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Corona-PandemieAlexander Kekulé: Wissenschaft und Politik müssen transparent sein

04. Mai 2021, 15:27 Uhr

Seit Beginn der Pandemie stehen Wissenschaftler:innen an der Seite von Politiker:innen - sollen beraten, einordnen, vermitteln. Mit dieser neuen Rolle stehen sie auch in der Öffentlichkeit wie nie zuvor. Was das für die Wissenschaftler:innen bedeutet, bespricht MDR KULTUR Moderatorin Ellen Schweda mit Prof. Dr. Alexander S. Kekulé.

Die Wissenschaft spielt eine besondere Rolle in diesen Monaten der Pandemie. Was ist das für ein Virus, wie kann man es eindämmen? Virolog:innen und andere Expert:innen erklären und geben Rat und forschen im Hintergrund weiter. Und manche nehmen ganz direkt am öffentlichen Diskurs teil, sind in den Medien präsent, versuchen ihre Expertise beizusteuern zur gesamtgesellschaftlichen Debatte und diese mitzugestalten mit dem eigenen Wissen und ihren Einschätzungen. Über diese, doch ganz besondere Rolle, die sich unterscheidet von forschenden Wissenschaftler:innen sprechen wir mit Prof. Alexander Kekulé.

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander S. Kekulé ist Mediziner, Epidemiologe, Biochemiker und Publizist. Außerdem ist er Direktor des Instituts für medizinische Mikrobiologie am Universitätsklinikum Halle (Saale). Im MDR Podcast "Kekulés Corona-Kompass" informiert er über die laufenden Entwicklungen in der Pandemie.

Ellen Schweda: Sie sind jetzt seit einem Jahr in der Rolle des Erklärers im Radio. Es gibt mittlerweile mehr als 170 Folgen von "Kekulés Corona-Kompass". Da werden Ihnen immer wieder neue Fragen zur Pandemie gestellt und sie stehen damit in ganz anderen Auseinandersetzungen als Wissenschaftler:innen es normalerweise tun. Was ist aus Ihrer Sicht das charakteristische der neuen Rolle, die sie da nun einnehmen?

Alexander Kekulé: "Aus meiner Sicht ist die Rolle gar nicht mal so neu, weil ich ja lange im "Tagesspiegel" auch Wissenschaftskolumnen geschrieben habe. Die Rolle, in der man Wissenschaft erklären muss, die hatte ich schon oft. Als Virologe ist das so, dass es alle paar Jahre neue Sorgen gibt – sie erinnern sich an die Schweinegrippe 2009 und dann gab's Ebola in Westafrika. Mein Fach hat die Besonderheit, dass es den Menschen zeitweise Angst macht und dann muss man als Wissenschaftler auch erklären. Das Neue jetzt in dieser Pandemie ist, dass wir einfach insgesamt als Bevölkerung einen hohen Grad von Nervosität und Verunsicherung haben. Dadurch geht es über die normale Neugier an meinem Thema hinaus. Jetzt ist man auch emotional sofort dabei. Wenn ich mich erinnere, als ich damals gesagt hab, wir müssen alle Masken tragen, da gab es Shitstorms von Leuten. Die sagten: 'Kekulé will, dass wir bis zum Herbst alle Masken tragen.' Das war das Schlimmste aller Zeiten. Wir sind jetzt als Wissenschaftler auch emotional unter Druck."

Schweda: Wie würden Sie beschreiben, was die Aufgaben der Wissenschaft jetzt in dieser Pandemie ist?

"Die Wissenschaft selber würde am liebsten, und das fände ich auch ganz wichtig, nur die wissenschaftlichen Überlegungen kundtun. Die Wissenschaft müsste eigentlich erklären, wo das Problem ist. Ich war ja auch lange Berater der Bundesregierung und hab viel Erfahrung in der Politikberatung. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, dass man immer angibt, wie sicher man sich ist. Dass man also sagt: 'Schaut her, so sicher sind wir uns. Und ihr habt jetzt die Option A, B oder C. Und wenn ihr A wählt, passiert dieses, und wenn ihr B wählt, gibt es folgende Gefahren und so weiter.' Diese Aufbereitung für die Entscheidungsträger wäre eigentlich etwas, das die Wissenschaft machen müsste, aber leider nicht immer tut.

Es ist in dieser Pandemie so gewesen, dass sich die Politiker einzelne Berater gesucht und sich hinter verschlossenen Türen beraten haben. Der professionelle Weg wäre eigentlich, dass man ein Gremium gründet und dass man das transparent macht. Ich bin sogar der Meinung, dass man die Sitzungen öffentlich machen kann, bei so einer wichtigen Sache, und dass man die Entscheidungen des Gremiums protokolliert und diskutiert. Dann können sich auch internationale Kollegen einschalten und kritisieren. Dann hätten die Entscheidungsträger sozusagen das ganze Spektrum. Das wäre zielführender gewesen.

Am Anfang gab es Einzelmeinungen, die zum Teil hinter verschlossenen Türen an die Politiker weitergegeben wurden. Die Politiker haben diese dann an die Presse weitergegeben und sogar über Twitter veröffentlicht. Das hat die Sache ein bisschen diffus gemacht. Der Bürger hat dann das Gefühl, dass sich alle streiten und keine Ahnung haben, was sie machen sollen. Manchmal stimmt das, ganz oft aber auch nicht."

Haben Sie denn das Gefühl, Herr Kekulé, dass die Wissenschaft immer ausreichend verstanden wird von der Politik, von den Entscheidungsträger:innen?

"Man hat gemerkt, dass es ein Defizit ist, dass die Politiker auch ganz oft aus sozialwissenschaftlichen, aus geisteswissenschaftlichen Fächern kommen und Schwierigkeiten haben, zu verstehen, was die Wissenschaftler meinen. Und die Wissenschaftler umgekehrt, werden plötzlich aus ihrem Labor geholt und müssen Stellungnahmen abgeben, zu Themen, mit denen sie sich noch nie beschäftigt haben. Als Molekularer-Virologe soll er plötzlich was zu Lockdowns erklären. Die haben dann oft nicht die Sprache, alles so zu übersetzen, dass der Politiker Optionen bekommt, zwischen denen er entscheiden kann. Das ist das was sie brauchen – in der Industrie übrigens genauso wie in der Politik."

Schweda: Jetzt haben Sie erwähnt, dass Virolog:innen wie Sie mit medialen Phänomenen umgehen müssen, die Sie vorher vielleicht nur so vom Hörensagen kannten. Da gibt es unglaubliche Anfeindungen. Wie gehen Sie damit um, Herr Kekulé?

"Also mich persönlich emotional betrifft das wenig. Ich kann vielleicht an dieser Stelle sagen – und das ist wirklich das erste Mal, dass ich das öffentlich sage – auch ich habe, wie viele andere, Morddrohungen bekommen. Ich gehe immer davon aus, dass das Leute sind, die einfach irregeleitet sind. Ich würde nicht auf die Idee kommen, das ernst zu nehmen, dass da wirklich mal einer mit einem Messer auf mich wartet. Ich habe aber beispielsweise schon ganz am Anfang, als die Pandemie und die Diskussion losgegangen ist, bei mir an der Tür das Türschild ausgewechselt. Da steht mein Name nicht mehr dran und ich habe auch sonst einiges getan, um meine Position, wenn Sie so wollen, zu anonymisieren. Dass man nicht weiß, wo ich bin, zumindest kein Dritter das weiß. Aber abgesehen davon, gehe ich damit relativ entspannt um."

Schweda: Da lese ich heraus, dass Wissenschaftler:innen, die sich dem stellen wollen, auch eine besondere emotionale Ausstattung brauchen.

"Ja, das brauchen Sie, also dünnhäutig zu sein, ist schlecht. Auch übrigens die Angriffe der Kollegen – diese Ebene gibt es ja auch. Da muss man relativ dickhäutig sein. Also meine Empfehlung an die Kollegen ist, es auszusitzen. Das tue ich normalerweise."

Schweda: Hat es Folgen für das wissenschaftliche Renommée, wenn Wissenschaftler:innen versuchen komplexe Sachverhalte verstehbar zu machen und dabei auch die breite Aufmerksamkeit nicht scheuen?

"Jetzt sprechen Sie natürlich etwas sehr Insidermässiges an – ja das ist so. Sie müssen sich das so vorstellen: ein Wissenschaftler, der ist ja normalerweise im Dunkeln. Wenn der nicht mal zufällig den Nobelpreis oder Ähnliches bekommt, ist der nicht sehr bekannt. Sagen Sie mir mal zehn Nobelpreisträger auf. Also meine Söhne könnten sofort zehn Fußballer vom FC Bayern aufsagen, aber Nobelpreisträger? Das ist schwierig. Wissenschaftler werden sozusagen normalerweise nicht belohnt für das, was sie machen."

Schweda: Und das wird den Nachwuchs davon abhalten, mit seinen Erkenntnissen in die Öffentlichkeit zu gehen.

"Nicht nur den Nachwuchs. Auch andere. Man sagt sich: Uh, wer da den Kopf aus der Decke steckt, der kriegt dafür eins auf die Mütze. Ich glaube, die wissenschaftlichen Fachgesellschaften müssen erkennen, dass die Kommunikation von Wissenschaft auch eine ganz wichtige Fähigkeit ist. Sowohl die Kommunikation in Richtung Öffentlichkeit als auch die Beratung von Entscheidern. Das ist nochmal eine ganz andere Disziplin."

Schweda: Also muss die Wissenschaft, die sich im richtigen Maß in die öffentlich Diskussion einbringt, lernen, diese Diskurse zu führen und auszuhalten?

"Ja. Wir müssen aber noch einen Schritt weitergehen. Ich habe einen ganz konkreten Vorschlag gemacht, weil wir ja jetzt die Situation haben, dass sehr viele Daten aufgrund der Notsituation in der Pandemie veröffentlicht werden, ohne dass sie vorher durch ein Fachjournal geprüft wurden. Und dafür brauchen wir dringend eigene Regeln. Das habe ich auch ganz konkret schriftlich an meine Fachgesellschaft, die Gesellschaft für Virologie, vorgeschlagen. Gerade im Zusammenhang damit, dass Kollegen ihre neuesten Erkenntnisse per Twitter veröffentlicht haben. Ich bin der Meinung, selbst wenn man etwas nicht in Journalen veröffentlicht, brauchen wir einen Codex. Und wir brauchen auch einen Codex, wenn wir öffentlich diskutieren. Die Transparenz muss sein, dass wir nicht gegen die Person sind. Wir dürfen nicht sagen: der Kollege hat keine Ahnung oder der kennt sich nicht aus oder der forscht nicht. Sondern man muss sagen: diese Aussage finde ich aus folgendem Grund nicht richtig, ich habe folgendes Gegenargument."

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | Spezial | 30. April 2021 | 18:00 Uhr

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