Biodiversität Insekten retten durch Insekten zählen?

31. Mai 2019, 13:19 Uhr

Wenn die Insekten verschwinden, wird es nicht nur eng für viele Vogelarten, sondern auch für uns Menschen. Immer neue Hiobsbotschaften erreichten uns dazu in den letzten Jahren. Wie es aktuell um die Sechsbeiner bei uns bestellt ist, versuchen Wissenschaftler und der Naturschutzbund NABU herauszufinden. Zum einen mit der jährlichen Zählung durch Freiwillige, zum anderen durch wissenschaftliche Untersuchungen. Das Ziel: daraus neue Schutzmaßnahmen abzuleiten.

Ein Junge beobachtet einen Falter
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Der Insektensommer des NABU ist noch ziemlich neu. 2018 startete die Aktion zum ersten Mal und fand schnell begeisterte Freunde. Freiwillige, darunter auch Prominente, wie Ruth Moschner, Ralph Caspers oder der bekannte Kriminalbiologe Mark Beneke, zählen auch in diesem Jahr im Juni und August, was ihnen vor die Lupe kommt. Ohne diese "Citizen Scientists", diese Laienwissenschaftler, wäre eine so umfassende Bestandserhebung in allen Winkeln unseres Landes gar nicht machbar. Das wissen die Forscher und schätzen deshalb die Unterstützung. Auf wissenschaftliche Projekte, an denen außschließlich Experten beteiligt sind, können sie trotzdem nicht verzichten. Der Teufel liegt bei der Bestimmung der einzelnen Arten manchmal derart im Detail, dass man schon sehr genau hinschauen muss, weiß Prof. Gerlind Lehmann:

Ein unbekanntest Insekt, bienenartig, an einer rosafarbenen Blume.
Was ist das? Für Laien ist es oft schwer, Insekten genau zu bestimmen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Wie viele Glieder hat die Antenne? Oft sind auch die Genitalien entscheidend, die muss man rauspräparieren, bei Schwebfliegen etwa.

Prof. Gerlind Lehmann Humboldt-Universität zu Berlin

Es geht also um winzige Merkmale, die man unter einer Lupe anschauen muss. Man muss das Insekt in die Hand nehmen, beobachten allein reicht nicht immer. Im ehemaligen innerdeutschen Grenzgebiet zwischen Südthüringen und Nordbayern leitet Prof. Gerlind Lehmann derzeit ein Forschungsprojekt, das erstmals von einer nichtstaatlichen Organisation, dem NABU, geleitet wird. Mit im Boot sind sieben wissenschaftliche Institutionen.

2017: 75 Prozent weniger Biomasse an Fluginsekten allein in deutschen Schutzgebieten

Ehrenamtliche Insektenexperten hatten im Entomologischen Verein Krefeld in den Jahren 1989 bis 2015 die Bestandsentwicklung in verschiedenen Schutzgebieten beobachtet. 2017 veröffentlichten sie die Ergebnisse ihrer Langzeitstudie: Innerhalb von 27 Jahren waren 75 Prozent Biomasse an Fluginsekten allein in deutschen Schutzgebieten verschwunden.

Das dramatische an den Ergebnissen der Krefelder Studie ist, dass die Daten in Schutzgebieten erhoben wurden. Da denkt man ja eigentlich, alles sei in Ordnung.

Prof. Gerlind Lehmann

"Und daraus", so Lehmann weiter, "haben wir jetzt abgeleitet dass wir erstens  weitere Untersuchungen brauchen, woran das liegt und zweitens rasch handeln müssen."

Welche Arten sind wie stark betroffen?

Dazu lieferte die Krefelder Studie noch keine Aussage. Das soll das aktuelle Folgeprojekt unter Leitung von Gerlind Lehmann leisten, für das das Bundesministeriums für Bildung und Forschung 4,2 Millionen Euro bereitstellt. Welche Insektenarten genau verschwunden sind, wie es in Gebieten aussieht, die nicht unter Schutz stehen, wollen die Forscher wissen. Sie wollen den konkreten Ursachen auf die Spur kommen und möglichst schnell Schutzmaßnahmen daraus ableiten.

Krefelder Methode wird fortgeführt

Um die neuen Daten mit denen der Krefelder Insektenforscher vergleichen zu können, arbeiten auch die Wissenschaftler um Gerlind Lehmann zunächst in Naturschutzgebieten. Allerdings beziehen sie angrenzende, nicht geschützte Bereich mit ein. Damit Fehler durch abweichende Fang- und Zählmethoden ausgeschlossen werden können, wird auch die gleiche Technik genutzt: Die Fensterfallen:

Das ist ein einfaches Prinzip: Ein Zelt ist an einer Seite offen, da fliegen Insekten hinein, dem Licht folgend. Sie schweben unterm Dach, da ist dann eine trichterförmige Fangöffnung mit einem Alkoholgefäß und da fallen sie rein.

Dass sie dann auch sterben, ließe sich nicht vermeiden, so Lehmann. Nur so könne man die Arten wirklich präzise bestimmen. Die Unterschiede seien manchmal nur ganz minimal.

Das Projekt läuft knapp fünf Jahre. Die Forscher hoffen drauf, am Ende ausreichend aussagekräftige Daten zu haben, um daraus effektive Strategien gegen den Insektenschwund entwickeln zu können.