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KosmologieDas Universum und all die Materie im All: Neue Karte des Alls veröffentlicht

17. April 2024, 14:55 Uhr

Mit dem Urknall entstand auch alle Materie im Universum. Sie bildet Sterne, Planeten, Staub und uns Menschen. Ein Team aus 150 Wissenschaftlerinnen und Forschern hat nun eine Karte veröffentlicht, die alle Materie in unserem Universum enthält. Das Weltall scheint somit anders zu sein als bisher angenommen wurde.

von Patrick Klapetz

Ob funkelnde Sterne, Planeten und Monde, etliche Asteroiden, wie sie sich im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter befinden, oder einfach nur Staub und Gas: Das Universum ist voller Materie. Doch das, was wir unter Materie verstehen, ist nur der sichtbare Teil im Weltall – der aber nur knapp ein Prozent des gesamten Universums ausmacht. Und der Rest?

Das ist eine der großen Fragen, mit der sich Astronomen beschäftigen. Dunkle Materie ist hier das Schlagwort: Ob es sie wirklich gibt, weiß kein Astronom, keine Astronomin so genau. "Um zu wissen, was die Materie ist, muss man sie manchmal erst einmal finden", schreiben Wissenschaftler der Universität von Chicago in ihrer neuesten Veröffentlichung.

Forschungsteam erstellt präziseste Karte von Materie im All

Ohne Materie kein Leben. Alles um uns herum und in uns besteht aus Materie. Bei der Entstehung des Universums wurde sämtliche Materie nach außen geschleudert. Der Big Bang, der Urknall, war nicht nur der Beginn unseres Universums. Er war der Zeitpunkt, an dem Materie, Raum und Zeit entstanden sind.

Schema, das den Urknall illustrieren soll: Sich von links nach rechts ausdehnende Grafik mit Materie, die sich zu Elemente, Sternen, Planeten und Glaxien entwickelt. Bildrechte: imago/UIG

Wissenschaftler und Forscherinnen des Fermi National Accelerator Laboratory, dem Forschungszentrum für Teilchenphysik, und der Universität von Chicago haben nun eine Karte vorgestellt, die all diese Materie im All zeigen soll. Mit ihr wollen sie die Kräfte verstehen, die die Entwicklung des Universums geprägt haben. Es ist eine der präzisesten Messungen, die je gemacht wurden, um die vorhandene Materie im heutigen Universum zu bestimmen.

Die Analyse enthält Daten vom Dark Energy Survey und dem South Pole Telescope – zwei absolut unterschiedlichen Teleskopen. Das Dark Energy Survey untersucht den Himmel und die Ausdehnung des Universums und seine Strukturen von einem Berggipfel in Chile aus. Das South Pole Telescope sucht nach schwachen Strahlungsspuren, die noch aus den ersten Momenten des Universums stammen und über den Himmel wandern.

Das Universum scheint anders zu sein als bisher gedacht

Mit beiden Teleskopen wurde ein Phänomen untersucht, das als Gravitationslinseneffekt bezeichnet wird. Wenn sich das Licht durch das Universum bewegt, kann es beim Vorbeiflug an Objekten mit großer Schwerkraft wie Galaxien leicht gebeugt werden. Dadurch können sowohl reguläre als auch dunkle Materie erfasst werden. Beide Materienformen üben Gravitationskräfte auf ihre Umgebung aus.

Durch die Überlagerung von Himmelskarten des Dark Energy Survey-Teleskops (links) und des Südpol-Teleskops (rechts) konnte das Team eine Karte der Materieverteilung erstellen, die für das Verständnis der Kräfte, die das Universum formen, entscheidend ist. Bildrechte: Yuuki Omori

"Es sieht so aus, als gäbe es im gegenwärtigen Universum etwas weniger Fluktuationen, als wir vorhersagen würden, wenn wir von unserem kosmologischen Standardmodell ausgehen, das im frühen Universum verankert ist", erklärt der Mitautor Eric Baxter. Er ist Astrophysiker der Universität von Hawaii.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Standardmodell in die Diskussion geraten ist. Hendrik Hildebrandt, Professor für beobachtete Kosmologie an der Ruhr Universität Bochum RUB, hatte bereits 2020 das Standardmodell in seiner Forschung um die Materie- und Energieverteilung bemängelt.

"Das Problem ist, dass das Standardmodell für die gesamte Historie des Universums gelten sollte – vom Urknall bis heute und für die Zukunft. Das gilt insbesondere auch für alle Parameter des Modells, wie die Hubble-Konstante oder wie viel Materie es im Universum gibt und wie verklumpt diese ist. Seit ein paar Jahren liefern Messungen der Parameter des Standardmodells jedoch verschiedene Werte. Beim Vergleich unterschiedlicher Messungen wie den Planck-Messungen des frühen Universums (ca. 400.000 Jahre nach dem Urknall) und den Gravitationslinsenmessungen im späteren Universum gibt es zum Beispiel Differenzen", sagt Hildebrandt am Telefon. An der aktuellen Studie aus Chicago ist er nicht beteiligt.

Materie ist nicht alles: Dunkle Energie, dunkle Materie und die Verteilung im UniversumDie Materie in unserem Universum macht nur etwa 30 Prozent aus. Der Rest ist dunkle Energie – etwas, das die Astronomen und Astrophysiker dieser Welt noch nicht wirklich verstehen. Die dunkle Energie ist für die Ausdehnung und Beschleunigung unseres Universums verantwortlich. Nachgewiesen wurde sie aber noch nicht.

Von den übrigen 30 Prozent macht nur ein Prozent die sichtbare Materie aus. Dazu gehören Sterne, Staub und Gase. Die übrige Materie wird als dunkle Materie bezeichnet. Auch diese ist bisher nicht nachgewiesen worden. Die Dynamik von Galaxienhaufen und des Gravitationslinseneffekts kann alleine durch die sichtbare Materie nicht erklärt werden. Für die Struktur des Universums und die Entstehung der Galaxien soll daher die dunkle Materie maßgeblich mitverantwortlich sein.

Doch kein klumpiges Universum?

Die neuen Messwerte aus Chicago zeigen, dass das Universum weniger klumpig ist als bisher gedacht. Statt einer gleichmäßigen Verteilung von Materie wurde bisher angenommen, dass sich das Universum an manchen Bereichen zusammenballt. Der Grund dafür waren die extrem heißen Temperaturen, die nach dem Urknall herrschten und dass sich die Materie bei ihrer Ausbreitung im wachsenden Universum allmählich abkühlte und scheinbar verklumpte.

Das Wichtige ist die Diskrepanz. Die eine Messung der Klumpungstendenz im frühen Universum stimmt nicht mit der Messung im aktuellen Universum überein. Der Zahlenwert dieses Parameters selbst ist nicht so wichtig wie die Tatsache, dass verschiedene Messungen unterschiedliche Zahlen liefern.

Hendrik Hildebrandt, Ruhr Universität Bochum

Irgendetwas scheint im bestehenden Modell unseres Universums zu fehlen, hat das Forschungsteam aus Chicago nun gezeigt. Ab irgendeinem Punkt in den letzten 13,8 Milliarden Jahren hat sich etwas anders entwickelt, als es sollte. Die Antwort auf das "was" kann das Forschungsteam noch nicht geben. Weitere Untersuchungen müssen erst erfolgen, damit die Forschenden ihr Ergebnis als unumstößlich betrachten.

"Wir Physiker lieben es eigentlich, wenn was nicht passt, weil man dann u.U. was Neues lernt. Wir haben jetzt eine Messgenauigkeit erreicht, bei der das Standardmodell anscheinend nicht mehr ausreicht, um alle Beobachtungen zu beschreiben", erklärt Hildebrandt. Dabei kann es sich natürlich auch um einen systematischen Messfehler oder einen Zufall handeln, "aber da es bei zwei Parametern – der Hubble-Konstante und der Klumpungstendenz – eine Diskrepanz in den Messwerten gibt, wird das immer unwahrscheinlicher. Das deutet darauf hin, dass hier was nicht stimmt. Irgendwann brauchen wir ein neues Modell."

Die Suche geht weiter – Weltraumteleskope sollen die Materie im Universum erforschen

Um mehr über diese mysteriöse Materie in unserem Universum zu erfahren, schicken Raumfahrtbehörden verschiedene Weltraumteleskope in den Weltraum. Die europäische Behörde Esa will beispielsweise zwischen Juli und September 2023 das Euclid-Weltraumteleskop ins All befördern. Mit ihm soll eine gigantische 3D-Karte erstellt werden, die ein Drittel des Himmels ablichten soll – Milliarden von Galaxien, die sich in einer Entfernung von bis zu zehn Milliarden Lichtjahren befinden.

Mit dem Euclid-Satelliten soll gezeigt werden, wie sich das "dunkle Universum" entwickelt hat. Deshalb wird die dritte Dimension der Karte den Faktor Zeit bestimmen. Fragen zur tatsächlichen Existenz von dunkler Energie und zur dunklen Materie sollen geklärt werden.

Ende 2023 will sich auch China solchen Fragen widmen und wird sein Xuntian-Weltraumteleskop ins All befördern. Es soll in eine gemeinsame Umlaufbahn mit der eigenen Tiangong-Raumstation gebracht werden. Während der mindestens sechseinhalb Jahre andauernden Lebensdauer sollen etwa 40 Prozent des Himmels durchmustert werden.

Die Suche nach den Antworten über den Anteil, die Aufgaben und die Struktur der im Universum vorhandenen Materie hat somit erst begonnen.

Studien

  • Die Studie wurde am 31. Januar 2023 um 19:00 Uhr (MEZ) im Fachmagazin Physical Review D unter dem Artikel "Cosmological Parameters Improved by Combining Data" (engl. Verbesserte kosmologische Parameter durch Kombination von Daten) publiziert. Die Studientitel lauten "Joint analysis of Dark Energy Survey Year 3 data and CMB lensing from SPT and Planck. I-III" (engl. Gemeinsame Analyse von Dark Energy Survey Year 3 Daten und CMB Lensing von SPT und Planck. I-III).
  • Die Studie von Hildebrandt et al. wurde am 13. Januar 2020 unter dem Titel "KiDS+VIKING-450: Cosmic shear tomography with optical and infrared data" (engl. KiDS+VIKING-450: Kosmische Schertomographie mit optischen und infraroten Daten) im Fachmagazin Astronom and Astrophysics veröffentlicht.

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