Canis Lupus Der Wolf, ein fauler Jäger?

25. Februar 2021, 05:00 Uhr

Bei den sieben Geißlein im gleichnamigen Märchen strengt sich der Wolf mächtig an und ersinnt diverse Listen, um an die leckeren Zicklein zu kommen. In der Realität sieht es anders aus, da frisst er das, von dem er am bequemsten satt wird – das zeigt eine Forschungsarbeit zu Wölfen in der Mongolei, an der auch das Senckenbergmuseum Görlitz beteiligt war.

Frau auf Tier
Auf der Spur der Wölfe - Bioklimatologin Nina Tiralla Bildrechte: Nina Tiralla, Uni Göttingen

Gelegenheit macht Diebe, sagt der Volksmund und das trifft auch ganz gut auf Wölfe zu. "Wölfe sind Opportunisten, die fressen das, was am einfachsten verfügbar ist", verdeutlicht Bioloklimatologin Nina Tiralla von der Uni Göttingen im Gespräch mit MDR WISSEN.

Arbeitsplatz mit Kotproben
Wolfskot-Analyse - ein Blick ins Labor Bildrechte: Nina Tiralla

Sie hat zusammen mit Kollegen vom Senckenbergmuseum Görlitz das Fressverhalten von Wölfen in einem Areal von 450 Quadratkilometern im Khonin Nuga Tal in der Mongolei erforscht, etwa 130 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Ulan Bator. Die Region gilt als eine Art Diversitäts-Hotspot, mit großer Pflanzen- und Tiervielfalt, in der sich allein 200 verschiedene Vogel- und 50 Säugetierarten tummeln. Hier sammelte Tiralla Kotproben, zwischen 2008 und 2012 bei Forschungsaufenthalten zu verschiedenen Jahreszeiten. Wolfskot sammeln – da denkt man spontan an die Hundetütchen, mit denen Hundebesitzer spazieren gehen. Riecht das bei Wölfen genauso? "Viel, viel strenger", sagt die Forscherin. Aber es ist der sicherste Weg, die Ernährung des Raubtieres zu erforschen.

Der Geruch einer Wolfslosung ist sehr speziell. Das hängt aber auch davon ab, wie alt oder frisch die aufgefundene Losung ist.

Nina Tiralla, Bioklimatologin

Wie man Wolfslosungen untersucht

Insgesamt hat die Forscherin 137 Wolfs-Losungen analysiert. "Dazu haben wir sie erst mal erhitzt, um Eier zum Beispiel vom Fuchsbandwurm abzutöten, und dann über einem Sieb ausgewaschen. Da finden sich dann Haare, Knochen, Zähne, Kieferreste, Fischschuppen", schildert die Biologin diesen Teil der Arbeit.

Was man aus Wolfslosungen lesen kann

Nach dem Erhitzen und Waschen (links) zeigt sich der Kern des Kots (rechts), den die Forscherin auswerten kann.

Eingeweichte Probe mit Federn
Bildrechte: Nina Tiralla
Eingeweichte Probe mit Federn
Bildrechte: Nina Tiralla
Wolfsforschung - gewaschene Probe mit Kniescheibe, Bandscheibe, Knochenfragmenten vom Reh
Bildrechte: Nina Tiralla
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Die Ergebnisse der Wolfskot-Analyse überraschten das Forschungsteam: Die Ernährung der Wölfe bestand zu 89 Prozent aus wildlebenden Huftieren, vor allem aus sibirischem Reh. Die restlichen elf Prozent bestanden der Biologin zufolge aus kleinen Säugetieren wie Hasen oder Mäusen, aber auch Resten von Fischen, Vögeln und Schlangen:

Sogar Reste von Insekten und Beeren konnten im Kot nachgewiesen werden – von Nutztieren gab es jedoch keine Spur.

Nina Tiralla

Ein verblüffender Fund – aus früheren Studien aus dem zentralasiatischen Binnenland war das Gegenteil bekannt, nämlich dass sich Wölfe dort überwiegend von Weidetieren ernährten.

Der Wolf als pragmatischer Energiesparer

Aber warum fanden sich in den nun untersuchten Wolfshaufen aus der Mongolei keinerlei Hinweise auf gefressene Nutztiere?

Dort wird es den Wölfen sehr schwer gemacht, an Nutztiere heranzukommen. Nachts werden die Herden bei den Jurten der Menschen mit Gewehren und Hunden bewacht.

Nina Tiralla
Khonin Nuga Tal
"Die Mongolei ist mehr als nur Wüste, es gibt auch riesige bewaldete Flächen", sagt Nina Tiralla. Bildrechte: Nina Tiralla

Die Tiere sind also keine leichte Beute für die Wölfe, die es offenbar eher bequem mögen. "Das, was am leichtesten verfügbar ist, wird gefressen," bestätigt Tiralla. Gibt es ein Jahr mit vielen Mäusen – werden eben viele Mäuse verspeist. "Warum zehn Kilometer laufen, um vielleicht einen Elch zu jagen, noch dazu wenn das Rudel vielleicht klein ist?", erklärt die Biologin ein Verhaltensmuster von Wölfen. Das erinnert ein bisschen an die sprichwörtliche Wahl zwischen dem Spatz in der Hand und der Taube auf dem Dach, sich also das zu schnappen, was leicht zu erreichen ist. Und das ergibt durchaus Sinn, erläutert Tiralla: "Das schont nämlich die Energiereserven." Besonders im Winter, wenn Temperaturen um minus 30 Grad keine Seltenheit sind.

Wölfe sind keine Kostverächter

Yakkälbchen
Yakkälbchen im Khonin Nuga Tal - nachts werden sie bewacht Bildrechte: Nina Tiralla

Das Nahrungsspektrum der Wölfe ist breit – Spezialisierungen Fehlanzeige. Wolfsjunge lernen von den Eltern das Prinzip: Es wird gefressen was dem Rudel vor die Schnauze gerät. Oder wie das Forschungsteam über die beobachteten Wölfe in der Mongolei schreibt: "Obwohl hier ebenfalls ein Angebot an Weidetieren besteht, scheinen die Wölfe lieber auf Wildtiere wie das Sibirische Reh als Beutetiere zurückzugreifen, womöglich, weil diese einfacher und gefahrloser zu jagen sind". Ist die Artenvielfalt und das Angebot an Beutetieren groß genug, sind Nutztiere als Wolfsnahrung nicht unbedingt attraktiv. Auch andere Studien zeigten ähnliches: Wo wenig natürliche Beutetiere vorkommen, satteln Wölfe ernährungtechnisch auf Weidetiere um. Getreu dem Motto: Gelegenheit macht Diebe.

Was Deutschlands Wölfe jagen und wo sie leben

Aber was würden Deutschlands Wölfe denn fressen, wenn die Natur mit ihrem Nahrungsangebot optimal ausbalanciert wäre? Wir wissen es nicht, aber unter den heutigen Bedingungen sind es Rehe, Rotwild, Wildschwein, Kaninchen, Feldhasen.

Einer Monitoringstudie zufolge aus den ersten acht Jahren, seit in Deutschland wieder Wölfe vorkommen, standen zu 55,3 Prozent Rehe auf der Speisekarte der grauen Jäger, gefolgt von 20,8 Prozent Rothirsch, sowie 17,7 Prozent Wildschwein. Zweitwichtigste Nahrungsquelle sind demnach "Hasenartige" wie Kaninchen und Feldhasen – die machten noch 2,9 Prozent der Nahrung aus, und 0,6 Prozent entfielen auf Weidetiere. Hier lesen Sie die komplette Analyse dazu.

1998 waren in Sachsen in der Muskauer Heide erstmals wieder zwei Wölfe gesehen worden. Zwei Jahre später wurden erstmals nach 150 Jahren wieder Wölfe in Deutschland in freier Wildbahn geboren, seither werden Vorkommen und Verbreitung überwacht. Im Monitoring-Jahr 2019/2020 wurden 128 Rudel für Deutschland nachgewiesen, 35 Paare und zehn territoriale Einzeltiere. Ihr Lebensraum erstreckt sich inzwischen von Ostsachsen bis an die Nordsee, sowie bis nach Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen. Aktuelle Zahlen und Nachweise über Wolfsvorkommen in Deutschland finden Sie hier.

Wolf Khonin Nuga
Suchbild: Ein Wolf in der Region Khonin Nuga - bestens getarnt. Bildrechte: Nina Tiralla

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Heulende Wölfe 5 min
Bildrechte: imago images / blickwinkel

2 Kommentare

Bitte mehr Sachlichkeit am 25.02.2021

Offenbar reichen auch in der Mongolei die Herdenschutzhunde alleine nicht aus, um die Wölfe auf Distanz zu halten. Die Hirten dort tragen ihre Gewehre nicht zur Zierde.
Man stelle sich vor, in Deutschland laufen nicht nur ein Dutzend kalbsgroßer Schutzhunde um eine Herde, sondern jeder Hirte ist bewaffnet und setzt sein Gewehr gegen die Wölfe ein - ist es das, was wir wollen?

Jan-Lausitz am 25.02.2021

So fällt die mühsam über Jahre wieder aufgepäppelte Hasenpopulation nun dem Wolf in den Rachen und plötzlich stört das nun keinen mehr ...
Als damals die Bauern "Schuld waren" gab es großes Geschrei.