führt, dass der Meeresspiegel ansteigen wird, auch mit Beiträgen aus der Antarktis."
Die Erkenntnis, dass uns die Meteoriten durch Klimawandel und ihre eingebauten Mikrowellenöfen langsam abhanden kommen, basiert auf einem wissenschaftlichen KI-Modell, das das internationale Forschungsteam entwickelt und mit Variablen gefüttert hat. "Also man hat geschaut, wo wurden in der Vergangenheit Meteoriten gefunden? Wie sieht die Topografie aus? Wie ist der Eisfluss?" Aber auch die Wetterbedingungen und Sonneneinstrahlung spielen eine große Rolle. In Verbindung mit Klimamodellen lässt sich dann zeigen, dass die Chance, Meteoriten aufzuspüren, in der Antarktis künftig nicht besser wird.
Ja, und nun?
Schnell Richtung Südpol und einsammeln, was noch geht? Nun, das wäre zumindest nicht die schlechteste Idee, meint Farinotti. Ähnlich wie Projekte, die Eisbohrkerne aus Gletschereis für wissenschaftliche Zwecke sichern, bevor die abgetaut sind, könnte sich der Schweizer Glaziologe ein Meteoritenprojekt vorstellen. Wichtiger ist nach Ansicht der Forschenden aber ein weniger originell anmutender Vorschlag: die Reduzierung der Treibhausgasemissionen und damit der Erderwärmung. Ansonsten müssten wir mit der Meteoritenbergung warten, bis die Polkappen vollends geschmolzen sind. Ob uns dann noch der Sinn danach steht, den Ursprung des Lebens zu erforschen, ist eine andere Frage.
Link zur Studie
Die Studie Antarctic meteorites threatened by climate warming erschien im März 2024 im Fachblatt Nature.
DOI: 10.1038/s41558-024-01954-y
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 10. Mai 2024 | 12:24 Uhr
MDR-Team vor 30 Wochen
@Britta.Weber
Natürlich basieren solche Modell auf vereinfachten Annahmen der grundsätzlichen zu komplexen Realität. Das heißt aber noch nicht, dass sie "Unsinn" waren und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen falsch. Im Nachhinein lässt sich sowieso nicht mehr belegen, was bei einem anderen Verhalten passiert wäre. Die Frage lautet auch, welche Alternativen es zu den Modellen gibt für Projektionen in die Zukunft - und da sieht es dünn aus.
LG, das MDR-WISSEN-Team
Britta.Weber vor 30 Wochen
MDR-Team, nein, die Modelle waren einfach nicht geeignet (zu komplexe Situation) und beruhten auf falschen Annahmen. Leider hat der MDR auch solche Unsinnsmodelle und die daraus abgeleitenen Schlußfolgerungen propagiert.
MDR-Team vor 30 Wochen
@Britta.Weber
Es gibt große Unterschiede zwischen KI-Modellen. Während der Corona-Pandemie haben sich zudem einige Vorhersagen durch Modelle nicht bewahrheitet, weil Maßnahmen gegen genau diese Vorhersagen getroffen wurden.
LG, das MDR-WISSEN-Team