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KlimageografieWärmster Sommer seit 2.000 Jahren – wie kann man das wissen?

16. Mai 2024, 15:00 Uhr

Die Jahresringe eines Baumes zeigen nicht nur dessen Alter an, sondern geben auch über die Temperaturen im jeweiligen Jahr Aufschluss. So konnte nachgewiesen werden, dass der vergangene Sommer der wärmste seit Christi Geburt war, mehr als zwei Grad wärmer als in der immer wieder zu Rate gezogenen vorindustriellen Referenzperiode von 1850 bis 1900, über die nun wohl auch neu nachgedacht werden muss. Denn sie war wahrscheinlich kühler als bislang angenommen.

Wir schreiben das Jahr 246 nach Christi Geburt. Das Römische Reich befindet sich gerade in einer Krise: Bedrohungen von außen, Bürgerkriege und Abspaltungen im Innern. Marcus Iulius Philippus, auch "Philipp der Araber" genannt, ist seit zwei Jahren Kaiser. Temperaturaufzeichnungen gibt es noch nicht. Und doch wird man 1.778 Jahre später wissen, dass die Menschen auf der Nordhalbkugel der Erde in jenem Jahr 246 den bis dahin wärmsten Sommer seit Christi Geburt erleben. Und dass dieser Rekord bis weit ins 20. Jahrhundert Bestand haben wird.

Wir schreiben nun das Jahr 2024. Der alte Rekord, der so lange hielt, wurde mittlerweile mehrfach pulverisiert. Neuer klarer Spitzenreiter ist das Jahr 2023. Da waren es 1,18 Grad mehr als im ehemaligen Rekordjahr 246 und sogar 2,07 Grad mehr als in der immer wieder als Vergleich zu Rate gezogenen vorindustriellen Referenzperiode 1850 bis 1900. Das 1,5-Grad-Ziel, um das global immer noch gekämpft wird, wurde nach dieser Rechnung also bereits verfehlt, zumindest im Sommer 2023 auf der Nordhalbkugel der Erde.

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Woher man wissen kann, wie warm oder kalt es in den vergangenen 2.000 Jahren war? Von Bäumen und von Wissenschaftlern, die diese Bäume zu lesen wissen. Die Jahresringe eines Baumes geben nicht nur über dessen Alter Aufschluss, sondern auch über die historische Zeit, in der der Baum wuchs und über die Bedingungen in der Wachstumsperiode eines jeden Jahres seines Lebens. Grob gesagt, sind die Jahresringe umso breiter, je wärmer und feuchter es im jeweiligen Sommer war.

Dendrochronologie – die Wissenschaft vom Alter eines Baumes

Jahresringe eines Baumes: Je breiter sie sind, umso besser waren die Wachstumsbedingungen im jeweiligen Jahr. Bildrechte: colourbox

Weil Bäume, die zur selben Zeit im selben Gebiet gewachsen sind, nahezu identische Muster von Jahresringen aufweisen, hat sich schon vor vielen Jahren das Forschungsgebiet der Dendrochronologie entwickelt. Die Breite der Jahresringe wurde gemessen, auch jahrhundertealte Baumstämme oder -scheiben in sehr alten Bauwerken taugen dazu, denn ihre Ringe bleiben erhalten. Die vielen einzelnen Jahreswerte wurden dann in Diagrammkurven umgewandelt, nach und nach ergaben sich so typische und vollständige Kurven für einen lang zurückreichenden Zeitraum.

Wenn man dann irgendeinen anderen Baum untersucht, der alt genug geworden ist, um viele Jahresringe zu haben, kann man auch dessen Kurve der Jahresring-Breite anfertigen und diese Kurve und die typische aus dem angefertigten Katalog übereinanderlegen. So lässt sich mit großer Sicherheit bestimmen, von wann bis wann der Baum genau gelebt hat. Und wie das Wetter damals war.

Deutsche Forschungsgruppe konnte auf große Datenmengen zurückgreifen

Prof. Dr. Jan Esper, Klimageograf an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Bildrechte: Jan Esper

Drei Forscher um den Mainzer Klimageografie-Professor Jan Esper haben sich nun viele insgesamt 2.000 Jahre zurückreichende Baumringdaten zunutze gemacht, die von verschiedenen Wissenschaftlern über Jahrzehnte gesammelt wurden. Am liebsten hätten Esper und seine Kollegen Max Torbenson und Ulf Büntgen die historischen Sommertemperaturen der ganzen Welt ermittelt, aber sie mussten mit ein paar Einschränkungen leben.

So gibt es von der Südhalbkugel der Erde nicht genügend historische Daten, weder von Temperaturmessungen noch aus Baumringen. Und die Tropen kommen auch nicht infrage, weil dortige Bäume wegen des gleichmäßigen Klimas keine messbaren Jahresringe ausbilden.

Aber der Rest der Nordhalbkugel – nördlich des 30. Breitengrades – wurde mit einem riesigen und dichten Datennetz aus historischen Temperaturmessungen und Baumring-Daten abgedeckt, also ganz Europa, die USA und Kanada sowie der überwiegende Teil Asiens.

Temperaturen 1850 bis 1900: "Vorindustrielle Referenzperiode" war kühler als angenommen

Zuerst schauten die Forscher, wie gut ihre Methode, historische Sommertemperaturen aus Jahresringen von Bäumen zu ermitteln, überhaupt funktioniert. Dazu verwendeten sie den Zeitraum von 1900 bis 2010, denn da gibt es außer Baumringdaten auch viele vertrauenswürdige echte Temperatur-Messwerte. Beim Übereinanderlegen der Kurven wurde deutlich: Ja, mal hat die eine Kurve etwas höhere Werte, mal die andere, aber die Abweichungen sind relativ gering. Auf lange Sicht ist die Methode tauglich.

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Umso erstaunlicher war dann das Ergebnis des Datenvergleichs für die Zeit von 1850 bis 1900, also die sogenannte vorindustrielle Referenzperiode, die immer wieder als Grundlage für Klimaziele zu Rate gezogen wird, Stichwort 1,5-Grad-Ziel. Dort waren die Abweichungen zwischen Baumringmethode und vorhandenen Temperaturmessdaten nicht nur deutlich größer, sondern auch fast ausschließlich in einer Richtung erkennbar, nämlich mit zu hohen Werten bei den damaligen Temperaturmessungen.

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Die Forscher erklären sich das damit, dass Wetterstationen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch in ihren Kinderschuhen steckten. Zum einen war das Messnetz noch nicht groß und dicht, vor allem in entlegenen Regionen gab es keine Stationen. Und zum anderen waren viele Stationen wahrscheinlich noch nicht gut genug vor Sonneneinstrahlung geschützt, sodass sie zu hohe Temperaturen maßen. Im Vergleich zur Baumringmethode wiesen die Messwerte von 1850 bis 1900 jedenfalls durchschnittlich 0,24 Grad zu viel auf, zumindest in Sommern auf der Nordhalbkugel.

Kälteste Phase war im 6. Jahrhundert, heißeste Phase ist jetzt

Wann aber war es nun besonders kalt und besonders warm? Gut zu sehen in den Daten der Baumringe sind die Jahre der sogenannten "Kleinen Eiszeit". Besonders Anfang des 17. und Anfang des 19. Jahrhunderts waren die Sommer auf der Nordhalbkugel vergleichsweise kalt. Noch kälter muss es aber mehr als 1.000 Jahre vorher gewesen sein, in der "Kleinen Antiken Eiszeit", die so klein nicht war und in Europa das "dunkle Mittelalter" einläutete.

Unter den kältesten zehn Sommern seit Christi Geburt sind tatsächlich ganze sechs zu finden, die zwischen 536 und 546 liegen. Damals muss es mehrere große Vulkanausbrüche gegeben haben, wie Wissenschaftler herausfanden, den ersten 536 wahrscheinlich auf Island, dann einen in Äquatornähe und dann noch einen dritten. Dabei wurde so viel Material in die Atmosphäre geschleudert, dass die Sonnenstrahlen nur noch schwer durchkamen. Es war die kälteste Zeit auf der Nordhalbkugel seit Christi Geburt.

Ganz anders sieht es bei den wärmsten Sommern aus. Die liegen alle in der Jetzt-Zeit. Die der vergangenen 25 Jahre gehören allesamt zu den dreißig wärmsten seit Christi Geburt. 2023 wurde laut der Forschergruppe um Jan Esper nicht nur wegen des Klimawandels, sondern auch wegen des Einflusses von El Niño zum klaren neuen Rekordhalter. Der Sommer 2024 könnte noch wärmer werden, spekulieren die Wissenschaftler.

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"Ich bin sehr besorgt über die globale Erwärmung", sagt Jan Esper, der den Klimawandel für eine der größten Bedrohungen der Menschheit hält. "Ich bin nicht wegen mir selbst besorgt, ich bin zu alt, aber ich habe zwei Kinder. Für sie und alle anderen Kinder ist es wirklich gefährlich. Je länger wir warten, umso teurer und schwieriger wird es, diesen Prozess zu verlangsamen oder zu stoppen."

Links/Studien

Die Studie "2023 summer warmth unparalleled over the past 2,000 years" ist im Journal "Nature" erschienen.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 14. Mai 2024 | 21:25 Uhr

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