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Intreview zur EnergiewendeReicht unser Öko-Strom?

28. Oktober 2021, 15:35 Uhr

Wir müssen weg von Kohle, Gas und Öl. Im Kampf gegen den Klimawandel setzt Deutschland auf die grüne Energiewende. Doch eine neue Studie zeigt: Wir brauchen dabei in Zukunft mehr Strom. Im Gespräch mit Dr. Andreas Kemmler vom Prognos-Institut für Zukunftsfragen wird klar, warum.

Deutschland braucht mehr Strom: Eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums zum möglichen Energieverbrauch im Jahr 2030 hat in der vergangenen Woche aufhorchen lassen. Demnach wird der Stromverbrauch in neun Jahren zehn bis 15 Prozent höher liegen, als derzeit angenommen.

Doch was bedeutet das für die Klimaziele Deutschlands und woran liegt dieser höhere Verbrauch konkret? Wir haben mit dem Leiter der Studie gesprochen, Dr. Andreas Kemmler vom Prognos-Institut für Zukunftsfragen.

Dr. Andreas Kemmler vom Prognos-Institut für Zukunftsforschung. Bildrechte: Koroll

Herr Dr. Kemmler, Sie gehen von einem Stromverbrauch bis 2030 von 655 Terawattstunden im Jahr aus – mal umgerechnet: wie viele Solarfelder, wie viele Windparks wären denn das, die man dafür bräuchte?

Dr. Andreas Kemmler: Wir haben jetzt nicht berechnet, wie viel das insgesamt wäre, aber wir haben angeschaut, was das für den Zubau bedeutet. Ab heute gerechnet ist das schon ein sehr starker Zubau. Wir würden die PV (Photovoltaik)-Leistung bis zum Jahr 2030 mehr als verdoppeln und auch beim Wind bei den installierten Windparks hätte man fast eine Verdoppelung der installierten Leistung.

Bei Photovoltaik ist es vor allem ein Wachstum auf Freiflächen. Also, was man zubaut, wird man vor allem auf Freiflächen bauen, wahrscheinlich eine Fläche von eineinhalb mal Leipzig oder Dresden.

Beim Wind hätte man auch stark einen Zubau. Hier würde man sehr stark auf See gehen. Bei der Anzahl der Windräder ist die Zunahme nicht so stark, weil man hier auch von größeren Anlagen ausgeht. Also die zukünftigen Anlagen, die gebaut werden, sind deutlich größer, sodass man einen starken Zubau der Leistung hat. Und man müsste die Leistung der heutigen Windräder von derzeit 20 bis 25 Prozent verdoppeln. Auch das ist natürlich eine starke Herausforderung in diesen zehn Jahren.

Neue Studien, neue Ergebnisse

Sie haben jetzt zehn bis 15 Prozent Mehrverbrauch an Strom bis 2030 ermittelt. Wie kommt dieser Wert zustande, Prognos macht ja, glaube ich, jährliche Studien und im letzten Jahr hatten Sie eine Studie mit niedrigeren Werten erstellt?

Ja, genau. Das hängt natürlich von der Fragestellung ab. Also wir machen eigentlich mehr Szenarien und weniger Prognosen und bei Szenarien schauen wir an, was passiert, wenn diese und jene Maßnahme umgesetzt wird. Oder was muss passieren, um dieses Reduktionsziel zu erreichen.

Und in der Studie, die wir letztes Jahr mit dem Bundeswirtschaftsministerium erstellt haben, haben wir untersucht: Was passiert, wenn man das Klimaschutzprogramm 2019 umsetzt. Wir haben also die Maßnahmenpakete, die 2019 beschlossen wurden, umgesetzt und in unsere Modelle geschaut: Was passiert dort? Mit diesen Instrumenten und Maßnahmen steigt der Stromverbrauch nicht so stark an, andererseits haben wir auch nicht so eine starke Reduktion der THG (Treibhausgase)-Emissionen.

Jetzt bei dieser neuen Studie war die Fragestellung: Was muss passieren, um diese neue, deutlich ambitioniertere und verschärfte Reduktion der Treibhausgase zu erreichen? Wir haben also im Vergleich zu unserer Rechnung vom letzten Jahr eine deutlich stärkere Reduktion der Treibhausgase und diese stärkere Reduktion ist eben verbunden mit einem zusätzlichen Einsatz von Stromanwendungen: Mehr Wärmepumpen, mehr Elektromobilität, mehr Wasserstoffproduktion oder auch in der Industrie mehr Prozesse auf Basis von Strom und dadurch steigt der Stromverbrauch stärker an.

Sie gehen bei der Berechnung von 14 Millionen E-Autos und circa sechs Millionen Wärmepumpen aus. Welche Rolle spielt die Umstellung energieintensiver Industrien wie Metallurgie, Chemie- oder Baustoffindustrie auf erneuerbare Energien bei Ihrer Studie?

Jeder Industriesektor hat ja in Bezug auf die Treibhausgase sehr scharfe Vorgaben. Die Industrie muss hier bis 2030 unter dem neuen Klimaschutzgesetz die Emissionen sehr stark reduzieren.

Hier sind Stromanwendungen sehr wichtig. Sehr wichtig ist aus unserer Sicht aber auch die Prozessumstellungen. Einerseits mehr Prozesse auf Basis von Biomasse, fester Biomasse oder auch Biogas anstelle von heute fossilem Gas und das zum Beispiel die Reduktion beim Stahl auf Basis von Koks in Richtung Wasserstoff geht. Und auch die Prozessemissionen in der Industrie müssen reduziert werden.

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Gibt es einen Öko-Strom-Puffer?

Herr Dr. Kemmler, Sie haben vor allem von einem Zubau von Photovoltaikanlagen und Windkraft gesprochen. Nun haben wir auch gerade aktuelle Daten, nach denen der Anteil der erneuerbaren Energien am deutschen Strommix im ersten Quartal 2021 im Vergleich zum Vorjahr von über 51 Prozent auf nur knapp über 40 Prozent gefallen ist. Kein Wind, zu wenig Sonne – nützt da denn ein Ausbau dieser Energiearten, wenn das so unsichere Kandidaten sind? Beziehungsweise: Haben Sie denn Puffer in ihrer Studie für Flautetage ohne Sonne mit eingerechnet?

Also es nützt auf jeden Fall, es bleibt auch fast keine andere Option, weil bei den fossilen Anlagen darf nicht mehr zugebaut werden, weil auch der Sektor Energiewirtschaft starke Reduktionsvorgaben hat.

Arbeiter montieren eine Solaranlage auf ein Wohnhaus. Bildrechte: colourbox.com

Was man auch schauen muss: Diese Erzeugungskapazitäten werden ja jetzt auch in ganz Europa aufgebaut. Wir haben eine starke Vernetzung beim Stromaustausch und -import und wenn jetzt in Deutschland mal das Wetter nicht so schön ist, der Wind nicht so stark bläst oder wir nicht so viel Sonne haben, dann scheint vielleicht an einem anderen Ort z. B. in Skandinavien die Sonne sehr stark und wir haben dann dort mehr Wind oder mehr Sonne. Oder auch in Südeuropa mehr Sonne und wir können in diesen Phasen dann Strom aus diesen Ländern beziehen.

Was aber auch wichtig ist, dass wir auch zusätzlich gewisse Reservekapazitäten brauchen, wo wir in Stunden, wo die Leistung aus diesen fluktuierenden Erneuerbaren nicht ausreicht, dann mit Reservekapazitäten die notwendige Stromleistung erzeugen können. Das kann dann Biogas sein, mittelfristig wird es noch Erdgas sein, langfristig dann der Wasserstoff.

Wir Verbraucher sind gefragt

Und was auch noch ist: Auf der einen Seite der Zubau bei den Erneuerbaren, aber wir brauchen auch Flexibilität bei den Verbrauchern! Da wird es wichtig sein, dass die Leistung steuerbar ist.

Mehr E-Autos brauchen mehr Strom. Aber möglichst nicht alle zur gleichen Zeit. Bildrechte: IMAGO / MiS

Verbraucher sollen die Wärmepumpen oder die Elektrofahrzeuge, die wir zubauen, nicht alle abends um sechs Uhr, wenn sie nach Hause kommen, anschalten oder das Elektroauto gleich in die Steckdose zum Aufladen einstecken. Dass sie dann nicht in die Küche gehen, was kochen, dann noch die Stereoanlage und das Licht anstellen und dass wir dann sogenannte Leistungsspitzen haben. Wichtig ist ja für den Verbraucher, dass die Batterie geladen ist, wenn er am Morgen wieder losfährt, aber das muss nicht abends um sechs Uhr sein, sondern das kann auch erst um Mitternacht beginnen, sodass wir eine Flexibilisierung bei der Nachfrage reinbringen, um diese Spitzen vermeiden zu können. Und so auch das Angebot der Stromerzeugung mit der Nachfrage besser in Einklang bringen können.

Da ist also der Verbraucher gefragt oder in Zukunft dann vielleicht auch Künstliche Intelligenz.

Kernenergie bei unseren Nachbarn

Herr Dr. Kemmler eine letzte, zugegebenermaßen etwas ketzerische Frage: Unsere Nachbarn, z. B. Frankreich setzen fast durchweg auch auf Kernenergie als emissionsfreie Energieform und erreichen damit Klimaziele viel leichter. Hat sich Deutschland mit dem Atomausstieg vielleicht verkalkuliert mit Blick auf den  internationalen Wettbewerb?

Nein, das denke ich nicht. Ich teile auch diese Beobachtung nicht, wenn man so die letzten zwanzig Jahre sieht, stagniert eigentlich global die Stromproduktion aus AKW. Und auch in Europa gibt es aktuell, glaube ich, nur drei Projekte von Neubauten von AKWs und bei diesen Neubauten hat man große Verzögerungen beim Bau, die Kosten sind höher, also das scheint mir keine wirkliche Option. Diese Projekte werden nur gebaut, weil die Staaten diese Projekte stark subventionieren.

Was man vielleicht sieht, ist, dass man die bestehenden Kraftwerke in Frankreich oder auch in der Schweiz etwas länger laufen lässt, dass man hier gewisse Nachrüstungen zulässt, um die Lebenszeit der bestehenden Kraftwerke noch etwas hinauszuziehen. Aber Neubauten werden auch da kaum oder gar nicht vorgesehen. Und auch in Frankreich oder der Schweiz ist der Zubau von neuen Kapazitäten vor allem bei den Erneuerbaren.

Das Interview führte André Sittner bei MDR KULTUR

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