SARS-CoV-2Covid-19-Todesfälle und Übersterblichkeit: Warum es unterschiedliche Statistiken gibt
Sind durch die Covid-19 Pandemie mehr Menschen in Deutschland gestorben als in den Jahren zuvor? Oder gab es keine solche Übersterblichkeit? Warum verschiedene Statistiken zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
- Je nach Wahl des Untersuchungszeitraums und der Verlgeichszeiträume ändert sich, ob es statistisch durch Covid-19 mehr Tote gab als sonst oder eben nicht
- Auch die ständige Veränderung des Altersstruktur der Bevölkerung und der Lebenserwartung müssen berücksichtig werden
"Trotz Covid-19: 2020 keine Übersterblichkeit in Deutschland" lautet Ende Oktober eine Überschrift über einem Beitrag, in dem MDR WISSEN über eine Studie von Forschenden der Universität Duisburg-Essen berichtet. Tenor: Anders als in anderen europäischen Ländern wie Spanien sind in Deutschland im Jahr 2020 trotz der Covid-19-Pandemie nicht mehr Menschen gestorben als in den Jahren zuvor. Kaum sechs Wochen später legt das Statistische Bundesamt (Destatis) eigene Berechnungen vor. Nun lautet die Überschrift plötzlich: "Statistisches Bundesamt: Corona-Pandemie führt zu Übersterblichkeit". Was stimmt nun? Sind durch Corona mehr Menschen gestorben oder nicht?
Unmittelbar vor der Pandemie nur statistisch wenig Todesfälle
Ein Anruf bei Bernd Kowall, er hat die Studie der Forschenden aus dem Ruhrgebiet geleitet. "Es gibt zwei zentrale Unterschiede zwischen unserer Untersuchung und der vom Statistischen Bundesamt", erklärt er. Da ist einerseits die Wahl des Untersuchungszeitraums. Kowall und seine Kollegen wählten das Jahr 2020 von Anfang Januar bis Ende Dezember, während das Statistische Bundesamt seine Rechnung erst mit Beginn der Pandemie im März 2020 begann und Januar und Februar 2021 dazu nahm.
In den ersten beiden Monaten des Jahres 2020 hatte sich SARS-CoV-2 noch nicht in Deutschland verbreitet. Zugleich verlief die saisonale Grippesaison relativ mild. "Hier gab es im Vergleich zu den Vorjahren sogar eine Untersterblichkeit", sagt Kowall. Und während der zweiten Coronawelle im Winter 2020/21 erreichten die Sterbefälle erst im Januar 2021 ihren Höhepunkt. Dadurch umfasste die Ausgangsbasis der Statistiker aus Duisburg-Essen weniger und die des Statistischen Bundesamts mehr Covid-19-Tote.
Vergleichszeitraum und statistische Erwartung sind entscheidend
Entscheidender sei aber der zweite Unterschied, sagt Kowall: die Wahl des Vergleichszeitraums. Während sich das Amt auf die zwölf Monate vor der Pandemie beschränkte, wählten Kowalls Team die vier Jahre 2016, 2017, 2018 und 2019. "Es gibt viele Schwankungen in der jährlichen Sterblichkeit", sagt Kowall. Mal fordere eine starke Sommerhitze viele Tote, mal verlaufe eine Grippesaison besonders tödlich, mal sei beides nicht der Fall. Diese Effekte lassen durch die Wahl mehrerer Vergleichsjahre etwas ausgleichen. "Wenn wir unseren Vergleich nur auf 2019 beschränkt hätten, wäre auch bei uns eine Übersterblichkeit herausgekommen", sagt Kowall.
Grundsätzlich ist die ganze Berechnung aber kompliziert und die Auswahl von beeinflussenden Faktoren genauso schwierig wie folgenreich. Zum Beispiel altert die deutsche Gesellschaft kontinuierlich. So lebten 2016 rund 4,9 Millionen über 80-Jährige in Deutschland. Vier Jahre später, 2020, waren es bereits 5,9 Millionen. Das bedeutet, dass einerseits das Sterberisiko gesehen auf die Gesamtbevölkerung steigt, zugleich aber auch die durchschnittliche Lebenserwartung. Beide Faktoren müssen berücksichtigt werden bei der Frage, ob eine einzelne Ursache wie die Covid-19-Infektionskrankheit nun mehr Todesfälle verursacht hat, als statistisch erwartbar wäre, oder eben nicht.
Endgültige Aussagen erst nach Ende der Pandemie möglich
Die Frage, ob in Deutschland mehr Menschen gestorben sind, als es ohne die Covid-19-Pandemie der Fall gewesen wäre, wird sich vermutlich erst in einigen Jahren wirklich abschließend beantworten lassen, glaubt Kowall. "Etwas Endgültiges wird man erst sagen können, wenn die letzte Coronawelle vorbei ist."