Deutsche Forschung Gezüchtete Algen an Windrädern sollen Wasserqualität der Ostsee verbessern
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10. März 2023, 14:23 Uhr
Über dem Meeresspiegel Strom erzeugen, unten am Meeresgrund für bessere Wasserqualität sorgen: Gezüchtete Algen an Windkraft-Fundamenten könnten den Windparks auf der Ostsee einen zweiten Nutzen geben.
"Auch, wenn man es ihr nicht immer und überall ansieht, aber der Ostsee geht es schlecht." Das sagt Meeresökologe Prof. Dr. Ulf Karsten von der Universität Rostock. Zu viele Nährstoffe gelangen ins Meer, sie verschlechtern die Wasserqualität. Ein natürlicher Nährstoff-Fresser sind Algen. "Der Blasentang und andere Algen haben die Fähigkeit, Nährstoffe aus der Ostsee herauszufiltern", sagt Karsten, der gemeinsam mit zwei Rostocker Kollegen ein neues Projekt koordiniert: "Klimafreundliche Offshore-Produktion von Algenbiomasse". Beteiligt sind auch die Universität in Kiel und das Kieler GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung.
Ziel ist nicht weniger, als eine Win-Win-Situation in Offshore-Windparks der Ostsee herzustellen: Oben produzieren die Windräder Strom, unten verbessern sie die Wasserqualität. Wobei "sie" natürlich nicht ganz richtig ist, denn nicht die Windräder selbst sollen das tun, sondern an ihren Fundamenten wachsende gezüchtete Algen, zum Beispiel der Blasentang.
Aktuell arbeitet die Forschungsgruppe an einer Pilotanlage in der Eckernförder Bucht bei Kiel. Dort werden Strukturen gebaut, die denen von Windkraft-Fundamenten ähneln. Auf denen wird dann der Blasentang (Fucus vesiculosus) gezüchtet. Je mehr, desto besser sagt Professor Karsten: "Nährstoffe gibt es auch in der Eckernförder Bucht mehr als genug. Ein ganzer Wald dieser Wasserpflanzen könnte der Bucht deshalb richtig gut tun, indem er reichlich Nährstoffe aufnimmt und so die Wasserqualität verbessert."
Windparks vor Rügen
Fernziel ist aber, den Blasentang etwa 200 Kilometer weiter östlich einzusetzen, an den Fundamenten der Windkraftanlagen, die es vor der Insel Rügen schon gibt und in verstärktem Maße noch geben wird. Mehr als 300 Windräder sind dort bereits in Betrieb oder in kurzfristiger Planung. Weitere werden bzw. müssen bis 2030 mit Sicherheit dazukommen, denn deutsche Offshore-Anlagen sollen dann laut Zielen der Bundesregierung mehr als dreimal so viel Strom produzieren wie heute, und nicht alles wird die Nordsee abdecken können.
Auf der folgenden interaktiven Karte können Sie sehen, wo in der Ostsee jetzt schon Anlagen in Betrieb und in Planung sind.
Damit, den Blasentang an die Fundamente zu bringen, ist es aber nicht getan. Man kann ihn nicht unkontrolliert vor sich hin wachsen lassen. Er würde sich irgendwann zersetzen und die aufgenommenen Nährstoffe wieder ins Meer zurückgeben. Deshalb muss er regelmäßig "abgefischt" werden. In ersten Versuchen hat das schon gut funktioniert.
Wenn alles gelingt wie geplant, dann bringt das weitere Vorteile. Die Seegraswiesen würden zum Beispiel von der verbesserten Wasserqualität profitieren. Sie spielen eine zentrale Rolle im Ökosystem Ostsee. Sie bieten Kleintieren und Fischen sowohl Schutz als auch Nahrung, speichern große Mengen von Kohlendioxid, geben Sauerstoff an das Wasser ab und verfestigen die Sedimente am Meeresboden.
Und der abgefischte Blasentang müsste am Ende idealerweise auch nicht entsorgt, sondern könnte als hochwertige Biomasse einer sinnvollen Verwendung zugeführt werden, zum Beispiel in der Kosmetikindustrie, für die er ein wichtiger Wertstoff sein kann.
Multidisziplinäre Forschung
Die Algen-Aquakultur könnte also auch eine nachhaltige Einkommensquelle sein und darüber hinaus ein Instrument zur Bindung von Kohlenstoff, zur Rückgewinnung von Nährstoffen aus überdüngten Küstengewässern und zur Erhaltung und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt. Aber weil eben so viel möglich ist, gilt es auch, vieles zu bedenken, durchzuspielen und durchzurechnen. Deshalb sind unterschiedlichste Forschungsrichtungen am Projekt beteiligt.
So wird sich Umwelt- und Energieökonomin Katrin Rehdanz mit der sozio-ökonomischen Bewertung beschäftigen. "Neben dem wirtschaftlichen Nutzen für einzelne Branchen, die zukünftig von einer Algen-Aquakultur profitieren könnten, trägt die Makroalgenzucht auch ökologisch zu einer besseren Klimabilanz bei", sagt sie. "Aber auch potenzielle Nutzungskonflikte und Kosten müssen berücksichtigt werden. Diese Aspekte schauen wir uns im Projekt an“, so die Kieler Professorin.
Und noch einen Nutznießer könnte ein erfolgreicher Projektverlauf hervorbringen: die Landwirtschaft. Denn die Vision von Ulf Karsten ist es, die Reste der Algen-Biomasse als Düngerersatz einzusetzen. "Das würde die Humusbildung im Boden anregen und die Bodenfruchtbarkeit steigern." Dazu werden die Rostocker Forscher die Qualität der Biomasse untersuchen und insbesondere überprüfen, wie hoch die Anteile an Zucker, Fetten und Eiweißen sind. Ziel sei es, die Eckernförder Bucht zum Vorbild für andere Regionen im Ostseeraum zu machen.
(rr)