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Ein korpulenter Mann und eine sportliche Frau stehen sich gegenüber. Die Zahl 10 als Wasserzeichen im Hintergrund. 13 min
Der kleine Unterschied | Frau und Mann Bildrechte: MDR

Große Fragen in 10 Minuten Der kleine Unterschied – zwischen ihr und ihm

07. März 2023, 11:12 Uhr

Meine Frau ist kleiner als ich, hat ein kleineres Gehirn, ein kleineres Herz, weniger Bizeps, weniger Fett am Bauch als ich, aber mehr an der Hüfte, sie hat mittlerweile viel mehr Haare auf dem Kopf als ich und sie denkt anders als ich. Mein Risiko für Herzinfarkt ist höher, ihres für Osteoporose. Trotzdem ist unser Erbgut nahezu identisch! Aber was passiert in unseren Körpern, wieso laufen in Frauen und Männern unterschiedliche Prozesse ab? Und warum sterben Männer eher als Frauen?

Ich würde ja gerne gleich in die Vollen gehen und erzählen, warum die Männer fette Bäuche kriegen und die Frauen eher einen dicken Po ... aber das Faszinierende an der Geschichte ist, wie es dazu kommt, wie winzig die Ursache dafür ist, dass wir so verschieden sind. Dass wir deshalb unterschiedliche Geschlechter haben, weil wir unterschiedliche Chromosomenpaare haben, Frauen XX und Männer XY, wissen wir aus der Schule. Das ist aber auch nur der ganz grobe Plan vom lieben Gott. Denn auch das Y-Chromosom beim Mann wäre nichts wert, würde da nicht ein ganz spezielles Gen sitzen, ohne das wir keine Glatze, keine dicken Bäuche oder tiefere Stimmen bekämen: Das sogenannte SRY Gen – ein Gen, das ich bisher auch nicht kannte. Dieses Gen und seine Aktivität entscheidet über etwas ganz Wichtiges, sagt Professor Johannes Lemke, Leiter des Instituts für Humangenetik an der Universität Leipzig: "Wenn das vorhanden ist, wird der Embryo Hodengewebe entwickeln. Dieses Hodengewebe wird am Ende Testosteron entwickeln. Das Testosteron führt dann dazu, dass ich äußere männliche Geschlechtsmerkmale auspräge. Ist kein SRY-Gen auf dem Y-Chromosom vorhanden, weil zum Beispiel kein Y-Chromosom da ist, entwickeln sich kein Hodengewebe und damit auch keine männlichen Geschlechtsorgane."

Sein oder nicht sein – Hoden oder Eierstöcke, Testosteron oder Östrogen – das ist die entscheidende Frage. Es geht letztlich darum, welche Chemiefabrik in unserem Körper die Maschinen anwirft. Das macht den Unterschied, und der ist tiefgreifender und grundlegender als wir lange dachten. Er führt dazu, dass Frauen- und Männerkörper im Detail und manchmal auch grundsätzlich anders funktionieren, dass wir andere Medikamente brauchen, andere Dosierungen. Wir sind jetzt erst dabei zu verstehen, warum Männer eher sterben und bei Frauen eben später die Haare ausfallen. Dazu später mehr.

Was passiert in der Pubertät?

Aber gehen wir nochmal einen Schritt zurück. Hormonelle Unterschiede gibt es vor der Pubertät zwischen Jungen und Mädchen weniger. Das Auseinanderdriften beginnt an dem Punkt, an dem die Hormone reinknallen, wenn die Eierstöcke und die Hoden loslegen. Damit beginnen die Hauptakteure Östrogen und Testosteron unsere Zellen und unsere Körper zu verändern. Beide Hormone sind bei allen mit im Spiel, bei Mädchen und Jungen. Und es geht darum, welches Hormon die Oberhand bekommt. Und je nachdem wie es ausgeht, entscheidet sich wann und wo die Haare wachsen und wie sich bei den Jungen die Stimme verändert. Dr. Lennart Pieper arbeitet an der Klinik für Audiologie und Phoniatrie der Berliner Charité.

Er sagt: "Der kleine, aber feine Unterschied bezüglich der Stimmgebung liegt letztlich in der Größe des Kehlkopfes, beziehungsweise der Größe der Stimmlippen. Männer haben längere und massereichere Stimmlippen als Frauen und können dadurch auch tiefere Töne produzieren. Dieser Größenunterschied entsteht erst so richtig mit der Pubertät. Durch den Einfluss der Sexualhormone kommt es beim Jungen im Rahmen der Pubertät zum sogenannten Stimmwechsel. In der Medizin sprechen wir von Mutationen, von der Größenzunahme von elf Millimetern der Stimmlippen. Und bei den Mädchen sind es gerade mal vier Millimeter."

Testosteron, Östrogen: Was macht das im Körper?

Jetzt sind wir genau da, wo ich eigentlich hin wollte. Was macht das mit uns, dass wir diese unterschiedlichen Chemiefabriken in uns haben? Das Testosteron, also der Hoden bestimmt nicht nur, dass Männer schnelle Autos fahren wollen und aggressiver sind, und das Östrogen ist nicht nur am Kochen und Putzen schuld. Ihr entschuldigt bitte diese Klischees, Ihr wisst, was ich damit sagen will. Ich habe das früher nur so hingenommen, dass das so ist, aber warum und welche Konsequenzen das hat, außer den äußerlich Sichtbaren, das habe ich mich nicht gefragt. Jenseits dieser Unterschiede waren Männer und Frauen für mich gleich.

Die Stimmlippen sind nur ein Beispiel, wohin die Reise geht. Auch Männerhirne sind durchschnittlich größer, genau wie Männerherzen. Das heißt aber nicht, dass Männer klüger sind und besser durchblutet werden. Wie immer gibt es nicht nur Entweder-Oder/Schwarz oder Weiß. Hellere und tiefere Stimmen, größere und kleinere Köpfe gibt es bei Frauen und Männern ...  Die Menge und die Wirkung von Hormonen spielt selbst innerhalb eines Geschlechtes eine wichtige Rolle. Nicht nur, wie viel Hormone im Körper herumschwirren spielt eine Rolle, sondern auch wie viel davon in den Zellen des Körpers ankommt.

Sowohl männliche, als auch weibliche Hormone wirken an den Zellen nur über bestimmte, geschlechtsspezifische Rezeptoren. Vielleicht kann man sich das ganz simpel vorstellen, wie wenn das Versorgungsraumschiff an der ISS andocken will, aber die Kupplung passt nicht. Professor Matthias Blüher, Direktor des Helmholtz-Instituts für Metabolismus-, Adipositas- und Gefäßforschung München, erklärt das Prinzip der Rezeptoren so: "Das sind quasi die Schlüssellöcher für den Schlüssel. Der Schlüssel wäre das Hormon, das Schlüsselloch, was genau dazu passt an der Zelle, ist dann der Rezeptor. Und nur, wenn Schlüssel und Schloss gut zusammenpassen, passiert was mit der Zelle. Wenn also das männliche Hormon Testosteron an seinen Rezeptor bindet, führt das eher dazu, dass Muskeln aufgebaut und Fett abgebaut werden. Wenn Östrogen, ein klassisches weibliches Hormon, an seinen Rezeptor bindet, führt das eher dazu, dass Fettgewebe vermehrt wird." Durchschnittlich haben Männer deshalb etwa doppelt so viele Muskelzellen wie Frauen. Obwohl viele gar nichts dafür können. Und Frauen haben mehr Fettgewebe als Männer. Auch dafür können sie grundsätzlich gar nichts.

Das System hinter den Fettablagerungen

In unseren Zellen lassen die Hormone also ein anderes Programm ablaufen – ein männliches und ein weibliches. Natürlich sind sie für die Fettverteilungsmuster verantwortlich. Diese Muster sorgen dafür, dass Männer eben vor allem im Inneren des Bauchraumes Fett anlagern und Frauen eher im Hüftbereich, am Po oder an den Oberarmen. Diese Fettverteilungsmuster entscheiden übrigens auch über Krankheiten und über Abnehmresultate. Das männliche Fett dient eigentlich nur als kurzfristiger Speicher für den Ernstfall. Es hat die spezielle Eigenschaft, schnell Energie bereitzustellen, wenn es darauf ankommt – und verschwindet dadurch auch schneller wieder. Bei Frauen ist der Speicher dagegen eher langfristig angelegt. Und umso schwieriger ist es auch, Pfunde wieder loszuwerden.

Diese Unterschiede kennen wir seit Tausenden von Jahren, ohne genau zu wissen, woran das liegt. Professorin Eva Brinkschulte, Leiterin des Instituts für Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg sagt: "Natürlich hat man bestimmte Unterschiede gekannt, die offensichtlich waren, also von außen erkennbar, weil man andere Daten und Fakten noch nicht wusste. Die Unterschiede jetzt runtergebrochen, wie wir das heute machen können, dass es hormonelle Unterschiede gibt, die auch Auswirkungen auf Krankheitsverläufe haben: Das Wissen war natürlich noch nicht in den heute bekannten Details vorhanden." Und natürlich gibt es auch Krankheiten, die eher Männer und weniger die Frauen treffen und umgekehrt.

Was kann Östrogen, was Testosteron nicht kann?

Und da wir gerade beim Körperfett waren, gibt es zunächst eine gute Nachricht für Frauen: Übergewichtige Frauen sind im Durchschnitt deutlich gesünder als übergewichtige Männer. Zumindest bis zu den Wechseljahren. Entscheidend dafür, dass Männer häufiger an Herzinfarkten sterben, ist nicht so sehr ihre Lebensweise, Frauen bekommen nicht deswegen weniger Schlaganfälle, weil sie mehr Äpfel essen als Männer. Das Risiko, bestimmte Erkrankungen zu bekommen, ist abhängig von Geschlechtshormonen. Testosteron ist Ursache vieler Infarkte, wir wissen mittlerweile auch: Weibliche Hormone schützen Gefäße und wirken entzündungshemmend. Bauchfett fördert Entzündungen und sorgt für hohen Blutdruck. Weibliche Hormone machen dagegen anfälliger für Osteoporose und Autoimmunerkrankungen wie Rheuma. Erst, wenn dann im Alter die weiblichen Hormone den männlichen Platz machen, also ab den Wechseljahren, beginnt auch bei Frauen der Bart zu wachsen, die Haare werden lichter, Herzinfarkte & Co. werden häufiger.

Aber obwohl sich das alles so klug anhört, sind wir erst am Anfang, den kleinen/großen Unterschied zwischen Frau und Mann zu verstehen. Wenn Männer zum Arzt gehen und der linke Arm, der Rücken oder die Brust weht tut, dann geht's schnell zu den Herzspezialisten. Ruft eine Frau den Notarzt, weil der Bauchraum schmerzt, stellt sich oft und zu spät im Nachhinein raus, oh, das war ja auch ein Herzinfarkt. Jetzt hoffe ich nur, dass wir schleunigst nachholen, was wir bisher versäumt haben, nämlich den biologischen Unterschied zwischen Mann und Frau ernst zu nehmen und zu erforschen. Ich will nämlich, dass meine Frau – falls es mal Not tut – genauso gut behandelt wird wie ich.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der tödliche Unterschied | 12. März 2022 | 22:20 Uhr