Tropischer Regenwald
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"Protected Planet Report 2020" Weltweite Schutzgebiete wachsen – aber der Erfolg bleibt aus

22. Mai 2021, 12:00 Uhr

Alle zwei Jahre werden die globalen Schutzgebiete erfasst, ob Regenwald, Berghang, Flussaue oder Küstenregion. Ihr Anteil an der weltweiten Fläche wächst beständig. Doch der neue Bericht "Protected Planet Report 2020" zeigt, dass das Management der Flächen nicht weniger wichtig als die reine Fläche ist. Hier gibt es Defizite.

Ohne intakte Ökosysteme sind wir nicht überlebensfähig. Sie geben uns Menschen die Ressourcen, die wir für unsere zivilisatorischen Projekte benötigen: Wasser, Luft, Nahrung, Baumaterial, Mineralien, Erholung – die Liste ließe sich endlos fortführen. 2010 hat sich die Weltgemeinschaft hehre Ziele zur Bewahrung der Biodiversität gesetzt, die bis zum Jahr 2020 erfüllt sein sollten: Dazu zählen die gesellschaftliche Achtung für den Wert und die Leistungen der Natur, die Verringerung von Naturzerstörung, der Stopp des Artensterbens und das Aufhalten von invasiven Arten.

Illegal abgeholzte Bäume
Regenwaldabholzung zählt zu den größten Treibern des Artenschwundes. Bildrechte: imago images / Westend61

Heute, elf Jahre später ist klar: Die Ziele wurden krachend verfehlt. Das Massensterben der Arten nimmt rapide zu, der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) schätzt, dass eine Million Pflanzen- und Tierarten in ihrer Existenz bedroht sind. Gleichzeitig entnehmen die Menschen Jahr für Jahr 60 Milliarden Tonnen Ressourcen und damit mehr als je zuvor in der menschlichen Geschichte. Mehr als die Hälfte der Ozeane ist Fischereigebiet und die Fischerei-Industrie hat einen schädlicheren Einfluss auf die Natur als die gesamte Landwirtschaft. Der Bergbau gräbt sich in die letzten unwegsamen Gegenden der Welt wie die Weltmeere, auch er mit größeren negativen Auswirkungen auf die Artenvielfalt als die Landwirtschaft – die wiederum selbst nicht unschuldig am Artensterben ist. Die Zahl der invasiven Tiere und Pflanzen hat sich in den letzten 50 Jahren verdoppelt. Dreiviertel aller Landflächen sind degradiert, zwei Drittel der Ozeane in schlechtem Zustand. Der damit verbundene fortschreitende Klimawandel bei aktuell 1,1 Grad Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit tut sein Übriges, um die globalen Ökosysteme zu beeinträchtigen.

Neuer Bericht: Schutzflächen wachsen

Nur eines der Biodiversitätsziele ist in greifbarer Nähe: Bis 2020 sollten 17 Prozent der weltweiten Landflächen und zehn Prozent der Meeresflächen unter Schutz gestellt werden – um besondere Lebensräume und ihre vielfältige Tier- und Pflanzenwelt zu bewahren. In Deutschland zählen zu den Schutzflächen mannigfaltige Gebiete wie die Nationalparke Sächsische Schweiz, Harz, Wattenmeer und Co., aber auch Bergbaufolgelandschaften wie die Goitzsche Wildnis bei Bitterfeld-Wolfen oder Flussauen, wie die Milde-Niederung in der Altmark. Deutschland liegt auf Platz zwei der Länder mit den meisten ausgewiesenen Schutzgebieten hinter den USA und vor Schweden.

Der Harz ist reich an Niederschlägen, die zahlreiche Waldbäche und Gebirgsflüsse füllen.
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Der neue Bericht "Protected Planet Report 2020", verfasst von der Weltnaturschutzunion (IUCN), bescheinigt der Staatengemeinschaft, dass sie die Flächenziele beinahe erreicht hat: Etwas mehr als 17 Prozent der Landesflächen werden geschützt, dafür nur etwa acht Prozent der Ozeane, also 22 Millionen Quadratkilometer an Land und 28 Millionen Quadratkilometer zu Wasser. Das sei ein kleiner Grund zur Freude, sagt Trevor Sandwith, Leiter des Programms für Schutzflächen der IUCN, denn das Ziel habe die Nationen der Welt vor zehn Jahren angestiftet, mehr Schutzflächen auszuweisen. Insgesamt sind 21 Millionen Quadratkilometer geschützte Ozeane und Länder seit 2010 hinzugekommen, also mehr als die gesamte Fläche Russlands. Fast die Hälfte aller Schutzgebiete ist erst im letzten Jahrzehnt ausgewiesen worden. Diese Dynamik gebe Hoffnung für die Zukunft, so Sandwith, denn im Herbst will sich die Weltgemeinschaft im Rahmen der Versammlung zur Biologischen Vielfalt neue Ziele bis 2030 geben: Im Raum stehen je 30 Prozent Schutzfläche zu Wasser und zu Lande. Das sind laut dem Weltbiodiversitätsrat die Mindestgrößen, um den Artenschwund einzudämmen. Passend dazu haben die Vereinten Nationen die Jahre bis 2030 zum "Jahrzehnt der Wiederherstellung der Ökosysteme" erklärt.

Eine Fläche allein macht noch kein intaktes Ökosystem

Doch die Flächen selbst schützen noch lange keine Artenvielfalt. Weniger als ein Fünftel aller Schutzflächen wird überhaupt nach ihrer Schutzfunktion hin untersucht. Das heißt: Wir wissen über viele Gebiete nicht, ob sie effektiv Pflanzen oder Tiere schützen. Es gibt Gegenden auf der Welt, die extrem reich an Flora und Fauna sind – wie etwa das Great Barrier Reef, der Amazonas-Regenwald, oder der Urwald im Kongo-Becken. Von diesen sogenannten Schlüsselgebieten der Artenvielfalt hat weltweit rund ein Drittel überhaupt keinen Schutzstatus, zeigt der neue Report “Protected Planet”. Vielen Staaten fehlt es an finanziellen Möglichkeiten, um die Ökosysteme wirksam unter Schutz zu stellen.

Große Insektenaugen, Nahaufnhame einer Libelle 45 min
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Laut einer Studie gibt es in Deutschland etwa 75 Prozent weniger Fluginsekten als noch vor 30 Jahren. Der Film fragt Experten, welche Insekten vom großen Sterben besonders betroffen sind und welche nicht.

MDR Wissen Sa 05.06.2021 13:15Uhr 44:33 min

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Darüber hinaus werden Schutzflächen allgemein von der Klimakrise und menschlichen Aktivitäten wie intensiver Landwirtschaft, Bergbau und Zersiedelung bedroht. Das verhindert die für viele Tierarten überlebenswichtige Vernetzung der Ökosysteme. Sie sorgt dafür, dass die Tiere von einer Region in die andere wandern und mehrere Habitate haben können. Hier sieht der Bericht ebenfalls ein Defizit.

Auch Deutschland sei hier in der Pflicht, erklärt Manuel Schweiger von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt, die sich für Naturschutz einsetzt und die Initiative "Wildnis in Deutschland" unterstützt. Denn auch wenn Deutschland seine Flächenziele erreiche, lasse die Qualität zu wünschen übrig: Viele Schutzgebiete erlaubten intensive Landwirtschaft oder seien zerschnitten durch Straßen, Siedlungen oder Industriegebiete und könnten ihre ökologischen Funktionen kaum erfüllen. In Bezug auf Flächenschutz sei Deutschland ein "Entwicklungshilfeland", sagt Manuel Schweiger. So hat Deutschland etwa das selbst gesteckte Ziel verfehlt, bis 2020 2 Prozent der Landesfläche als Wildnis auszuweisen und damit sich selbst zu überlassen. Aktuell sind nur rund 0,6 Prozent der deutschen Fläche weitestgehend frei von menschlichen Einflüssen und zählen damit zur Wildnis. Hierzulande mangele es nicht am Geld, sondern am politischen Willen, um Natur effektiv zu schützen, so Schweiger.

Wie geschützt sind Schutzgebiete?

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Prof. Dr. Josef Settele, Helmholtz Zentrum für Umweltforschung und Vorsitzender des Biodiversitätsrats, spricht über den Zustand der biologischen Vielfalt.

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Der Bericht Protected Planet beschreibt den rechtlichen Status der Gebiete als eines der größten Probleme: So sind fast 20 Prozent aller Schutzflächen in den letzten 20 Jahren entweder verkleinert oder in einen niedrigeren Schutzstatus degradiert worden – was die Nutzung von natürlichen Ressourcen und die Beschädigung der Ökosysteme zur Folge hatte. Vor allem bei Meeresflächen ergibt sich eine weitere Herausforderung: Der Großteil der Ozeane ist rechtlich gesehen "Niemandsland": Nur die Weltgemeinschaft als Ganzes könne darüber entscheiden, Gebiete als Schutzzonen auszuweisen, so Trevor Sandwith. Im Herbst soll auf der nächsten globalen Konferenz zur Biologischen Vielfalt im chinesischen Kunming genau das geschehen.

Indigene leben konsequenten Naturschutz

Einen besonderen Fokus legt der Bericht auf Landstriche, die von lokalen Kulturgemeinschaften oder indigenen Völkern bewohnt und bewirtschaftet werden: Diese seien in der Regel sehr artenreich und in gutem ökologischen Zustand. Indigene Bevölkerungen könnten als Vorbild für den Schutz der weltweiten Ökosysteme dienen und sollten stärker in die Naturschutzbemühungen eingebunden werden, folgert der Report.

Corona als Weckruf?

Wenn Ökosysteme vom Menschen angegriffen werden, dann führe das zu mehr Zoonosen und erhöhe das Risiko von Pandemien, wie Corona deutlich zeige, erklärt Trevor Sandwith von der IUCN. Dem Weltbiodiversitätsrat zufolge existieren weltweit schätzungsweise 1,7 Millionen unbekannter Viren, von denen fast die Hälfte auch den Menschen infizieren und Pandemien hervorrufen könnte. Das Bewusstsein für intakte Ökosysteme und deren Einfluss auf unsere menschliche Gesundheit sei durch die aktuelle Pandemie verstärkt worden, ist Sandwith überzeugt. Er hofft, dass in der Zeit nach Corona neuer Schwung in den Naturschutz komme.

Die EU Kommission hat 2020 angekündigt 10 Prozent der Europäischen Union bis 2030 unter strengen Naturschutz stellen zu wollen. In Deutschland habe Corona gleichzeitig zu einem "Ansturm" auf Naturschutzgebiete und Nationalparke geführt und ein neues Interesse für unberührte oder zumindest geschützte Natur hervorgerufen, erzählt Manuel Schweiger von der Zoologischen Gesellschaft. Umfragen zeigen, dass Wildnisgebiete für eine große Mehrheit der Deutschen einen hohen Stellenwert hat. Eine Quintessenz des Berichts Protected Planet ist die folgende Erkenntnis: wer menschliches Überleben schützen will, der muss mehr Natur zulassen und auch mehr Wildnis wagen.

Quellen

Der aktuelle "Protected Planet Report 2020" der Weltnaturschutzunion zeigt Fortschritte und jede Menge Herausforderungen und offene Fragen bei der Bewahrung der Schutzgebiete. Der Globale Zustandsbericht des Weltbiodiversitätsrates offenbart, dass die Lage der globalen Ökosysteme kritisch ist. Wie hängen Pandemien und Naturschutz miteinander zusammen? Ein aktueller Bericht des Weltbiodiversitätsrates. Wie stehen die Deutschen zur Wildnis? Eine Studie der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe beleuchtet das Thema.

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