Natur und Psyche Vögel (und ihr Gezwitscher) machen glücklich
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29. Oktober 2022, 12:13 Uhr
War’s nun die Nachtigall oder die Lerche? Vogelgesang sorgt nicht nur bei Shakespeare für angemessen romantisches Flair, sondern hat auch ganz handfeste Auswirkungen auf unsere Psyche – ob es sich nun um reale Vögel handelt, oder lediglich um Vogelgezwitscher vom Band. Das zumindest ergeben gleich mehrere aktuelle Studien.
Studie 1: Vogelgesang kann Ängstlichkeit und Paranoia mildern
Zu diesem Ergebnis kamen Forschende am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung bei Tests mit insgesamt 295 Teilnehmenden. Diese hörten sechs Minuten lang entweder typische Verkehrsgeräusche oder Vogelgesang. Vorher und danach füllten die Menschen Fragebögen zur Einschätzung ihrer mentalen Gesundheit aus. "Diese Fragebögen erlauben es üblicherweise, bei den Teilnehmenden Tendenzen zu Depressionen, Angststörungen und Paranoia zu erkennen und den Effekt von Vogelgesang oder Verkehrsgeräuschen auf diese Neigungen zu untersuchen", erklärt Erstautor Emil Stobbe, Doktorand in der Lise-Meitner-Gruppe Umweltneurowissenschaften am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.
Effekt unabhängig von der Anzahl der Vögel
Nach Auswertung der Fragebögen kamen die Forschenden zu einem interessanten Ergebnis: Zumindest bei gesunden Menschen können Ängstlichkeit und Paranoia abnehmen, wenn sie Vogelgesang hören. Und das übrigens unabhängig davon, ob mehrere Vogelstimmen zu hören waren oder nur eine einzige Spezies. Verkehrslärm dagegen verschlechterte den psychischen Zustand der Befragten und konnte depressive Zustände sogar verschlimmern.
Sicherheitsgefühl dank Vogelgesang
Aber warum haben simple Vogelstimmen so einen starken Effekt auf unsere Psyche? Für die Forschenden liegt eine mögliche Erklärung darin, dass diese unterbewusst mit einer intakten natürlichen Umgebung in Verbindung gebracht werden. Das vermittelt ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit – und lenkt außerdem von psychischen Belastungen ab. Auf depressive Zustände hatten die Vogelstimmen in dieser Studie allerdings keinen Einfluss.
Vogelgesang könnte zur Prävention von psychischen Erkrankungen eingesetzt werden.
Dass Vogelgesang so stark auf unsere Psyche wirken kann, ist an sich schon verblüffend – noch interessanter ist dabei allerdings, dass schon digital abgespieltes Vogelgezwitscher diesen Effekt hatte. "Vogelgesang könnte also zur Prävention von psychischen Erkrankungen eingesetzt werden. Schon das Anhören einer Klang-CD wäre eine einfache, leicht zugängliche Intervention. Wenn wir schon in einem Online-Experiment, das die Teilnehmenden am Computer absolvierten, solche Effekte nachweisen können, ist davon auszugehen, dass diese in der freien Natur noch stärker sind", prognostiziert Emil Stobbe.
Studie 2: Vögel sehen und hören kann depressive Städter glücklich machen
Die zweite aktuelle Vogel-Studie kommt von Forschenden am King’s College in London. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werteten Daten aus der App Urban Mind aus – eine App, die Daten zum psychischen Wohlbefinden von Städterinnen und Städtern erfasst. Von 2018 bis 2021 nahmen 1.292 Menschen an der Befragung in der App teil, indem sie dreimal am Tag die Frage beantworteten, ob sie gerade Vögel sehen oder hören können, gefolgt von einigen Fragen zum psychischen Wohlbefinden.
Kein bloßer "Natur-Effekt"
Ähnlich wie die Vogelstudie aus Deutschland zeigten auch die Befragungen der Londoner Forschenden mit einer internationalen Stichprobe, dass das Hören und Sehen von Vögeln mit Verbesserungen des Wohlbefindens verbunden war. Diese Zusammenhänge waren auch dann ganz klar, wenn Umweltfaktoren wie Bäume, Pflanzen und Wasserstraßen eliminiert wurden. Es handelt sich nicht um einen bloßen Effekt von "in der Natur sein", sondern ganz konkret um die Auswirkung der Vögel, sagen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Interessant ist, dass die positiven Effekte von Vögeln in dieser Studie auch Menschen zu Gute kamen, die unter Depressionen litten. Darin unterscheidet sich diese Studie von den Untersuchungen des Max-Planck-Instituts, bei denen die Vogelstimmen im Falle einer depressiven Verstimmung wirkungslos waren. Wie genau Vögel und ihr Gesang diese Verbesserungen für unsere Psyche erzielen, ist also noch nicht abschließend geklärt. Fest steht aber: sie tun uns gut!
Wichtiger Begriff: Ökosystemdienstleistungen
Die leitende Autorin der Studie, Andrea Mechelli sagt, sie hoffe, dass die Studie dabei helfe, etwas wissenschaftlich zu untermauern, was wir als "Ökosystemdienstleistungen" bezeichnen. Der Begriff umfasst alle Vorteile, die wir Menschen daraus ziehen, wenn wir von einer intakten Natur umgeben sind. Diese Vorteile wissenschaftlich zu untersuchen, kann wichtig sein, weil wir dann noch besser wissen, was unsere Umwelt eigentlich für uns tut – und das kann dabei helfen, sie zu schützen, weil wir ihr einen Wert zuschreiben können.
Studie 3: Vögel machen genauso glücklich wie eine Gehaltserhöhung
Einen recht konkreten Wert für Vogelgesang haben Forschende übrigens schon 2020 versucht festzuschreiben. Das Ergebnis einer Studie des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Universität Kiel und des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums war damals: Zehn Prozent mehr Vogelarten im Umfeld stehen mit einer gesteigerten Lebensqualität im Zusammenhang – und zwar mindestens so sehr wie zehn Prozent mehr Einkommen. Datenbasis war die 2012 European Quality of Life Survey mit 26.000 Menschen aus 26 europäischen Ländern.
Folgen der verarmten Natur
Wichtig ist hier allerdings auch: Die Studie trifft keine Aussagen zu Kausalitäten – sprich, man kann nicht genau sagen, ob die Vögel ursächlich für die höhere Lebenszufriedenheit verantwortlich waren und wie genau das funktioniert. Aber – eine Sache lässt sich festhalten – wenn die Natur um uns herum verarmt, wird unsere menschliche Psyche darunter leiden. In diesem Sinne ein abschließender Rat: Gönnen Sie sich heute zehn Minuten Vogelgesang! Und wenn Sie es nicht ins Grüne schaffen, finden Sie hier eine digitale Option.
Links/Studien
Studie 1: "Birdsongs alleviate anxiety and paranoia in healthy participants" ist im Journal Nature erschienen und kann hier nachgelesen werden.
Studie 2: "Smartphone-based ecological momentary assessment reveals mental health benefits of birdlife" ist ebenfalls im Journal nature erschienen und kann hier nachgelesen werden.
Studie 3: "The importance of species diversity for human well-being in Europe" ist in Ecological Economics erschienen und kann hier nachgelesen werden.
iz
THOMAS H am 29.10.2022
"Und wenn Sie es nicht ins Grüne schaffen, finden Sie hier eine digitale Option."
Die digitale Option ist überflüssig und kostet ja auch noch Strom.
Einfach Rundfunkgeräte ausmachen, Mobiltelefone abschalten und Fenster aufmachen. Bringt sogar noch was fürs Raumklima, da ja gleichzeitig gelüftet wird.
In Bezug glücklich machen oder Freude bringen durch das Vogelgezwitscher, kann ich nur zustimmen, da es doch ein Ohrenschmaus ist, wenn sich z. B. mehrere Amseln unterhalten.
Das größte Problem innerhalb der Städte und Gemeinden sind m. M. jedoch, die 4-5 maligen Flächenrodungen im Jahr und das Fällen von Bäumen und Sträuchern, so daß sich die Insektenvielfalt nicht ansiedeln kann und auch keine Samenbildung erfolgt. Dadurch müssen sich immer mehr Vögel in Regionen zurückziehen, wo die Natur noch vorhanden ist.
Studien sind wichtig, aber noch wichtiger wäre, gerade die Großvermieter zu mehr Sträuchern und Blühwiesen zu verpflichten, was ja auch noch eine Wärmereduzierung erzeugt.