Jugendforschung Pubertät: Darum beginnt sie immer früher

14. November 2021, 17:00 Uhr

Die Pubertät beginnt für die meisten Kinder heute im Schnitt mindestens ein Jahr früher als noch vor rund 50 Jahren, zum Beispiel bei ihren Großeltern. Warum ist das so und warum sind einige Kinder eher dran als andere?

Sowohl Mädchen als auch Jungen kommen heute früher in die Pubertät als vor einigen Jahrzehnten. Laut einer internationalen Metastudie setzen bei Mädchen die Veränderungen im Durchschnitt ein Jahr früher ein als noch vor Mitte der 1970er-Jahre. Bei Jungen ist die Tendenz ähnlich. Die Autoren hatten dafür 30 einzelne Studien ausgewertet.

Was treibt die Pubertät voran?

Dass die Veränderungen bei Kindern immer früher einsetzen, erklären Experten vor allem mit der Ernährung, mit Hygiene und einem besseren Gesundheitsstatus im Allgemeinen. Eine besondere Rolle für das Einsetzen der Pubertät spielt das Körpergewicht, vor allem bei Mädchen. Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts ist das deutlich gestiegen. Zudem zeigen Studien, dass Mädchen mit höherem BMI und mehr Körperfett eher ihre Menstruation bekommen als ihre schlankeren Altersgenossinnen. Auch das Brustwachstum beginnt bei ihnen eher, wie eine Studie des Cincinnati Childrens Hospital Medical Center an 1.200 Mädchen zeigt.

Mehr Gewicht, mehr Östrogen

Übergewichtige Mädchen haben mehr Östrogen im Blut als Normalgewichtige. Dieses Hormon sorgt gemeinsam mit anderen Botenstoffen dafür, dass die Regelblutung ausgelöst wird. Der Mechanismus, wie es zu einer vermehrten Sexualhormon-Produktion bei übergewichtigen Kindern kommt, wird noch diskutiert: Am wahrscheinlichsten ist, dass Sättigungshormone wie Insulin, Leptin und der Insulin-like Growth Faktor 1 (IGF-1) dafür verantwortlich sind. All diese Stoffe werden bei Übergewicht vermehrt ausgeschüttet. Sie regulieren nicht nur das Sättigungsgefühl und den Energiehaushalt, sondern sie nehmen auch Einfluss auf die Sexualhormone – und damit auf die Pubertät.

Welche Rolle spielen von Umweltgifte?

Inwiefern chemische Stoffe wie Phtalate, PHA´s (Polyhydroxy Säuren) oder Bisphenol A das Hormonsystem beeinflussen, wird immer wieder untersucht und diskutiert. Diese Verbindungen finden sich zum Beispiel in Plastikprodukten und Kosmetika, werden bei deren Verwendung in kleinen Mengen kontinuierlich freigesetzt und können so vermutlich den Östrogenhaushalt beeinflussen. Eine 2019 veröffentlichte Langzeitstudie der Universität Berkeley bestätigte diesen Zusammenhang bei Mädchen. Seit 1999 untersuchten die Wissenschaftler dafür für 338 Schwangere und deren Kinder und testeten, mit welchen Mengen der als hormonaktiv verdächtigen Substanzen sie belastet waren.

Das Ergebnis: Enthielten Mütter besonders viel Monoethylphthalat, eine Vorläufersubstanz von Diethylphthalat, so setzte die Schamhaarentwicklung der Töchter durchschnittlich etwa sechs Monate früher ein. War das Antiseptikum Triclosan in größeren Mengen bei der Mutter nachzuweisen, führte das zu einer um knapp fünf Monate früheren ersten Menstruation. Jungen reagieren offenbar nur auf Propylparabene – mit einer früheren Reifung der Geschlechtsorgane.

Beschleunigt Stress die Pubertät?

Nach der so genannten "Life-History-Theorie" setzt ein Lebewesen alles daran, um unter den jeweiligen Umständen bestmöglich für den Fortbestand seiner Art zu sorgen. Im Hinblick auf Kinder und Jugendliche und Stress hieße das: schneller geschlechtsreif werden, also eher in die Pubertät kommen.

Eine amerikanische Studie von 2019 stützt diese Theorie. Die Wissenschaftler untersuchten knapp 250 Kinder zwischen 8 und 17 Jahren. 25 Prozent von ihnen hatten angegeben, sie seien sexuell missbraucht worden, 42 Prozent hatten andere Misshandlungen erlitten. 16 Prozent der Kinder hatten Phasen erlebt, in denen sie nicht ausreichend ernährt wurden. Das Ergebnis: Kinder, die Gewalterlebnisse erfahren hatten, waren in ihrer Pubertät weiter fortgeschritten als diejenigen, die unter Hunger gelitten hatten.

Bei der Untersuchung der DNA der Studienteilnehmer zeigte sich ein erhöhtes Maß an sogenannten Methylierungen. Das sind epigenetische Veränderungen, die häufig als Grund dafür angesehen werden, wie seelischer Stress oder eben auch seelisches Wohlbefinden die körperlichen Funktionen dauerhaft beeinflussen und damit auch Auswirkungen auf den unterschiedlichen Verlauf der Pubertät haben.

Was bedeutet der Alltag mit einem "frühen Pubertier"?

Das Erwachsenwerden ist für alle eine Achterbahn der Gefühle. Das liegt vor allem an der großen Diskrepanz zwischen körperlicher und geistiger Reife und ist umso größer, je jünger die/der Pubertierende ist. Mögliche Folgen: die Neigung zu geringerem Selbstbewusstsein und zur Depression als bei den Altersgenossen. Was außer Liebe, Geduld und Rückhalt hilft, weiß der Expertenrat mit Familientherapeutin Diana Jentzsch.

krm

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