Hybridisierung Wölfe und Hunde: Warum Vermischung ein Problem ist

Seit fast einem Jahr sind die Thüringer Wölfin und ihre Wolfshund-Jungen ein Politikum. Dabei gibt es viele Irrtümer, etwa die Mischlinge könnten besonders zutraulich sein. Aus Sicht von Forschung und Naturschutz liegt das Problem woanders.

Wolfhund-Mischling mit einem Stock
Ein Wolfshund: Für Artenschützer wäre es ein Problem, wenn sich Wolfs-Hund-Mischlinge in der Natur durchsetzen würden. Bildrechte: IMAGO

Die kleine Meldung klingt durchaus dramatisch: "Experten warnen – in Deutschland sind mehr Wolf-Hund-Mischlinge zu erwarten", lautet die Überschrift einer kurzen, wenige Zeilen langen Nachricht, die Mitte Juni von einer Nachrichtenagentur verschickt wird. Das Umweltministerium von Rheinland-Pfalz warnt darin, sogenannte Hybride zwischen Wolf und Hund könnten theoretisch überall dort gezeugt werden, wo Hunde und Wölfe zusammentreffen. In Deutschland, einer Nation voller Hundefreunde würde das bedeuten: Praktisch überall.

Droht in Deutschland ernsthaft eine Vermischungswelle von Wölfen und Hunden?

Wolf in freier Wildbahn von einer Fotofalle aufgenommen
Bildrechte: Bundesforst

Auf Nachfrage erklärt die Sprecherin des Umweltministeriums allerdings, es gebe keinen aktuellen alarmierenden Fall, man habe lediglich auf eine Medienanfrage geantwortet. Sprich: Die Kollegen der Nachrichtenagentur waren wohl auf der Suche nach einem Thema für das Sommerloch und hatten einfach mal eine E-Mail geschickt. Tatsächlich wurden erst zwei Fälle bekannt, in dem ein Wolf und ein Hund gemeinsamen Nachwuchs zeugten, seitdem die Wölfe Anfang der 2000er-Jahre von Polen nach Deutschland einwanderten.

2003 brachte eine Fähe, also eine Wölfin, sechs Mischlingsjunge zur Welt, die später eingefangen und eingeschläfert wurden. Das war in der Nähe des Dorfes Neustadt/Spree in Ostsachsen. Der zweite Fall ist die Wölfin auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf im südlichen Thüringen, die seit Sommer 2017 Schafshirten, Öffentlichkeit und Politik beschäftigt. Sie brachte sechs Junge zur Welt von denen bislang offenbar drei gestorben sind, während die anderen drei noch durch die Wälder streifen.

Sind Hybride gefährlicher für Menschen?

Im Grunde dürften Mischlinge von den Menschen nicht angerührt werden. Weil der Wolf unter strengem Naturschutz steht, sind auch seine Jungen geschützt, selbst wenn es sich um Hybride handelt. Praktisch argumentieren aber auch Artenschützer für eine "Entnahme" der Tiere, also für deren Abschuss oder zumindest ihrer Gefangennahme. Aber warum eigentlich?

Wolfhund-Mischling mit einem Stock
Ein gezähmter Wolfshund. Bildrechte: IMAGO

Immer wieder liest man davon, die Wolfshunde könnten zutraulicher zu Menschen sein, weniger Scheu haben, einfach aufgrund ihrer Hundevorfahren. Bei Hunden haben Züchter in tausenden Jahren Arbeit ja versucht, die Bereitschaft zur Kooperation mit den Menschen ins Erbgut hinein zu selektieren. Praktische Belege dafür, dass solche Verhaltensweisen von Hunden auf Wölfe übergehen können, gibt es allerdings keine. Im Gegenteil, als man 2003 versuchte, die Mischlingsjungen der Lausitzer Wölfin einzufangen und in einem Gehege zu halten, starben diese am Stress der Gefangenschaft.

Wolf-Hund-Hybriden: Gefährlich?

Hinweise darauf, dass wildlebende Hybriden gefährlicher sind für den Menschen, gebe es nicht, schreibt das deutsche Bundesamt für Naturschutz auf Anfrage von MDR-Wissen und beruft sich auf den italienischen Biologen und Wolfsforscher Luigi Boitani. Weder gibt es Belege dafür, dass Hybride eher die Nähe zu menschlichen Siedlungen suchen, noch dass sie mit Vorliebe Nutztiere wie Schafe angreifen. Auch der österreichische Wolfsforscher Kurt Kotrschal von der Universität Wien hält den Anteil in die Gene hineingezüchteter Verhaltensweisen bei Hunden für gering.

Angezüchtete Verhaltensweisen gibt es eigentlich nicht, fast alles was Hunde tun, kommt von den Wölfen. Bloß die Weltsichten und Verhaltensbereitschaften haben sich verändert.

Kurt Kotrschal, Universität Wien

Wie unterschiedlich sind Wolf und Hund?

Freilich gibt es Unterschiede zwischen Wölfen und Hunden. Etwa zeigen viele Experimente, dass Wölfe schneller und besser mechanische Zusammenhänge begreifen und untereinander besser kooperieren. Grund dafür sei Selektion, schreibt der Philosophie-Professor Mark Rowland in seinem Buch "Der Philosoph und der Wolf". Dort überleben die Tiere, die schnell verstehen, ob ein umgestürzter Baum über einen Abgrund eine sichere Brücke ist oder nicht. Hund hingegen schneiden bei solchen Tests deutlich besser ab, bei denen es darum geht, zu verstehen, was ein Mensch will.

Hinweise, dass diese Fähigkeiten vom Hund auf einen Hybriden übergehen, gebe es nicht, sagt Carsten Nowak, Naturschutzgenetiker bei der Senckenberg-Gesellschaft und Mitglied der Deutschen Beobachtungs- und Beratungsstelle zum Thema Wolf (DBBW).

Eher ist das Gegenteil der Fall, die die Hybriden verhalten sich mehr wie Wölfe. Das wird auch zum Problem für Hundezüchter, die sich Wölfe als Partner holen, weil sie glauben, ihre Zucht würde dadurch stärker. Sie verlieren dabei nämlich oft Eigenschaften, die mühevoll über viele Generationen in der Hundezucht herausselektiert wurden.

Carsten Nowak, Senckenberg-Gesellschaft

Das Problem mit den Wolfsmischlingen sehen Artenschützer an einer anderen Stelle: Sie befürchten, dass es durch unkontrollierte Paarung zwischen Wölfen und Hunden eines Tages genetisch gesehen keine Wölfe mehr geben könnte. Die Genetiker nennen diesen Prozess "Introgression": Ausgewachsene Mischlinge könnten sich mit anderen Wölfen paaren und dadurch mehr und mehr Hunde-Gene in die Wolfspopulation tragen.

Warum Vermischung ein Problem ist

Biologisch gesehen ist die Vermischung von Hunden und Wölfen kein Problem. Beide gehören zur Tierfamilie der Caniden- also der Hundeartigen, und sind so eng miteinander verwand, das Kurt Kotrschal es für klüger hält, nicht von verschiedenen Arten zu sprechen. Genetiker Carsten Nowak sagt, die Unterschiede in der DNA seien minimal und nur mit speziellen Methoden auffindbar.

Es sind wenige Stellen sehr wenige Stellen im Genom, an denen sich Hunde und Wölfe unterscheiden. Die Unterschiede zwischen verschiedenen Wolfspopulationen können dabei größer sein, als zwischen einem Wolfsrudel und einer Hundeart. Man sieht aber, dass es bestimmte Stellen gibt, die sich unterscheiden, je nachdem, ob eine Hundeart domestiziert wurde oder ob es sich um eine wildlebende Art, also einen Wolf oder auch einen Schakal, handelt. Man sieht, dass diese Punktmutationen durch Zucht herausselektiert wurden.

Carsten Nowak, Senckenberg-Gesellschaft

Seit ihrer Domestizierung zum Haushund haben sich Hunde aber wohl immer wieder auch mit Wölfen gepaart. Bei einert tiefgehenden DNA-Untersuchung stellten die britisch-polnische Biologin Malgorzata Pilot und ihr Team fest: Rund 62 Prozent der von ihr untersuchten Wolfserbinformationen aus Europa und Asien enthielten Gene, die auf Hundevorfahren schließen ließen. Carsten Nowak sagt deshalb: "Der Haushund gehört in den letzten 10.000 bis 20.000 Jahren zur Evolution des Wolfes dazu."

Diese "Introgression" muss also nicht unbedingt problematische Verhaltensweisen hervorbringen. Sie ist für Artenschützer einfach auch deshalb ein Problem, weil Vielfalt verloren geht, wenn sich alle unterschiedlichen genetischen Varianten so miteinander vermischen, dass es am Ende nur noch eine gibt.

Stockentenpaar am Wasser
Bildrechte: IMAGO

Die US-Biologen Judith Rhymer und Daniel Simberloff warnten bereits 1996 davor, dass bei vielen Spezies genetisch verschiedene Populationen ausgelöscht werden könnten, weil sich durch Hybridisierung ein bestimmter Typ durchsetze und die anderen Typen zum Verschwinden bringt. Im Aufsatz "Extinction by Hybridization" führen die beiden das Beispiel der europäischen Stockenete dafür an.

Der Allerweltsvogel, der in Deutschland zahlreiche Teiche und Tümpel bewohnt, sei beispielsweise in Neuseeland oder Hawaii drauf und dran, die dort heimischen Entenarten durch Einkreuzung zum Verschwinden zu bringen. Immer mehr dieser Vögel sähen auch äußerlich aus, wie die europäische Unterart. Das ist einerseits ein Problem für die genetische Vielfalt, die dadurch deutlich abnimmt. Andererseits kann solche Hybridisierung aber auch zum Verlust von Anpassungsfähigkeit führten.

Alpensteinbock (Capra ibex, Capra ibex ibex), Bock klettert an einem felsigen Berghang
Bildrechte: IMAGO

Ein Beispiel dafür liefert der Alpensteinbock: Als Naturschützer diese Art, einstmals in der Hohen Tatra heimische und dort ausgerottete Art, wieder ansiedeln wollten, vermischten sie die Tiere dabei mit einer anderen Ziegenart aus dem Nahen Osten. Dadurch verloren die gemeinsamen Nachkommen ihre Fähigkeit, Nachwuchs nur zu klimatisch günstigen Jahreszeiten zur Welt zu bringen. Die Tiere bekamen ihre Jungen nun auch dann, als es dafür in der Hohen Tatra zu kalt war. Die eben angesiedelte Steinbockpopulation starb wieder aus.

Neue Mischlingsfälle gegenwärtig nicht in Sicht

Solche Probleme sind bei den Wolfs-Hund-Hybriden zwar nicht zu sehen. Artenschützer befürchten aber, dass sich eingekreuzte Hundegene besonders dann, wenn die Wolfspopulation noch klein ist, unkontrolliert ausbreiten können und Hybride dann zur vorherrschenden Unterart werden. Wären aber Menschen noch bereit, diesen Tieren Naturschutz zu gewähren? Diese Frage nach der Akzeptanz hält Genetiker Carsten Nowak für das größte Problem und daher für das stärkste Argument, Hybridisierung nach Möglichkeit zu verhindern.

Tatsächlich scheint die Gefahr neuer Mischlingswesen aktuell nicht groß zu sein. Fast überall sind Wölfe jetzt nur noch als Paar oder als Rudel anzutreffen und solange die Tiere wilde Partner finden, sei ihr Interesse an Hunden gering, sagen Forscher und Behörden. Eine einzelne Wölfin, die noch vor einem Jahr ein Revier im Osten Niedersachsen durchstriff, ist laut aktuellem Monitoring offenbar weitergezogen oder gestorben. Und auch in Ohrdruff, wo die Wölfin noch ohne Wolfspartner lebt, gibt es laut Bundesforstamt aktuell keine Anzeichen für neuen Nachwuchs.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | LexiTV | 05. Juni 2018 | 15:00 Uhr