Oktopoden haben sehr komplexe „Kamera“-Augen, wie bei diesem Jungtier zu sehen ist
Oktopoden (der wissenschaftliche Plural von "Oktopus") haben sehr komplexe „Kamera“-Augen, wie bei diesem Jungtier zu sehen ist Bildrechte: Nir Friedmann

Hirnforschung MicroRNA: Das hat unser Gehirn mit dem vom Oktopus gemeinsam

26. November 2022, 12:00 Uhr

Oktopusse gehören zu den faszinierendsten Geschöpfen im Tierreich – unter anderem sind ihre Gehirne den menschlichen sehr ähnlich. Berliner Forschende haben nun eine mögliche Erklärung dafür gefunden. Demnach könnte es am Anteil von microRNA im Nervengewebe der Tiere liegen, der sich auf einem vergleichbaren Level wie bei Wirbeltieren befindet.

Die Liste der außergewöhnlichen Eigenschaften von Oktopussen ist lang: So besitzen die Meeresbewohner nicht nur drei Herzen, sind dank blauem Blut klimaresistent und können sich per Turboantrieb fortbewegen. Sie reagieren auch auf Ecstasy ähnlich wie Menschen und werden dann kuschelig.

Nicht zuletzt ist das extrem hochentwickelt Gehirn der Kraken für Forschende interessant. Keine anderen Tiere außerhalb der Wirbeltiere kann einen solchen Denkapparat vorweisen, wobei bei den Oktopussen noch hinzukommt, dass sie auch mit den Tentakeln denken können, in denen ein Teil des ca. 500 Millionen Neuronen großen Nervennetzes steckt.

Schlüssel liegt in der microRNA

Wissenschaftler vom Berliner Max-Delbrück-Centrum (MDC) und vom Dartmouth College in den USA haben nun einen Grund dafür gefunden, warum sich Menschen- und Oktopus-Gehirne so sehr ähneln, obwohl sie sich evolutionär schon vor langer Zeit auseinanderentwickelt haben. Demnach liegt der Schlüssel in der sogenannten microRNA (miRNA), einer Ribonukleinsäure, die für die Genregulation von Bedeutung ist. "Dies ist unsere Verbindung zu den Oktopussen", erklärt Prof. Nikolaus Rajewsky, Studienautor und Wissenschaftlicher Direktor am MDC.

Laut der Untersuchung spielt die miRNA allgemein eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von komplexen Nervensystemen. Die Forschenden fanden in ihrer Studie bei den Oktopussen insgesamt 42 neuartige miRNA-Familien – vor allem im neuronalen Gewebe und im Gehirn. Aus der Erkenntnis heraus, dass sie während der Evolution der Tiere erhalten geblieben sind, schlossen sie, dass diese Ribonukleinsäuren von Vorteil für die Oktopusse und letztlich entscheidend für ihre Entwicklung und ihr Überleben sein müssen.

Wie Aliens auf Erden

"Dabei handelt es sich um die drittgrößte Menge an microRNA-Familien im Tierreich und die größte außerhalb der Wirbeltiere", erläutert Dr. Grigory Zolotarov, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. Dazu liefert der Experte den anschaulichen Vergleich mit Austern, die wie die Oktopusse zu den Weichtieren gehören, aber seitdem sie sich von letzteren evolutionär getrennt haben, nur fünf neue miRNA-Familien entwickelt haben – während es bei den Kraken ganze 90 waren. Und Austern seien nicht gerade besonders für ihre Intelligenz bekannt, so Zolotarov.

Ebenfalls faszinierend bei den Oktopussen sind ihre Augen, die ähnlich komplex wie bei Menschen ausfallen und Kameras gleichen. Wenn man den Tieren in die Augen schaue, könne man eine besondere Art von Intelligenz fühlen, meint Prof. Rajewsky. Der Wissenschaftler geht sogar so weit, sie mit Außerirdischen zu vergleichen: "Man sagt, dass wenn man ein Alien treffen will, man nur schwimmen gehen und sich mit einem Oktopus anfreunden muss."

Rajewski will sich künftig mit anderen Oktopus-Experten zusammenschließen und ein Europäischen Netzwerk formen. Die Gemeinde der Kraken-Freunde wachse weltweit, so der Biologe, der betont, wie faszinierend es sei, eine Intelligenz zu erforschen, die sich völlig unabhängig von der menschlichen entwickelt hat.

cdi

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