EnergiewendeWindmüllanlagen? Neue Hoffnung für das Recyceln von Windradflügeln
Wenn es darum geht, Argumente gegen den Aufbau von Windkraftanlagen zu finden, gibt’s mannigfaltige Möglichkeiten: Sieht nicht schön aus, sagen die einen. Gut, Geschmackssache. Die anderen verweisen auf die scheinbare Infraschallbelastung, die allerdings widerlegt ist. Nicht von der Hand zu weisen ist aber das Argument, dass Windradflügel schlecht wiederverwertet werden können. Und mit dem Ausbau der Erneuerbaren viel Müll droht. Wir sagen, warum das so ist – und welche neue Idee es hier gibt.
So ein Windradflügel hat im Grunde das gleiche Problem wie ein Trinkpäckchen: Da klebt allerhand unterschiedliches Material zusammen und ergibt ein großes Ganzes. Aber während die Saftkartons mittlerweile besser als ihr Ruf sind, ist das Imageproblem der Windkraftanlagen nicht ganz unbegründet. Die Flügel müssen eben langlebig und widerstandsfähig sein und dafür kann es beim Material keine Kompromisse geben. Holger Lieberwirth, Professor für Aufbereitungsmaschinen und Recyclingsystemtechnik an der TU Bergakademie Freiberg, weiß was drin steckt:
"Die bestehen zu 60 bis 65 Prozent aus Glasfaser und 35 Prozent Epoxidharz heutzutage. Dazu kommen noch ein bisschen Balsaholz und verschiedene andere Materialien." Klingt kompliziert und gerade der lange Zeit nicht recyclingfähige Kunststoff Epoxidharz, sozusagen ein Superkleber im Windradflügel, macht die Sache … noch komplizierter. Zwar mangelt es nicht an Ideen – ein Windradflügel lässt sich vortrefflich im Brückenbau zweckentfremden oder zur Stadtmöblierung. Ja, wirklich jetzt – das macht eine Firma aus Dresden, Wings for Living.
Windrad-Recycling: Sind Rotorblätter wirklich ein Brennstoff für die Zementindustrie?
Aber angesichts der großen Zahl an Anlagen kommen wir ums Recyceln nicht herum. Gerade in der Zementindustrie hat man für ausgemusterte Windradflügel eine Zukunft gesehen (interessanterweise auch bei Trinkpäckchen): kleingehäckselt zu einem Brennstoff.
Holger Lieberwirth hat aber die Erfahrung gemacht, dass das in der Fläche bisher kaum funktioniert: "Die Zementindustrie hat dort offensichtlich auch andere Möglichkeiten, sich mit Rohstoffen zu versorgen. Und die Energieerlöse, die man dort bekommt, sind relativ gering."
Novo-Tech: Preisgekrönter Ansatz gegen Windradmüll, aber keine generelle Lösung
Als bisher vielversprechendsten Ansatz sieht er den von Novo-Tech aus Sachsen-Anhalt. Die Firma testet derzeit ein Verfahren, um aus Rotorblättern einen kreislauffähigen Werkstoff zu machen. "Das ist ein Verfahren, bei dem die Rotorblätter mechanisch zerkleinert werden", so Holger Lieberwirth. "Kurze Abschnitte, die dann als Füllstoff für Produkte eingesetzt werden, die im Außenbereich, zum Beispiel als Planken im Gartenbereich, eingesetzt werden oder bei Gebäudeverkleidung."
Terassendielen, gefüllt mit den ausgedienten Pionieren der Energiewende also. "Dort dürfte der Einsatz tatsächlich festigkeitssteigernde Wirkung haben und damit tatsächlich stofflich durchaus gerechtfertigt sein." Die Idee ist so gut, dass die Firma in diesen Septembertagen den Aura-Award von Sachsen-Anhalts Umweltminister Willingmann überreicht bekommt. Ein Preis, mit dem besondere Nachhaltigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen ausgezeichnet wird. Mit der Idee von Novo-Tech ist nicht nur der Müll beseitigt. Man könnte die Terassendielen – oder was eben daraus entsteht – auch als CO2-Depot verstehen. Wenn sie durchhalten: "Man muss dann sicherlich schauen, was damit passiert, wenn auch diese Planken dann irgendwann wieder am Ende ihres Lebenszyklus angekommen sind", sagt Holger Lieberwirth.
Einen neuen Ansatz haben der Materialforscher Ryan Clarke und Team am Nationalen Labor für erneuerbare Energien in den USA entwickelt und jetzt im Fachblatt Science veröffentlicht: Zum Einsatz kommt ein Epoxidharz, das statt auf Erdöl auf Biomasse basiert. Und sich zumindest im Labor als sehr langlebig und robust herausgestellt hat. Womit es gleich mal mit einem Klischee aufräumt und dafür sorgen könnte, dass es zu weniger Ausfällen an Windkraftanlagen kommt. Der Clou: Das Material lässt sich einfach recyceln, erklärt Ryan Clarke gegenüber MDR WISSEN. "Wir zerkleinern den Flügel in hundert Gramm schwere Würfel und recyceln sie mit Methanol. In nur sechs Stunden konnten wir das gesamte Harz entfernen und die Glasfasern zurückgewinnen. Außerdem haben wir die recycelten Kunststoffe für die Herstellung neuer Materialien der zweiten Generation wiederverwendet." Methanol scheint der Retter der Stunde zu sein – und taugt im Übrigen auch als Speicher für überschüssige Energie aus Erneuerbaren.
Rotorblätter aus Biomasse-Kunststoff: Was taugt die Idee?
Für Holger Lieberwirth von der TU Freiberg ein interessanter Ansatz. Es gebe aber keine Angabe zum Energieverbrauch und das System sei bisher nur an eher kleinen Flügeln getestet worden. Und: "Die Frage ist dann immer, was ist am Ende wirtschaftlich und kann ein solches System überleben?" Ryan Clarke betont, dass die Herstellung zwar etwas teurer wird, aber nicht ausschlaggebend. Die Recyclingkosten und der Energieverbrauch würden gerade untersucht, erste Ergebnisse scheinen vielversprechend.
Die Frage ist dann immer, was ist am Ende wirtschaftlich und kann ein solches System überleben?
Prof. Dr. Holger Lieberwirth | über neue Recycling-Ideen von Windradflügeln
Beim Entsorgen von Rotorblättern der Windkraftanlagen sieht Lieberwirth noch ein weiteres Problem, Stichwort Offshore: "Bei den großen Windkraftanlagen, die heute eingesetzt werden, mit Flügellängen von achtzig Metern oder darüber, werden typischerweise Kohlenstofffaserverstärkungen verbaut." Diese Verstärkung in Form von Balken sei erstmal nicht das Problem. Aber: "Ideen, die zum Teil auch in den Fachzeitschriften zu finden sind, dass man möglicherweise die Windradflügel außen mit Kohlenstofffasern beschichtet, zum Beispiel um elektrostatische Aufladungen zu vermeiden, vielleicht auch um das Thema Blitzeinschlag irgendwo zu adressieren, das ist in der Diskussion."
Müll durch Windkraftanlagen: Noch ein vergleichsweise kleines Problem
Und ein Thema, das Lieberwirth Sorgen bereitet, weil so eine Carbonfaserbeschichtung das Thema Recycling noch weiter verkomplizieren würde. "Denn im Augenblick sind Recyclingunternehmen extrem vorsichtig, Kohlenstofffasern oder Kohlenstofffaser behaftete Materialien überhaupt abzunehmen."
Ryan Clarke und Team haben das Thema bei Ihrem Ansatz aber offenbar bereits mitgedacht. Der funktioniere "auch bei Kohlefaser-Verbundwerkstoffen, wie sie für die Holmkappen von Rotorblättern verwendet werden, so dass wir sehr teure Teile zurückgewinnen können."
Es ist Bewegung drin, Müllhalden mit Anlagen für erneuerbare Energien zu vermeiden. Aber werden die Ansätze dem Problem überhaupt gerecht? Clarke räumt ein, dass das Recyclingproblem von Windradflügeln im Vergleich zu anderen, wie dem weltweiten Plastikmüll, überschaubar ist. Aber: "Da wir einen enormen Aufschwung der Windenergie und damit auch der Produktion dieser Rotorblätter erwarten, ist diese Arbeit unser Versuch, dieser Entwicklung zuvorzukommen. Heute mag die Windenergie ein Imageproblem sein, morgen ist sie ein viel schwierigeres." Tja, und was die Sache mit dem Image betrifft: Recyceln Sie mal ein Atomkraftwerk.
Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 10. September 2024 | 13:10 Uhr
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