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Der Klimawandel ist möglicherweise unserem maßlosen Einkaufsverhalten geschuldet, was die Ressourcen auf der Erde betrifft. Und zwar ohne an der Kasse zu bezahlen. Zumindest bisher. Bildrechte: imago/Westend61

KlimafolgenforschungDer Klimawandel kostet, was die Welt kostet

17. November 2022, 05:00 Uhr

Die Folgen der Klimakrise werden nicht erst in Zukunft hohe Summen veranschlagen, sondern tun es jetzt schon. Wer handelt, wird viel Geld ausgeben müssen. Wer es nicht tut, noch viel mehr. Aber wie teuer wird's nun? Schwer zu sagen, wir dröseln trotzdem auf.

Ungemütliche Zeiten hegen mitunter den verständlichen Wunsch, dass alles so bleibt wie’s ist. Oder wie es mal war, gemütlich nämlich. Zwar finden 52 Prozent der Deutschen, dass die Abmilderung der Klimakrise nicht der Energiesicherheit den Vorrang lassen sollte. Dass diese Mehrheitsauffassung aber nur hauchdünn die Nase vorne hat, belegt allerdings auch, dass es viele Menschen im Land ganz anders sehen.

Zum Beispiel zahlreiche Mitglieder der nicht-repräsentativen MDRfragt-Community. Die aktuelle Umfragerunde hat ergeben, dass es mehr als drei Viertel befürworten, wieder mehr Kohle zu verfeuern, um eine stabile Energieversorgung zu gewährleisten. Generell sind acht von zehn Teilnehmenden der Ansicht, man sollte die Klimaschutzziele zum Wohle der Energiesicherheit aufzuweichen.

Es wird teuer. Nichtstun noch mehr.

Über ein Drittel ist zudem der Auffassung, dass zur Erhaltung unseres Lebensstandards und Lebensstils eine Erderwärmung in Kauf genommen werden sollte. Das Problem ist nur: Höhere Durchschnittstemperaturen und gleichbleibender Lebensstandard lassen sich ähnlich schlecht verheiraten wie Donald Trump und Annalena Baerbock. Die Folgen des Klimawandels abzumildern wird eine Stange Geld kosten, aber vielleicht unsere Lebensqualität um ein zufriedenstellendes Maß erhalten. Nichts zu tun wäre ungleich teurer und würde uns einen Planeten bescheren, auf dem auch eine Fahrt in die Wochenendfrische mit dem SUV keinen Spaß mehr macht.

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"Mehr Wohlstand ist empirisch nicht haltbar", das hat im Frühjahr Felix Creutzig gesagt und an der Wortwahl zeigt sich, dass der Mann Wissenschaftler ist. Schwerpunkt: Nachhaltigkeit. Er betonte im Zuge des aktuellen Weltklimaberichts, an dem er selbst als Leitautor beteiligt war, dass unser Leben, so wie wir es führen, schlichtweg nicht haltbar ist und wir uns in Zukunft anders bewegen, ernähren und anders heizen müssen. Das bedeutet nicht weniger Lebensqualität, aber vielleicht andere.

In Deutschland fragt man sich dieser Tage mitunter, "wer das alles bezahlen soll" – die Förderungen für den Ausbau der Erneuerbaren etwa oder das Klimaticket für den Nahverkehr. Aber in Deutschland müsste man sich noch mehr fragen, z.B. wer die Kosten für die Flutkatastrophe im Ahrtal bezahlen soll. Mal von den persönlichen Tragödien abgesehen, die finanziell nicht zu reparieren sind, beläuft sich der Aufbaufonds der Bundesregierung auf dreißig Milliarden Euro (das 49-Euro-Ticket kostet Bund und Länder drei Milliarden im Jahr).

Extremwetter muss man sich leisten können

Andere Extremwetterkatastrophen schlagen mit ähnlichen materiellen Kosten zu Buche: Das Elbehochwasser 2002 zehn Milliarden Euro, die europäische Hitzewelle ein Jahr später 13 Milliarden. In Übersee werden die Summen noch schwindelerregender: Während der Hurrikan Katrina 2005 Schäden in Höhe von 130 Milliarden Dollar verursacht hatte, waren es auch bei Sturm Harvey im Jahr 2017 125 Milliarden Dollar. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) kommt zu dem Schluss, dass diese Summe nicht ausreicht: Die Schäden für die US-Volkswirtschaft strapazieren das Katastrophenkonto zusätzlich durch die Unterbrechung von lokalen Lieferketten und die Auswirkungen auf die regionale und weltweite Produktion. Den Berechnungen des PIK zufolge könnten die Vereinigten Staaten diese Kosten irgendwann nicht mehr ausgleichen.

Beim Thema Extremwetter ist das genau der Punkt: Ein Jahrhundertereignis ist zumindest für reiche Länder finanziell zu verkraften. Jahrzehnt- oder gar Jahresereignisse diesen Ausmaßes hingegen nicht. Die weltweiten Extremwetterereignisse haben in den 1970ern etwa 150 Milliarden Euro gekostet. In den 2000ern waren es fast fünfmal so viele Katastrophen, die bereits mit 800 Milliarden zu Buche geschlagen haben.

Mit vier Erden steht es sich leichter auf zwei Füßen. Wäre gut, wenn eine reicht. Bildrechte: imago/Westend61

Wie am Beispiel USA zählen zu den Unwetterschäden neben den materiellen und gesundheitlichen auch volkswirtschaftliche. Nehmen wir das Beispiel Dürre, das sich nicht nur auf die Produktion von Mohrrüben, Rinderfutter und Biogas auswirkt, sondern auch auf der Landwirtschaft eher ferne Produktionszweige. Niedrige Flüsse sorgen für ausbleibendes Kühlwasser oder fehlende Transportwege, wie 2018 beim Chemiekonzern BASF, der ausgerechnet ein Kunststoffvorprodukt nicht mehr über den Rhein geschippert bekam. Globale Lieferketten – seit Corona wissen auch Menschen, die sich nur mal eben ein Fahrrad im Laden nebenan kaufen wollten, wie anfällig sie sind.

Hitze kostet Geld – auch, wenn die Heizung aus ist

Der aktuelle Hitzebericht der UN macht zudem darauf aufmerksam, wie sich hohe Temperaturen auf die Arbeitsleistung auswirken, bei schwerer Feldarbeit im globalen Süden oder auch in unseren Breiten. Die hohen Temperaturen mildern nicht nur die Arbeitsleistung, sondern führen auch zur Arbeitsunfähigkeit – für Kleinbetriebe wie auch große Unternehmen bedeutet das wirtschaftlichen Schaden. Arbeitsplätze müssen also, sofern überhaupt möglich, kühl gehalten werden. Allerdings beißen Klimaanlagen der Klimakatze nicht nur in den Schwanz, sondern geht deren Betrieb ebenfalls aufs Budget. Wenn der Sommer zu heiß war, ist künftig nicht nur die Weihnachtsfeier gestrichen.

BASF ist der größte Chemieproduzent der Welt – und auf den Rhein als Transportweg angewiesen. Mit entsprechend hohem Pegel. Bildrechte: imago/Arnulf Hettrich

Der wirtschaftliche Schaden von extremen, täglichen Temperaturschwankungen, lässt sich jetzt sogar durch eine Faustregel beziffern. Erhöht sich diese kurzfristige Variabilität um ein Grad, wird das Wirtschaftswachstum um durchschnittlich fünf Prozent reduziert, zeigen Daten einer Studie aus dem vergangenen Jahr, an der u.a. das PIK beteiligt war. Das Wörtchen "durchschnittlich" ist hier ganz besonders wichtig, da Volkswirtschaften ganz unterschiedlich von diesem Zusammenhang betroffen sind: Während Länder wie Russland und Kanada große Temperaturschwankungen gewohnt sind, ist das bei vielen (ärmeren) Ländern in Äquatornähe nicht der Fall. Dort fallen die saisonalen Temperaturunterschiede deutlich geringer aus.

Aus dem Schneider sind sie aber lange nicht: Westliche Industriestaaten neigen traditionell zu einem kühl-gemäßigten Lüftchen, während die Länder des globalen Südens deutlich mehr Hitzeerfahrung mitbringen. Eine aktuelle Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigt, dass in Monaten, in denen die Durchschnittstemperatur eines Landes mindestens 30 Grad beträgt, die Exporte durchschnittlich um 3,4 Prozent sinken. Die deutsche Exportnation wird künftig also auch aus ökonomischer Sicht besorgt aufs Quecksilber blicken müssen, zumal in den wärmeren Regionen des Landes auch die geballte Industriekraft liegt.

Die Gesundheitssysteme sind nicht für den Klimawandel gemacht

Volkswirtschaftliche Auswirkungen des Klimawandels scheinen allerdings mindestens zweitrangig, wenn es um das leibliche Wohl verletzlicher Bevölkerungsgruppen, aber eigentlich auch der ganzen Menschheit geht. Dass es da einen Zusammenhang gibt, zeigt nicht nur der genannte Hitzereport. Ein aktueller Forschungsbericht aus der Reihe "Lancet Countdown" warnt unter Beteiligung von 99 Fachleuten aus über fünfzig Institutionen vor dem Kollabieren der Gesundheitssysteme. "Jetzt sehen wir, dass die zunehmenden gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels die Gesundheitssysteme sowohl kurz- als auch langfristig zusätzlich unter Druck setzen", sagt Maria Nilson, Vorsitzende des Lancet Countdown in Europa und Professorin für öffentliche Gesundheitswissenschaften an der Universität Umeå in Schweden. Es brauche nachhaltige und klimaresistente Gesundheitssysteme. Und Gesundheit kostet, so oder so, viel Geld.

Die zunehmenden gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels die Gesundheitssysteme sowohl kurz- als auch langfristig zusätzlich unter Druck setzen.

Maria Nilson | Universität Umeå

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass künftig bei den 15 Ländern mit den höchsten Treibhausgasen vier Prozent des BIP für Gesundheitskosten auf Grund von Luftverschmutzung fällig werden. Deutschland zählt dazu – hier also ca. 160 Milliarden Euro. Gesunde Menschen – und damit kostengünstige Bürgerinnen und Bürger – funktionieren zudem nur mit entsprechender Wasser- und Ernährungssicherheit und Nährstoffversorgung. Die wiederum ist nur gegeben, wenn keine Wetterextreme dazwischenfunken und genug gesunde Menschen mit ihrer Arbeit dafür sorgen können, dass die Mahlzeiten auf dem Teller landen.

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Noch viel verworrener wird die Thematik, wenn man psychische Gesundheitsschäden in Folgen des Klimawandels mit bedenkt: Das können Katastrophentraumata sein, genauso wie Lebenseinschnitte durch klimabedingte Insolvenzen. Die Gesundheitskosten zu beziffern, ist also weitaus komplexer als die materielle Abschlussrechnung einer Naturkatastrophe und zeigt, wie feinmaschig das Netz an miteinander verwobenen Klimasachverhalten wirklich ist.

Und wie unvollständig diese Darlegung hier nur sein kann. Was der Klimawandel nun kostet, lässt sich also kaum in einer Summe abbilden und ist natürlich auch davon abhängig, wie ernst künftige Bestrebungen sind, ihn einzudämmen. Während bisherige Zahlen bis Ende des Jahrhunderts zwischen anderthalb und zehn Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung als Klimawandelkosten angesetzt haben, arbeitet eine Studie aus dem vergangenen Jahr mit einer weitaus beachtlicheren Spannbreite: Bei einem Mittelwert von 37 Prozent könnten es zwischen sechs und 51 Prozent des Welt-BIPs sein. Hier sind dann auch die langfristigen Schäden für die Staaten mit eingerechnet. Das Bruttoinlandsprodukt unserer Erde betrug 2020 etwa 85 Billionen US-Dollar.

Sparen, bitte – an der richtigen Stelle

Die Staaten sind also dahingehend gefragt, welche Kosten sie in Zukunft hinzunehmen gedenken und welches Geld sie schon jetzt zu investieren bereit sind. Oder vielleicht auch, wie viel sie gern sparen würden: Ein zügiger und vollständiger Umstieg auf erneuerbare Energien bis 2050 würde gar nichts kosten, sondern schon mal zwölf Billionen Dollar einsparen – das haben Forschende der Uni Oxford erst kürzlich ausgerechnet. Eine gute Argumentationsgrundlage.

Die braucht es auch, gerade in Demokratien, die natürlich nur so stark sind, wie der Rückhalt ihrer Bevölkerung. Das soziale Nachhaltigkeitsbarometer des Ariadne-Projekts zeichnet da kein einstimmiges Bild, aber zumindest eines, bei dem nicht alles verloren zu sein scheint. So befürworten mehr als vier Fünftel der Deutschen den Ausbau von Erneuerbaren und drei Viertel das Energiesparen zuhause (hat man selbst ja schließlich auch sofort was von). Die Zustimmung zum Ausstieg aus der Kohle ist zwar mit 66 Prozent immer noch hoch, aber im Vergleich zum Vorjahr leicht zurückgegangen. Allerdings hat nur die Hälfte keine Sorgen, dass die Energiewende auf Kosten des Wohlstands geschieht. Und eine deutliche Mehrheit ist der Überzeugung, dass sich die Energiewende negativ auf ihre Situation auswirkt.

Aufgabe des Staates wird es also in Zukunft nicht nur sein, den Menschen vorzurechnen, was man für die Abmilderung der Klimafolgen auszugeben gedenkt. Sondern letztendlich für den Erhalt des Wohlstands, auch wenn es vielleicht ein anderer sein wird als bisher.

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