Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
Klima & UmweltMedizinPsychologieWeltraumGeschichteNaturwissenschaftBildung
Die Wiesenglockenblume. "Wenn man sich die 'Allerweltsarten' nicht anguckt, dann sind die irgendwann so weit, dass die auf der roten Liste stehen." Bildrechte: iDiv

ArtenreichtumBedrohte Pflanzen: Wie geht es eigentlich Gänseblümchen, Eiche und Ahorn?

07. Februar 2021, 05:00 Uhr

Wie groß ist der Artenreichtum in der Pflanzenwelt? Und wie entwickelt er sich? Forscher vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung haben jetzt erstmals berechnet, wie die Situation häufiger Pflanzenarten in Deutschland ist.

von Annegret Faber

Artenreichtum in der Pflanzenwelt ist ein großes Thema. Dabei schauen wir vor allem auf die seltenen, gefährdeten Arten. Die stehen in der roten Liste und jeder entdeckte Standort ist bekannt, damit nicht passiert, was wir alle nicht wollen: dass sie komplett aussterben. Jetzt fragen wir aber mal: Wie geht es eigentlich den "Allerweltspflanzen", Ahorn, Eichen, Gräsern, oder auch dem Gänseblümchen? Die unzählbaren, könnte man auch sagen, weil es sie tatsächlich wie Sand am Meer gibt. Forscher vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig (iDiv) veröffentlichten nun eine Studie in der sie genau diese Frage beantworten: Den Allerweltspflanzen geht es nicht gut. 70 Prozent von ihnen sind rückläufig.

Wir müssen uns mehr um die Pflanzen kümmern

Studienleiter David Eichenberg treffe ich im Leipziger Auwald. Mit robustem Schuhwerk, Jeans und einer dicken Steppjacke läuft er über einen Waldweg und schaut sich aufmerksam um.

Tatsächlich ist es überraschend, dass wir in Deutschland für die meisten Arten, für wirklich die meisten Arten, die bei uns existieren, kein wirklich systematisches Monitoring haben.

Dr. David Eichenberg, iDiv

Kann man alle Pflanzen zählen?

Studienleiter Dr. David Eichenberg vom iDiv Bildrechte: iDiv

Alle Pflanzen hier allein in diesem Wald zu zählen? Möglich ist es, sagt Eichenberg, aber gemacht wird es nicht. Es fehlt an Zeit und Leuten. Die Zahl einzelner Arten, die es in Deutschland gibt, ist aber gar nicht so überwältigend. 4.000 sollen es sein. Genau wisse das aber niemand. Die Studie enthält reichlich 2.000 Arten. Von allen anderen Arten gebe es so wenige Datensätze, dass man ihr Vorkommen nicht berechnen könne. Denn das hat Eichenberg und ein Forscherteam letztlich getan. Sie erstellten eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, wie es um die häufigen Pflanzenarten in Deutschland bestellt ist.

Wenn man sich die 'Allerweltsarten' nicht anguckt, dann sind die irgendwann so weit, dass die auf der roten Liste stehen und wir haben es gar nicht gemerkt und dann haben wir wirklich ein Problem.

David Eichenberg

Alte und junge Eschen, Eichen und Ahornbäume wachsen hier im Wald und untendrunter unzählige Gräser, Kletterpflanzen, Kräuter. An einem Wegrand findet Eichenberg eine Pflanze mit kleinen lila Blüten. Sie erinnern an eine Brennnessel.

Das hier, das ist die gefleckte Taubnessel, die ist relativ häufig, nimmt aber Deutschlandweit auch ab, zeigt auf jeden Fall auch Rückgänge von um die 20 Prozent.

David Eichenberg

Für die Studie sammelten die Forscher und Forscherinnen alle Daten über Pflanzen zusammen, die sie finden konnten. Sie kamen auf 29 Millionen Datensätze. 24 Millionen davon lieferte das Bundesamt für Naturschutz für die Untersuchung des iDiv. Vor allem Ehrenämtler hätten die gesammelt, betont Rudolf May vom Bundesamt für Naturschutz.

Rudolf May, Bundesamt für Naturschutz Bildrechte: Rudolf May

Wir haben einen Löwenanteil der Daten zu dieser Modellierung beigetragen, und zwar aus unserer Datenbank Florkart, die wir seit 30 Jahren hier im Bundesamt für Naturschutz aufbauen und weiter ausbauen.

Rudolf May, Bundesamt für Naturschutz

Die restlichen fünf Millionen Datensätze kamen u.a. aus den einzelnen Bundesländern und von Privatleuten. Das ist jede Menge, aber es sei bei weitem nicht genug, um einen Trend zu erkennen. Außerdem waren die Beobachtungen in einige Regionen sehr lückenhaft. Also mussten die Forscher diese Lücken füllen. Eichenberg kombinierte dafür zwei Algorithmen, die geeignet sind, Pflanzenvorkommen zu berechnen. "29 Millionen Datensätze waren unser Ursprungsdatensatz. Nachdem wir die Lücken gefüllt haben, hatten wir 45 Millionen Datenpunkte."

Damit war er dann in der Lage zu sehen, wie sich die Zahl der häufigen Pflanzenarten seit 1960 verändert hat.

Unsere Studie hat gezeigt, dass von allen 2.100 Pflanzenarten, die wir untersucht haben, sich 70 Prozent in der Abnahme befinden. Einige nehmen zu, das sind aber vergleichsweise wenige, da sind wir bei knapp 29 Prozent.

David Eichenberg

Das bedeutet: Ein Drittel der Pflanzenarten wächst konstant oder legt sogar zu. Vor allem Neophyten seien das, Pflanzen, die etwa nach der Entdeckung Amerikas nach Deutschland gekommen sind. Das war 1492, also ewig her. Doch woher wissen die Forscher, dass die fehlenden Pflanzen nicht von "den Neuen" verdrängt werden? Die Ursachen für den Rückgang der einzelnen Arten ist bekannt, sagt Florian Jansen von der Uni Rostock, der auch an der Studie beteiligt war. Vor allem Monokulturen und Pflanzenvernichtungsmittel aus der Landwirtschaft wären der Grund. Städte und kleine Orte, Industriegebiete, Straßen, die immer mehr in die Natur hinein wachsen.

Und das führt eben dazu, dass es keine Lebensräume mehr gibt, für diese Pflanzen, und dann eben auch für die Tiere, die von diesen Pflanzen, oder auch von diesen Lebensräumen abhängig sind.

Prof. Florian Jansen, Universität Rostock

Dass Neophyten andere verdrängen, konnte in noch keiner Studie nachgewiesen werden, sagt Jansen.

Woher wissen wir, dass die Daten stimmen?

Noch einmal zurück in den Auwald zu Studienleiter David Eichenberg, denn eine Frage ist noch offen. Können wir uns darauf verlassen, dass die errechneten Daten wirklich stimmen? Dass tatsächlich 70 Prozent der Allerweltspflanzen rückläufig sind? Denn draußen in der Natur hat das niemand überprüft.

Wir wissen es nicht wirklich, das ist richtig. Wir sind aber eher, wie man sagt, konservativ. Was diese Methode mit unseren Datensätzen macht ist, sie nimmt eher an, dass eine Art anwesend ist, als das sie abwesend ist.

David Eichenberg

Statt konservativ könnte man also auch sagen, die Daten sind optimistisch. Lassen sie keinen eindeutigen Schluss über das Vorkommen einer Pflanze zu, so gehen die Forscher davon aus, dass sie da noch wächst. Die tatsächliche Situation könnte also noch dramatischer sein.

Methode und konkrete ErgebnisseDie Forschenden haben für die Untersuchung die Fläche Deutschlands in Rasterfelder (5x5 km) eingeteilt.
Über ganz Deutschland hinweg ist so in jedem Rasterfeld ein mittlerer Rückgang der Artenvielfalt um rund zwei Prozent pro Jahrzehnt zu verzeichnen, berichten sie in ihrer Mitteilung. Zu den Verlierern zählen insbesondere Archäophyten, das sind Arten, die durch den Menschen, aber bereits vor der Entdeckung Amerikas nach Deutschland gelangten. Dazu gehören unter anderem große Teile unserer Ackerbegleitflora, wie die Saat-Wucherblume und der Echte Frauenspiegel, aber auch Arten, wie der Große Klappertopf und der Gute Heinrich. Dagegen konnten sich viele Neophyten, also Arten, die nach 1492 Deutschland erreicht haben, ausbreiten, wie zum Beispiel das Drüsige Springkraut oder das Schmalblättrige Greiskraut. Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass selbst diese Zunahme die Verluste der Artenzahl pro betrachteter Flächeneinheit nicht ausgleichen konnten.

Hintergrund und Link zur Studie

An der Untersuchung der Pflanzenvielfalt in Deutschland waren Forschende von iDiv, der Universitäten Jena, Halle und Rostock, des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) sowie des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) unter enger Beteiligung der oberen Naturschutzbehörden aller 16 Bundesländer beteiligt. Erschienen ist die Studie „Eichenberg D., Bowler D. E., Bonn A., Bruelheide H., Grescho V., Harter D., Jandt U., May R., Winter M., Jansen F. (2020): Widespread decline in central European plant diversity across six decades“ in Global Change Biology.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Akzente | 07. Februar 2021 | 07:20 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen