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Bildrechte: imago/Nature in Stock

Mehr Urwald, weniger ParkLebendige Ökosysteme statt gepflegter Landschaft

26. April 2019, 15:26 Uhr

In vielen Weltgegenden wollen Menschen stark zerstörte oder veränderte Natur reparieren. Forscher aus Halle raten: Statt einem Idealbild von Ökosystem sollte das gesunde Zusammenspiel der Arten im Vordergrund stehen.

Ob es der Natur in einer wieder begrünten Industrielandschaft gut geht, hängt nicht so sehr davon ab, ob sich ganz spezifische Tier- und Pflanzenarten angesiedelt haben. Es kommt vor allem auf das Zusammenspiel der verschiedenen Lebewesen eines Ökosystems an. Das sorgt dafür, dass sich die Natur selbst erhalten und wieder regenerieren kann, schreiben Wissenschaftler der Universität Halle und des Zentrums für integrierte Biodiversitätsforschung(iDiv) jetzt in Science, einem der renommiertesten Wissenschaftsjournale der Welt.

Zusammenspiel der Arten

"Viele Ökosysteme sind deshalb heute nicht mehr in der Lage, wichtige Aufgaben, wie den Hochwasserschutz, zu erfüllen", sagt Professorin Henrique Pereira, die an der Uni Halle und am iDiv forscht. Das Problem von Umweltschutzmaßnahmen in der Vergangenheit: Lange wurden beispielsweise das Zusammenspiel verschiedener Arten in Nahrungsketten zu wenig beachtet.

Pereira und ihre Kollegen raten daher: Im Vordergrund einer Renaturierung sollten nicht Idealbilder stehen, welche Pflanzen und Tiere wieder angesiedelt werden müssen. Stattdessen zählen die komplexen Funktionen, die ein Ökosystem dazu fähig machen, sich zu erhalten und zu regenerieren. Solche Ansätze werden weltweit unter dem Stichwort "Rewildering", also "Rückverwilderung" zusammengefasst.

Verwilderung zulassen

"Beim Rewildering richtet man den Blick auf das Ökosystem als Ganzes und versucht durch gezielte Maßnahmen, seine Funktionalität wiederherzustellen. Ziel ist ein Ökosystem, das sich auf lange Sicht weitgehend ohne menschliche Hilfe regeneriert und selbst erhält", sagt Andrea Perino, die Erstautorin des Berichts in Science.

Naturschutzgebiet im Oderdelta. Bildrechte: imago/Hohlfeld

Als prominentes Beispiel in Deutschland sehen Perino und Pereira das Oderdelta an der Ostseeküste zwischen Deutschland und Polen. Weil das Ökosystem dort wieder funktioniert, haben sich fast verschwundene Wildtiere wie Seeadler, Wisente und Biber angesiedelt. Davon profitieren auch die Menschen der Gegend, denn der Naturtourismus hat sich gut entwickelt. "So kann Rewilding Vorteile für die Umwelt und die Gesellschaft gleichzeitig entwickeln ", sagt Perino.

Bauplan für Projekte

In ihrem Science-Beitrag stellen die Autoren grundlegende Bausteine und Strategien vor, wie Rewilding-Projekte geplant und umgesetzt werden sollten. Dabei sei vor allem der Blickwinkel wichtig: Statt ein Zielökosystem zu definieren sollen die Funktionen analysiert und repariert und menschliche Einflüsse reduziert werden.

Auch im wichtigsten Naturschutzgebiet von Halle und Leipzig wäre ein solcher Paradigmenwechsel nötig. Im Auenwald könnten Dämme und Wehre reduziert und so, statt künstlicher Flutungen wie bisher, natürlich verwässerte Gebiete sichergestellt werden. So würde das Artenzusammenspiel in den Auen repariert.

Rewilding-Maßnahmen seien aber nur erfolgreich, wenn sie von den Anwohnern unterstützt werden. "Beim Rewilding muss es auch immer darum gehen, die Bevölkerung vor Ort mit in die Projekte einzubeziehen", sagt Perino. Und: Ein Abschluss ist nie erreicht. "Ökosysteme sind dynamisch und deshalb müssen es auch die Maßnahmen sein."

(ens)