
Tierforschung Schüchterne Waschbären sind die wahren Langfinger
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23. September 2022, 11:25 Uhr
Waschbären als Kulturfolger sind längst keine Seltenheit mehr in unseren Wohngebieten. Kalifornische Forscher haben jetzt das Stadtleben der Tiere genauer untersucht und festgestellt: Waschbär ist nicht gleich Waschbär.
Waschbären sind ein beliebtes Thema in einer Leipziger Nachbarschaft tief im Westen der Stadt. Anwohnerin Antje F. erzählt: "Wir finden regelmäßig Waschbärhaufen auf unserer Terrasse. Nebenan hat einer neulich ein Stück Schinken vom Tisch geholt, während sie beim Essen waren. Und wir haben schon gesehen, wie einer der Bären einem anderen eine Biotonne aufhält, während der andere Essbares herausfischt."
Eine clevere und effektive Arbeitsteilung, die man auch am anderen Ende der Häusersiedlung kennt: Dort wird die Biotonne durchwühlt, auf der gelben Tonne daneben gemütlich gespeist, Reste großzügig auf den Boden gepfeffert. Aber warum sind Waschbären in der Stadt eigentlich so erfolgreich? Lauren Stanton von der Berkeley-Universität in Kalifornien hat das zusammen mit zwei Kollegen untersucht. Ihr Fazit: Die ängstlichsten und gelehrigsten Exemplare sind die, die am besten mit dem Stadtleben zurechtkommen. Und wer die Rabauken vergrämt, bleibt mit den Superhirnen unter den Bären zurück.
Bären in der Box
Stantons Team hat das folgendermaßen herausgefunden: Zuerst lockte das Team Waschbären in Lebendfallen, Katzenfutter diente als Köder. Im Labor wurden die Exemplare auf Herz und Niere durchgecheckt und beurteilt, ob es sich um angriffslustige oder eher fügsame Exemplare handelte. Dann wurden die Tiere besendert und in ihre Heimatquartiere zurückgebracht. Das Ziel: zu registrieren, wann ein Waschbär so eine Kabine besuchte. So wurden zwischen August 2015 und September 2019 insgesamt 204 Waschbären markiert. Dann testete das Forschungsteam die Lernfähigkeiten der wilden Waschbären und wie sie auf Veränderungen reagierten. Dazu wurde in der Nachbarschaft der Tiere eine Kabine in Waschbärgröße aufgebaut, in der es zwei Knöpfe gab: einer gab beim Drücken eine Handvoll Hundefutter-Leckerbissen aus, ein zweiter Knopf nichts.
Nachdem nun jeder Waschbär gelernt hatte, in die Kabine zu klettern und den Leckerli-Knopf zu drücken, vertauschte das Forschungsteam die Knöpfe für die Leckerli-Ausgabe. Wie schnell würden die Bären das erkennen - und würden es alle kapieren? Da hatten sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht: die Hundefutterbelohnung war beliebter als gedacht und oft drängten sich mehrere Waschbären in der Kabine um die beiden Knöpfe. Nach zwei Jahren wissen die Forscher: 27 Waschbären wussten, wie sie in die Kabine kommen, 19 fanden heraus, wie man ans Hundefutter gelangt, 17 kapierten, dass sie bei vertauschten Knöpfen auf den anderen ausweichen mussten, um die Belohnung zu ergattern.
Welche Bären waren besonders schlau?
Und jetzt wird es spannend: Schienen anfangs auch die jüngsten Waschbären die Versuchskabine am eifrigsten zu erkunden, reagierten dafür die erwachsenen Tiere cleverer, wenn die Konsolenknöpfe vertauscht waren. Beim Blick auf das Temperament der Tiere zeigte sich: Es waren nicht die Draufgänger-Bären, sondern die ruhigen Gesellen, die die Bedienung der Konsole erlernten. Das weist den Forscher zufolge auf einen möglichen Zusammenhang zwischen emotionaler Reaktivität und kognitiven Fähigkeiten bei Waschbären hin. Unter reaktiver Emotionalität versteht man die Fähigkeit, auf emotional herausfordernde oder belastende Situationen spontan und angemessen zu reagieren. Das Forschungsteam warnt deshalb: Wer die aggressiven Exemplare vergrämt, hat hinterher vielleicht mehr Ärger als vorher, denn die leisen, unauffälligen sind die cleveren.
Links/Studien
Die Studie wurde im Fachmagazin Experimental biology veröffentlicht. Sie können Sie hier komplett lesen.
lfw