Ein Traktor pflügt ein Feld
Bildrechte: Sebastian Lakner

Naturschutz bleibt außer Acht Leipziger Forscher: EU-Landwirtschaft in der Sackgasse

02. August 2019, 16:46 Uhr

Die Agrar-Reformpläne der EU lassen den Umweltschutz weitgehend außer Acht. Es gilt weiterhin das Motto: Go big or go home. Forscher aus Leipzig haben nachgerechnet: 1,8 Prozent aller Empfänger erhalten 32 Prozent des Gesamtbudgets.

Wenn man auf der Autobahn fährt, kann man beobachten, wie sich ein Feld an das nächste reiht. Über 50 Prozent der Gesamtfläche von Deutschland werden landwirtschaftlich genutzt. Hochgerechnet für Europa sind es 40 Prozent, das entspricht 174 Millionen Hektar. Die intensivierte Landnutzung bedroht die Pflanzen- und Tierwelt. Der Weltbiodiversitätrat IPBES benennt dies sogar als Hauptursache für den Rückgang biologischer Vielfalt.

EU-Reformpläne als Lösung?

Um dem entgegenzuwirken wurden internationale Abkommen über nachhaltige Landwirtschaft geschlossen. Im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik der EU entwickelte die EU-Kommission einen Reformplan. Der ist allerdings heftiger Kritik ausgesetzt.

Ein Forscherteam unter der Leitung vom Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) Leipzig und der Georg-August-Universität Göttingen untersuchte den Reformvorschlag und kam zu dem Schluss: Die EU-Pläne führen nicht zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft. Im Gegenteil: Die Agrarpolitik droht noch umwelt- und klimaschädlicher zu werden. Die Studie wurde im Fachmagazin nature veröffentlicht.

Eine Wiese, Mohnblumen, blauer Himmel
Biologische Vielfalt in der Landwirtschaft. Laut den Forschern schwächen die EU-Reformpläne den Umweltschutz. Bildrechte: Sebastian Lakner

Zweifelhafte Verteilung des Budgets

Einer der zentralen Kritikpunkte sind Direktzahlungen, die an Landwirte je nach Größe der bewirtschafteten Fläche gezahlt werden. Dafür gehen etwa 70 Prozent des Budgets für die gemeinsame Agrarpolitik der EU drauf. Somit erhalten die größten Betriebe – 1,8 Prozent aller Empfänger – 32 Prozent der Direktzahlungen, die sich die EU insgesamt 40 Mrd. Euro kosten lässt.

„Für diese 1992 provisorisch eingeführten Ausgleichszahlungen fehlt inzwischen jede wissenschaftliche Begründung“, so der Agrarökonom Sebastian Lakner von der Universität Göttingen. Es wird lediglich der Besitz von Fläche belohnt und ein Anreiz für Schutz von Artenvielfalt, Gewässer und Klima fällt aus. Die Betriebe müssen weiterhin das Meiste aus ihren Flächen herausholen und setzen weiterhin auf den Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden.

Die EU-Kommission stellt sich blind und taub für die größten Probleme unserer Zeit: das Massenartensterben und die Klimakrise.

Leif Miller, NABU-Bundesgeschäftsführer

Der Naturschutzbund NABU fühlt sich durch die Untersuchung bestätigt. Bundesgeschäftsführer Leif Miller: "Die Kommission will weiterhin Milliarden an Steuergeld in ein System pumpen, das vor allem Großgrundbesitzern und der Agrarindustrie nützt – die Natur aber systematisch zerstört. Es ist ein Skandal, dass die Agrarlobby solchen Einfluss hat, dass ein Drittel des gesamten EU-Haushalts naturschädigend verteilt werden soll."

Umweltschutz bleibt weitgehend aus

Die Forscher untersuchten in ihrer Studie, inwiefern der Reformplan mit den UN-Nachhaltigkeitszielen vereinbar ist und die gemeinsame Agrarpolitik verbessert werden kann. Laut den Forschern, habe die Agrarpolitik das Potential zu neun der 17 Ziele beizutragen. Mit den neuen Vorschlägen werden lediglich zwei Ziele in Angriff genommen.

Ein Teil des Budgets wurde als klimafreundlich definiert. Die Einführung dementsprechender Maßnahmen und Indikatoren bleibt allerdings aus. Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) kritisiert, dass die Reformpläne keine Verpflichtungen über die Senkung des Treibhausgasausstoßes der Landwirtschaft enthalten. Nach den letzten veröffentlichten Zahlen des Bundesumweltamtes über die Emissionen aus der Landwirtschaft von 2017 scheint dies allerdings mehr als nötig. 60 Prozent der gesamten Methanemission und 80 Prozent der Lachgasemission in Deutschland stammen aus der Landwirtschaft.

Ein abgesteckter Brutort auf einem Feld.
Eine Kiebitzinsel auf einem Feld. Bildrechte: NABU/Florian Braun

Der hohe Methan-Ausstoß entsteht vor allem durch die Haltung von Wiederkäuern (Rinder und Schafe). Wissenschaftler betreiben bereits Genforschung und testen verschiedene Futtermittel, um den Methan-Ausstoß zu mindern.

Lösung: Mehr Geld für Umweltschutz

Die Forscher sowie die Umweltschützer des Naturschutzbundes fordern die pauschalen Direktzahlungen einzustellen und Maßnahmen zu unterstützen, die zum Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele https://17ziele.de/ beitragen. Diese Ziele sind beispielsweise nachhaltiger Konsum und Produktion oder Maßnahmen zum Klimaschutz einzuleiten.

Der Agrarökonom Dr. Sebastian Lakner und der Ökologe Guy Pe’er (UFZ) setzen auf das neu gewählte EU-Parlament: „Es gibt ausreichend wissenschaftliche Evidenz darüber, was im Umweltbereich getan werden muss. Es sollte im Interesse der EU-Kommission liegen, dass Steuermittel in der Landwirtschaft effizient und zielgerichtet eingesetzt werden“, so Lakner. Es besteht noch Hoffnung, denn erst im Herbst dieses Jahres erfolgen die finalen Verhandlungen über die gemeinsame Agrarpolitik.

Die Ergebnisse der Studie sind im Magazin Science erschienen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 31. Juli 2019 | 03:26 Uhr