Grashalme in einer Wüstenlandschaft in Dubai
Grashalme in einer Wüstenlandschaft: Was ließ aus unbelebten Mineralien lebende Organismen entstehen? Bildrechte: imago/Frank Sorge

Podcast: Die großen Fragen Was ist Leben?

05. Januar 2023, 13:30 Uhr

Vor vier Milliarden Jahren entstand aus unbelebter Materie die erste Zelle. Doch was ist der Anstoß, der das Tote lebendig macht? Welcher Funke erweckt DNA, Zellwände, Mitochondrien, Aminosäuren und Moleküle zum Leben? Ist Leben Komplexität, selbstorganisierte Materie oder das Streben von der Ordnung zur Unordnung? Antwortversuche auf die große Frage: Was ist Leben?

Große Fragen in zehn Minuten

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Irgendwann vor etwa vier Milliarden Jahren muss es einen Moment gegeben haben, da begann aus unbelebter Materie Leben zu werden. Da entstand aus den Elementen, aus denen Steine gemacht sind – also aus Mineralien – die erste Zelle. Und um es ganz pathetisch zu formulieren: Da begann das Tote zu atmen. Die einen nennen es Schöpfung. Andere suchen nach dem gewissen Etwas, das der toten Materie das Leben einhaucht; so etwas wie den Odem, den Äther, die Seele – oder den Impuls, der den Anstoß gibt, die Augen aufzumachen, mit der Umwelt zu agieren, Nachkommen zu zeugen. Irgendetwas, irgendeine Zutat muss es sein, die Totes lebendig macht. Also was ist Leben?

Für Prof. Petra Schwille, Direktorin am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München und Koordinatorin des großen Max-Planck-Forschungskonsortiums "MaxSynBio" zur synthetischen Biologie, ist Leben erst einmal eine ganze Menge bemerkenswerter Eigenschaften: "Diese Eigenschaften, die wir so bewundern: Dass es sich vervielfältigt, dass es in der Lage ist, Energie aus der Umgebung aufzunehmen, um sich selbst zu organisieren und dass es in der Lage ist, sich permanent zu erneuern und zu vervielfältigen. Das ist ja etwas, was ein Stein nicht kann. Der kann nicht einfach Mal einen neuen Stein zusammenbauen."

Beschreibung von Leben

Die Antwort ist ein Klassiker, wenn wir erklären wollen, was Leben ist. Wir können Leben nur beschreiben und sagen, was es macht. Damit ist das Phänomen Leben aber noch nicht erklärt. Wie funktioniert der Übergang von toter zu lebender Materie? Ist Leben so eine Art Zutat in der Materiesuppe, sozusagen das Salz in der Suppe? Um das herauszufinden, müssen wir die Suppe wieder in ihre Zutaten zurück sortieren? Doch so einfach ist das beim Leben nicht, erklärt Petra Schwille: "Wenn […] man beispielsweise herausfinden will, wie ein Auto funktioniert, dann geht man her und zerlegt es in seine Bestandteile und überlegt, was könnte welches Rädchen sein und was macht welches Modul. Wenn wir mit dem Ansatz an lebende Module herangehen, dann haben wir das Problem, dass es ein, ja, fast schon unendlich komplexes System ist."

Das heißt, ganz anders als bei Autos oder Weltraumraketen gibt es nicht nur viel mehr Einzelteile, sondern wir müssen auch feststellen, dass diese Einzelteile unglaublich viele Funktionen und Eigenschaften besitzen und dass sie alle miteinander interagieren. Und es gibt noch ein weiteres Problem: Wenn wir das Leben zerlegen in seine Bestandteile, finden wir DNA, Zellwände, Mitochondrien, Aminosäuren, Moleküle usw. Nur das, wonach wir suchen, finden wir nicht: das Leben. Wo steckt dieses Leben? Keine Zutat, keinen Funken können wir exklusiv dem Leben zuordnen. Und wenn wir alle diese Bestandteile wieder zurück ins Reagenzglas kippen, fängt diese Brühe wahrscheinlich nicht wieder an zu leben. Auch wenn wir gestorben sind, ist alles noch da! Was bräuchte es also, um die Maschine wieder anzuwerfen? Wo ist das Leben hin? Was fehlt da plötzlich?

Illustration eines DNA-Moleküls 3 min
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Leben und Komplexität

Ein weiterer Antwortversuch betrifft das Thema Komplexität. Fängt etwas zu leben an, wenn es nur komplex oder kompliziert genug ist? Entsteht dann so etwas wie eine zweite Ebene, wird aus Quantität eine neue Qualität? Biophysikerin Petra Schwille findet diese Sicht auf Leben zu begrenzt. Sie erklärt, dass auch tote Materie sehr komplex ist, und zwar viel komplexer als wir denken.

Für Stephan Grill ist die Komplexität auch keine Erklärung. Er ist Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden, und hat den Exzellenzcluster "Physik des Lebens” der TU Dresden ins Leben gerufen. Für ihn besteht die Besonderheit des Lebens auch darin, wie sich diese Komplexität zusammenbaut: "Wir sind Wasser. Wir sind biochemische Substanzen. Wir sind Proteine. Wir sind Materie, [...] auf besondere Art organisierte Materie. Wir sind Materie, die in der Lage ist, kontinuierlich Energie zu verbrauchen, um sich auch zu erhalten."

Und wieder sind wir an der Stelle, wo wir nicht wirklich sagen, was Leben ist, sondern was es macht, wie es funktioniert. Wir beschreiben es wieder. Für Prof. Grill ist eine wichtige Eigenschaft des Lebens, dass es Energie verbraucht. Eine andere ist die Selbstorganisation, die Selbstregulierung. Das heißt, in einer lebenden Zelle werden die Prozesse so gesteuert, dass alles möglichst perfekt läuft. Alle Prozesse sind aufeinander abgestimmt. Das ist wie in einer Stadt, erklärt Stephan Grill: "Das heißt es gibt ein Rathaus, es gibt Straßenbahnen, es gibt Straßen, es gibt Ampeln. Und damit kein Chaos entsteht, müssen wir uns in der Stadt an gewisse Regeln halten. Und genauso müssen sich die Proteinbausteine in jeder Zelle oder auch die Zellen in einem Gewebe an gewisse Regeln halten. Wenn sie das nicht tun, dann kann der kollektive Gesamtzustand nicht funktionieren. Und das ist selbstorganisiert!"

Streichholz brennt 3 min
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Leben als selbstorganisierte Materie

Leben ist also selbstorganisierte Materie. Das ist aber wieder nur eine Beschreibung und wieder keine Antwort, wie aus Molekülen oder Eiweißen eine funktionierende "Stadt", also eine Zelle, entsteht. "Wann wird aus einer Struktur eine Funktion? Wann wird Ordnung zu Organisation?", sind hier Grundfragen, so Evolutionsbiologe Aleksandar Janjic. Eine entscheidende Rolle, wie Leben funktioniert, spielt der Bauplan, die Betriebsanleitung in allen lebenden Zellen – also das Erbgut, die DNA. Durch sie wird alles gesteuert und geregelt. Ist sie der Schlüssel zur Antwort auf unsere Frage: Was ist Leben?

Biophysiker Stephan Grill nennt die DNA den zweiten Zustand des Lebens: "Und wenn Sie sich den Prozess des Wachstums von einer Zelle zu vielen Zellen und zu einem strukturierten Organismus vorstellen, dann ist dieser Prozess beschrieben auf DNA, auf dem DNA-Molekül, auf der Information, die auf dem DNA-Molekül gespeichert ist. Und Lebewesen wissen eben genau diese Information umzusetzen in genau diese Strukturbildungsprozesse. Aber wir sind noch nicht genau in der Lage, diese Umsetzung nachzuvollziehen. Wie komme ich von der Information, die auf der DNA gespeichert ist, hin zu einem fertig strukturierten Lebewesen? Das ist eine ganz große Frage."

Genau das ist unsere Frage! Denn DNA allein ist noch kein Leben. Sie repräsentiert sozusagen die Idee des Lebens. Aber auch sie braucht eine Zelle, damit jemand da ist, der aus ihren Informationen etwas macht. Sie braucht jemanden, der die Informationen auf ihr abliest und das, was da steht auch umsetzt. Also jemanden, der den Kleiderschrank dann auch entsprechend der Anleitung zusammenbaut. An dieser Stelle greifen wir zum letzten Strohhalm, den wir greifen können. Zumindest eine Theorie, was Leben ist, muss es doch geben.

Von der Ordnung zur Unordnung

Und jetzt kramen wir den "Godfather" dieser Frage aus der Mottenkiste, den Physiker Erwin Schrödinger. Der hat sich 1943 auch schon die Frage gestellt: Was ist Leben? Die Antwort, die ein Physiker darauf hat, ist natürlich eine andere als die der Biologen oder Biochemiker. Und wenn wir hier Erwin Schrödinger aufrufen, dann kommt gleich was aus dem ganz hohen Regal. Da müssen alle, die in Physik nicht ganz auf der Höhe sind, aufpassen, dass sie nicht gleich aus dem Karussell fallen.

Die Physiker gehen nämlich davon aus, dass alles – wirklich alles – von einer gewissen Ordnung, einer Struktur, zur Unordnung strebt. Also irgendwann zerreiben Wind und Wetter selbst den größten Berg zu Staub, irgendwann ist jeder Stein Sand und wenn man reine Milch in einen Kaffee schüttet, dann entsteht da auch Unordnung, sagt die Biochemikerin Petra Schwille: "Also wenn Sie, was weiß ich, Milch in eine Tasse Kaffee gießen, dann ist irgendwann, wenn man nur lange genug wartet, die Milch überall." Aus zwei ordentlich getrennten Lebensmitteln wird also ein untrennbares Misch-Masch.

Diese Tendenz zur Unordnung kann man bis ins ganz Große, bis ins Universum, beobachten. Diese grundsätzliche Tendenz nennt man Entropie. Das ist die Richtung, in die sich alles bewegt, sagen die Physiker. Aber was hat das mit unserer Frage nach dem Leben zu tun? Eine Menge, würde Schrödinger sagen. Denn das Leben ist das Gegenteil von Entropie. Niemand könnte die Milch wieder vollständig vom Kaffee trennen. Leben kann das. Unser Organismus greift sich die Inhaltsstoffe – das Fett, die Mineralien, das Wasser – und trennt alles fein säuberlich, baut alles da ein, wo es gebraucht wird. Das Leben scheint also eine Art Gegenentwurf zur Entropie zu sein.

Leben und Wärmeabgabe

Aleksandar Janjic, Evolutionsbiologe in der Astrobiologischen Forschung an der TU München, sagt, auf den ersten Blick stimmt das, aber nur auf den ersten: "Es ist korrekt, dass wir lokal Entropie brechen müssen oder so viel Arbeit verrichten müssen, dass Entropie quasi geborgt wird, damit wir funktionieren. Was viele aber vergessen – und das ist wirklich elementar: Damit unsere Körper funktionieren, muss im Gegenzug an die Umwelt Wärme abgegeben werden. Also wenn wir laufen, wenn wir schwitzen, was wird gemacht? Es wird thermisch gesehen einfach Wärme abgegeben, die wir uns vorher geborgt haben, um funktionieren zu können. Und durch diese Wärme-Abgabe – wenn Sie das in einem geschlossenen System betrachten würden – steigt die Entropie zusätzlich an, über das originale Maß, dass davor in diesem System herrschte. Das heißt, aus dieser Betrachtungsebene heizt das Leben die Entropie nochmal zusätzlich an. Es ist wie so ein Motor, der lokal sich kurz Energie borgt, um sie dann in einem größeren Maße mit einem Wärmerauschen wieder abzugeben."

Das Leben passt also perfekt in den Plan des Universums, alles mit allem zu vermischen, alles in Strahlung zu verwandeln. Das Universum hat sich – wenn man so will – mit dem Leben etwas ausgedacht, das die Unordnung eher beschleunigt, so die These von Erwin Schrödinger. Leben ist sozusagen ein grandioser Katalysator für die Entropie. Jetzt haben wir also eine Idee, warum das Universum ganz grundsätzlich Leben zulässt bzw. hervorbringt. Allerdings – und das ist die schlechte Nachricht – auch das ist keine Antwort auf die Frage: Was ist Leben?

(dn)

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