Teller mit Schuppentier
Eklig, oder? Aus dem Disgusting Food Museum in Berlin. Da gibt es allerhand Essen zum Ekeln oder drüber nachdenken. Bildrechte: imago images/Sabine Gudath

Emotionen Warum ekeln wir uns? Und lässt sich der Ekel überwinden?

07. Mai 2023, 05:00 Uhr

Fäkalien und Erbrochenes, Schimmel, Maden oder Lakritz: So gut wie jeder Mensch hat etwas, wovor er sich ekelt. Doch warum ist Ekel ein so wahnsinnig starkes Gefühl? Und kann man trainieren, seinen Ekel zu überwinden?

Meine Challenge

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Ekel gehört, etwa zusammen mit Angst, Freude, Trauer und Wut zu den sogenannten Basisemotionen. Er ist also gewissermaßen ein Teil der menschlichen Gefühls-Grundausstattung. Und: Die Reaktionen auf Ekel sind bei uns Menschen überall auf der Welt ziemlich ähnlich. Was aber als eklig empfunden wird und was nicht, das ist total verschieden.

Das Ekel-Kryptonit des Tatortreinigers

Bestes Beispiel für unser individuelles Ekel-Empfinden: der Leipziger Tatortreiniger Thomas Kundt. Sein Job ist es, Wohnungen auszuräumen, zu säubern und wieder bewohnbar zu machen. Wohnungen, die manchmal überzogen sind mit Blut, Kot, Erbrochenem und Schimmel – eine Aufgabe, bei der vielen Menschen wohl das Frühstück wieder hochkommen würde. "Man muss eben schnell arbeiten", sagt Kundt pragmatisch. Gelegentlich komme auch bei ihm ein leichter Würgereflex auf. "Vielleicht zwei-, dreimal im Jahr, aber bisher nie so extrem, dass ich mich übergeben musste."

Und doch hat auch Tatortreiniger Thomas Kundt, dem wohl viele Menschen aufgrund seines Jobs eine dicke "Ekel-Hornhaut" attestieren würden, einen Ekel-Endgegner. Etwas, das für den Großteil der Menschen ein ganz normales, alltägliches Lebensmittel ist. Welches Essen Tatortreiniger Kundt dann doch so abstoßend findet, dass er es als "sein Kryptonit" bezeichnet, gibt’s hier zu hören (das folgende Symbolbild gibt übrigens einen Hinweis auf die Richtung, in die Kundt's Ekel geht).

Ein Mann sitzt mit Messer und Gabel vor einem Teller mit einer Möhre und streckt die Zunge raus
Kann man sich vor Gemüse ekeln? Bildrechte: IMAGO/Design Pics

Die Evolution des Ekels

Dass es zum einen Dinge gibt, auf die sich relativ viele Menschen als Ekel-Trigger einigen können – etwa diverse Körper-Ausscheidungen – und zum anderen jede und jeder ganz individuelle Ekel-Auslöser hat, liegt an den verschiedenen Erscheinungsformen von Ekel.

Ekel als Emotion hat eine evolutionäre Entwicklung durchlaufen.

Sonja Rohrmann, Psychologie-Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt

"Ursprünglich ist Ekel eine sogenannte Distaste-Reaktion gewesen, eine Reaktion auf schlechten Geschmack und hatte die Funktion, den Körper vor giftigen Substanzen zu beschützen", erklärt Sonja Rohrmann, Professorin für Differentielle Psychologie und Psychologische Diagnostik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. "Das heißt, durch bitter oder sauer schmeckende Substanzen kann man schon bei Säuglingen die typische Ekel-Mimik auslösen."

Ekel hat viele verschiedene Facetten

Diese evolutionär in uns angelegte Ekel-Reaktion hat also eine Schutzfunktion. Doch von der Distaste-Ebene aus hat sich unser Ekel weiterentwickelt und zunehmend einen kulturellen und kognitiven Überbau erfahren, sodass der moderne Mensch zum Beispiel imstande ist, sich auch vor bestimmten Personen oder Handlungen zu ekeln.

Zwischen dem ursprünglichen Distaste und dem in der Forschung sogenannten "Moral Disgust", also dem durch moralische Ablehnung induzierten Ekel, gibt es noch mehrere Zwischenstufen. Etwa jene Stufe, die sich auf menschliche Körper-Ausscheidungen bezieht – fast alle davon finden die meisten Menschen eklig, bis auf eine: Tränen. Warum das so ist und auch, ob wir es bei der Abneigung vor Spinnen oder Ratten eigentlich mit Ekel oder mit Angst zu tun haben, erfahrt ihr in der aktuellen Podcast-Episode "Ich überwinde meinen Ekel".

Warum uns Ekliges neugierig macht

Für die meisten Menschen fühlt sich Ekel eher negativ an. Wir versuchen, dieses Gefühl zu vermeiden. Doch zugleich scheinen uns Ekel-Auslöser auch zu faszinieren: Warum sonst schalten beispielsweise Millionen von Zuschauerinnen und Zuschauern ein, wenn semiprominente Persönlichkeiten im RTL-"Dschungelcamp" Tiergenitalien und Maden essen oder sich von schleimigen Substanzen übergießen lassen?

Evolutionär ist es enorm wichtig, dass wir diesen Kuriositäts-Zwang haben.

Claus-Christian Carbon, Psychologie-Professor an der Universität Bamberg

Dass wir bei so etwas nur schwer weggucken können, hat ebenfalls evolutionäre Hintergründe, erklärt Claus-Christian Carbon, Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre an der Universität Bamberg. Denn ohne diese Neugier nach dem vermeintlich Verbotenen, Gefährlichen – einfach: dem Ekligen – würde der Mensch nicht über Grenzen gehen und sich so beispielsweise neue Nahrungsquellen erschließen.

Raupen der Kleinen Wachsmotte auf altem Bienenwachs.
Ziemlich eklig. Dabei kann man noch nicht mal richtig erkennen, was es ist (Raupen der Kleinen Wachsmotte auf altem Bienenwachs). Bildrechte: imago images/Frank Sorge

Den eigenen Ekel überwinden

"Es muss immer ein paar Menschen geben, die den Ekel überwinden und es einfach versuchen", so Carbon weiter. "Kultur hat es immer wieder geschafft, Ekel zu überwinden und daraus etwas sehr Interessantes zu machen, was etwa nahrhaft war. Aber diese Überwindung ist eben auch ein kultureller Akt und tatsächlich relativ wichtig fürs Überleben einer Gruppe."

Den Ekel zu überwinden, kann sich also lohnen. Und auch Claus-Christian Carbon ist überzeugt: Diese Überwindung lässt sich trainieren. Wie genau, verrät er im Podcast "Meine Challenge", bei der MDR WISSEN-Reporterin Daniela versucht, ihre ganz persönliche, tiefe Abscheu gegen Käse zu überwinden.

Dieses Thema im Programm: MDR+ | Meine Challenge | 05. Mai 2023 | 12:00 Uhr