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Bildrechte: MDR/Karina Heßland (M)

NEUE ENERGIE FÜRS KLIMA #1Wie kann die Industrie Energie sparen?

14. April 2022, 17:32 Uhr

Wie können wir sparsam mit Energie umgehen? Eine Frage, die viele Menschen umtreibt. Denn unser Energiehunger finanziert Kriege und Konflikte und heizt die Klimakrise an. Wie die Industrie ihren Verbrauch kurz- und mittelfristig senken kann, erklären wir hier.

Energiesparen: Geiz ist geil

Die sauberste und friedlichste Energie ist die, die gar nicht erst verbraucht wird. Das klingt wie eine Binsenweisheit, Energiesparen ist aber einer der Schlüssel für ein Gelingen der Energiewende. Denn jede eingesparte Kilowattstunde ist klimafreundlich und verringert den Druck auf den Ausbau der Erneuerbaren und die Stromnetze. Noch dazu kann jeder eingesparte Liter Benzin anderswo eben nicht kriegstreibende und despotische Regime finanzieren. Deutschland hat sich mit der Nationalen Effizienzstrategie 2050 konkrete Ziele zum Sparen gesetzt: Bis spätestens zur Mitte des Jahrhunderts soll nur noch halb so viel Primärenergie verbraucht werden wie im Jahr 2008 und Deutschland soll eine Industrienation bleiben.

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Der Endenergieverbrauch in Deutschland ist seit 1990 kaum gesunken; nach großen Einbrüchen durch die Wiedervereinigung und die Abwicklung der DDR-Wirtschaft ist der Verbrauch in allen Sektoren (Haushalt, Verkehr, Industrie, Gewerbe & Dienstleistungen) zwischenzeitlich wieder gestiegen und liegt nun insgesamt ca. zehn Prozent unter den Werten von 1990. Der Industrie ist es gelungen, bei steigender Produktivität den Energievebrauch leicht zu senken. Etwa zwei Drittel der Energie in der Industrie wird laut dem Umweltbundesamt für Prozesswärme benötigt – also fürs Schweißen, Brennen, Glühen und Kochen. Etwa die Hälfte dieses Wärmebedarfs fällt bisher ungenutzt in Form von Abwärme an. Ein Viertel der Energie landet in Motoren.

Primärenergieverbrauch und EndenergieverbrauchZur Primärenergie gehören Energieträger wie Kohle, Erdöl, Erdgas und die Erneuerbaren Energien. Primärenergieverbrauch beschreibt die Summe aus dem Endenergieverbrauch der Kunden (bspw. Heizen, Mobilität, Industrie) und den Verlusten, die sich bei der Erzeugung von Endenergie aus der Primärenergie ergeben. Beispielsweise gibt es beim Verbrennen von Kohle im Kraftwerk Umwandlungsverluste.

Warme Socken für die Industrie

Beim Energiesparen kann man zwischen kurzfristigen und eher langfristigen Maßnahmen unterscheiden: Kurzfristig können Verbraucherinnen und Verbraucher warme Socken anziehen, langfristig hilft doch eher der Einbau gedämmter Fenster oder effizienterer Heizungsanlagen.

Ähnlich sieht es in der Industrie aus: kurzfristig können theoretisch die Produktion heruntergefahren, Leckagen gestopft oder ineffiziente Arbeitsabläufe beendet werden. Während Leckagen eher leicht zu stopfen sind, können Produktionsabbrüche schwerwiegende Folgen haben. Langfristig helfen vor allem ein intelligentes Energiemanagement und Investitionen in energiesparende Gebäude, Maschinen und Systeme. Blicken wir genauer auf den Strauß an Möglichkeiten:

Das Rückgrat der deutschen Industrie bilden Kolbenmotoren, Pumpen, Schalthebel und Zylinder: all das, was aus Gasen oder Ölen Bewegungen und Kräfte erzeugt und in Baggern, Kränen und Maschinen steckt. Diese hydraulischen und pneumatischen Systeme werden unter dem Begriff Fluidtechnik zusammengefasst. Eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes hat deren Sparpotenziale untersucht. Umgerechnet zehn Prozent des gesamten deutschen Strombedarfs landen in Maschinen mit Fluidtechnik.

1. Löcher stopfen: Druckluft, also komprimierte Luft, ist ein essentieller Bestandteil in zahlreichen industriellen Prozessen – etwa um Maschinen anzutreiben oder Bauteile zu reinigen. Laut der Studie weist ein Großteil der Druckluftsysteme Leckagen auf. Diese zu stopfen ist eine sehr effektive und kurzfristige Sparmaßnahme.

2. Druck halten: In Druckluftsystemen treten oftmals vermeidbare Druckverluste auf. Durch regelmäßige Wartung der Anlagen können einige Prozent Energie eingespart werden.

3. Motor aus: In Feldversuchen machen Leerlaufzeiten bei Radladern und Baggern fast die Hälfte der gesamten Betriebszeit aus. Leerlaufzeiten zu verringern und Start-Stop-Automatiken einzuführen, wie sie aus dem KFZ-Bereich bekannt sind, könnte bis zu 40 Porzent des gesamten Energieverbrauchs von Baggern und Radladern einsparen.

Daneben helfen laut der Studie längerfristige Maßnahmen wie der Einsatz effizienterer Maschinen oder anderer Antriebsarten. Insgesamt könnten in der Fluidtechnik ca. 15 Prozent der gesamten Energie und etwa ein Prozent der deutschen CO2-Emissionen (7 Millionen Tonnen) eingespart werden. In der Praxis scheitern diese Maßnahmen laut den Studienautoren bislang vor allem an zwei Faktoren: dem mangelnden Wissen des Personals und dem Problem, dass sich Investitionen schnell rechnen müssen und höhere Investitionskosten gescheut werden.

Die smarte Fabrik

Wenn in einer Fabrik etwas geschweißt oder erhitzt wird, entsteht Wärme, ganz klar. Einen Teil dieser Abwärme kann man wiederum nutzen, um Strom zu erzeugen. Dabei kann Schätzungen zufolge bis zu 20 Porzent des eingesetzten Energiebedarfs gespart werden. Abwärmenutzung ist wiederum nur ein Teil davon, wie man in einer Fabrik effizienter arbeiten kann: In Darmstadt hat die Versuchsfabrik der Technischen Universität gezeigt, dass bei einer ganzheitlichen Betrachtung der Fabrik größeres Sparpotenzial besteht, als wenn man nur Maschinen oder Leitungen verbessert.

Bildrechte: MDR

Die Serie: NEUE ENERGIE FÜRS KLIMAIn dieser Serie von MDR WISSEN beschäftigen wir uns in den kommenden Wochen mit der Frage, wie die Energiewende jetzt schon gelingen kann. Und wie wir energieeffizienter leben können.

Dazu gehören der Bau der Fabrik, Energieerzeugung und -Speicherung, Abwärmenutzung und ein Energiemanagement, das den Zustand der Infrastruktur dauerhaft überwacht. "Von den Ergebnissen der Demofabrik überzeugt, hat beispielsweise der Maschinenbauer Trumpf das Konzept umgesetzt und verbraucht nun in seinem neuen Gebäude bei Stuttgart 70 Prozent weniger Gas im Vergleich zu einem Neubau mit konventioneller Gebäudeausrüstung und Versorgungstechnik", erklärt Prof. Jens Wulfsberg, Präsident der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik. Der Umbau einer Fabrik fällt aber eher in die Kategorie mittel- bis langfristige Lösungen.

Wenn schon kalt, dann aber richtig

Waren müssen kalt gehalten, Server gekühlt werden. Viele Prozesse in der Nahrungsmittelindustrie laufen auch nur bei niedrigen Temperaturen: Etwas mehr als ein Zehntel des gesamten Strombedarfs geht auf Kosten der Kühlung. Hier gibt es laut einer anderen Studie des Umweltbundesamtes großes Sparpotenzial: die richtigen Betriebstemperaturen für Klimaanlagen und Kühlprozesse, Rückgewinnung von Energie (so wie Abwärme kann auch die Prozesskälte genutzt werden) und klimafreundlichere Kühlmittel helfen den Verbrauch zu senken. So ließen sich ca. neun Prozent des Strombedarfs in der Industriekälte und gleichzeitig fast eine Million Tonnen CO2 pro Jahr einsparen.

Kann der Staat mehr Druck machen?

Laut EU-Recht hat der Staat die Möglichkeit, seine Bürgerinnen und die Industrie zum Energiesparen zu verdonnern. In mehr als der Hälfte der EU-Staaten wird dieses "Energieeinsparverpflichtungssystem" bereits angewandt. Dort gibt es verbindliche Vorgaben für den Energieverbrauch der verschiedenen Sektoren. Deutschland macht bislang nicht mit und setzt dagegen auf Anreize und Förderungen sowie auf die CO2-Steuer für fossile Brennstoffe.

Energiesparen = weniger Industrie?

Heißt Energiesparen – konsequent weitergedacht – nicht auch weniger Produktion und Konsum? Laut einer umfangreichen Analyse des Umweltbundesamtes zur Treibhausgasneutralität und einer Untersuchung des Konzeptwerks Neue Ökonomie (KNOE) ist genau das Sinn und Zweck des sparsamen Umgangs mit Energie und Ressourcen: "Beispielsweise gilt es, Sektoren wie Schwerindustrie, Automobilindustrie, Bergbau und Baugewerbe sozialverträglich zurückzufahren", heißt es in der Analyse des KNOE: "Gleichzeitig können Sektoren, die besonders zentral für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse sind, ausgeweitet und unterstützt werden – z.B. der Care-Sektor (Pflege, Medizin, Gesundheitsversorgung und Erziehungsarbeit), Kultur und Bildung, nachhaltige Mobilität und sozialökologische Landwirtschaft."

Die Studienautoren sprechen sich nicht generell für einen Abbau der Industrie aus, sondern für eine Art Umverteilung der industriellen Aufgaben: Wir bräuchten mehr Solar- und Windenergieanlagen, mehr Energiespeicher, mehr Busse und Bahnen, aber weniger Autobahnen, private PKW oder ressourcenreiche Konsumprodukte. Damit verbunden ist ein enormer Wandel, der zentrale Vorstellungen unserer Gesellschaft neu definiert: "Um eine Verringerung der Nachfrage nach Dienstleistungen und Produkten zu erreichen, braucht es einen grundlegenden Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft. Dieser ist nicht allein mit typischer Umweltpolitik zu erreichen ist, sondern auch mit Maßnahmen wie kürzerer Erwerbsarbeitszeit für alle oder einem kulturellen Wandel hin zu Zeitwohlstand statt materiellem Wohlstand“.

Um die Klimakrise wirksam einzudämmen, fordert auch der jüngste Bericht des Weltklimarates von den Industrienationen und ihren Bürgerinnen und Bürgern eine Verhaltensänderung hin zu einem Lebensstil, der weniger ressourcen- und energieintensiv ist. Die Krisen dieser Tage – Klima und Krieg – hängen mit dem Einsatz fossiler Energieträger zusammen. Beide Krisen könnten durch konsequentes Energiesparen eingedämmt werden.

Quellen

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