Musikforschung Timing und Rhythmus – diese Primaten sind echte Sänger

25. Oktober 2021, 17:00 Uhr

Dass Schimpansen tanzen können, haben Forscher bereits nachgewiesen. Jetzt zeigt eine neue Studie, dass Primaten den Rhythmus nicht nur fühlen, sondern sogar aktiv beherrschen, nämlich beim Singen.

Ein Indri-Lemur auf Madagaskar
Ein Indri im Regenwald von Madagaskar Bildrechte: Filippo Carugati

Kennen Sie die Indri? Diese bedrohte Lemurenart aus Madagaskar ist berühmt für ihren Gesang. Der Zoologe Dr. Marco Gamba von der Universität Turin (Italien) studiert diese Tiere, die wegen der pelzigen Ohren ein wenig an Teddybären erinnern, bereits seit vielen Jahren. So hat er 2016 gemeinsam mit Forschern vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig die Muster der Lieder untersucht und dabei festgestellt, wie einzelne Gruppenmitglieder beim Gesang, der kilometerweit zu hören ist, ihr Timing anpassten. Mitglieder einer Indri-Familiengruppe neigen dazu, zusammen zu singen, in harmonisierten Duetten und Chören (wie das klingt, können Sie im Youtube-Video unter dem Artikel anhören). Für ihre neue Studie haben Gamba, seine Turiner Kollegin Chiara De Gregorio und Andrea Ravignani vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik Nijmegen (Niederlande) sich den Rhythmus dieses Gesangs vorgenommen.

Gibt es ein "rhythmisches Universal"?

Es ging dabei um die Frage: Haben Indri-Gesänge einen kategorialen Rhythmus, ein "rhythmisches Universal", das auch in allen menschlichen Musikkulturen zu finden ist. Gemeint sind damit Rhythmen, deren Intervalle zwischen Tönen genau die gleiche Dauer (1:1-Rhythmus, gleichmäßig pulsierend) oder die doppelte Dauer (1:2-Rhythmus, der Prototyp für ungerade Rhythmen) haben. Diese Art von Rhythmus macht ein Lied leicht erkennbar, auch wenn es in unterschiedlichen Geschwindigkeiten gesungen wird. Würden Indri-Songs diesen "einzigartig menschlichen" Rhythmus zeigen?

Dafür untersuchten die Forscher in den vergangenen zwölf Jahren Lieder einer lokalen Primatengruppe im Regenwald von Madagaskar. Sie bestand aus 20 Einzelgruppen, insgesamt 39 Tieren. Und das Team stellte fest: Indri-Songs folgen den klassischen rhythmischen Kategorien (sowohl 1:1 als auch 1:2). Und die Tiere nutzen auch das "Ritardando", also die allmähliche Verlangsamung, die in verschiedenen Musiktraditionen zu finden ist. Männliche und weibliche Lieder, so die Forscher, hatten ein unterschiedliches Tempo, zeigten aber den gleichen Rhythmus.

Hat sich der Rhythmus mehrfach entwickelt?

Laut Erstautorin Chiara de Gregorio ist dies der erste Nachweis eines "rhythmischen Universals" bei einem nicht-menschlichen Säugetier. Eine Fähigkeit, die sich vermutlich unter "singenden" Arten unabhängig entwickelt hat, denn der letzte gemeinsame Vorfahre zwischen Menschen und Indri lebte vor 77,5 Millionen Jahren.

Möglicherweise ist der kategoriale Rhythmus aber nicht die einzige musikalische Gemeinsamkeit zwischen Menschen und Primaten. "Wir möchten nach Beweisen für andere Rhythmen suchen", so Andrea Ravignani, "bei Indri und anderen Arten". Die Autoren wollen damit andere Forscher ermutigen, Daten über Indri und andere gefährdete Arten zu sammeln, "bevor es zu spät ist, ihre atemberaubenden Gesangsdarbietungen zu erleben". Das könnte uns am Ende helfen zu verstehen, wie Musikalität und Rhythmus entstanden sind – auch bei uns Menschen.

gp

Link zu den Studien

Die Studie von 2016 "Timing and Pitch Variation of a Primate Song Examined between Sexes and Age Classes" wurde in "frontiers in Neuroscience" veröffentlicht. Die aktuelle Studie ist in Current Biology erschienen.

Link zur Studie

Die Studie "Categorical rhythms in a singing primate" ist in Current Biology erschienen.

https://dx.doi.org/10.1126/sciadv.abh1448

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