Studie aus Jena Wie Haeckels Schüler die rassistischen Theorien seines Meisters widerlegte

28. Mai 2020, 15:27 Uhr

Der deutsche Darwin wird er genannt: Ernst Haeckel aus Jena. Schließlich hat er daran mitgewirkt, die darwinsche Evolutionstheorie überhaupt bekannt zu machen. Allerdings entwickelte er sie weiter und machte aus ihr eine Rassenlehre. Seine Thesen wurden aber schon damals widerlegt, das zeigt jetzt eine neue Studie aus Jena. Widersprochen hat ihm ausgerechnet sein eigener Schüler.

Ernst Haeckel (r.) und Nikolai Miklucho-Maclay in den 1860ern.
Ein Bild aus den 1860er-Jahren. Es zeigt Lehrer und Schüler, Ernst Haeckel (r.) und Nikolai Miklucho-Maclay. Bildrechte: Sammlung Hoßfeld/ FSU Jena

Rassentheorien sind heute wissenschaftlich widerlegt. Schon der Begriff der Rasse ist überholt. Es gibt kein einziges Gen, das nahelegen könnte, dass Rassen beim Menschen existieren. Im 19. Jahrhundert wusste man das noch nicht: Es war die Zeit von Charles Darwin und Ernst Haeckel.

Ernst Haeckel gilt ja als der deutsche Darwin. Er war derjenige, der von Beginn seiner Schaffenszeit in Jena an Darwin in seine Vorlesungen, in seine Lehre, in seine Denkgebäude integriert hat.

Uwe Hoßfeld, Biologiedidaktiker an der Universität Jena
Ernst Heinrich Philipp August Haeckel 3 min
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MDR AKTUELL Do 28.05.2020 12:50Uhr 02:45 min

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Haeckel kam zum falschen Schluss...

Und so entwickelte Haeckel den Ansatz von Darwin weiter auf den Menschen. Haeckel kam dabei aber zu einem falschen Schluss, der heute als rassistisch gewertet wird: Er ging davon aus, dass es verschiedene Menschenrassen gäbe, die unterschiedlich weit entwickelt wären. Ganz unten auf der Liste: Die Papuas aus Papua-Neuguinea, erzählt Georgy Levit, Co-Autor der Studie, die von der Arbeitsgruppe Biologiedidaktik der Uni Jena erstellt wurde.

Ein wichtiges Forschungsobjekt im Sinne der Menschenarten- oder Rassenlehre waren die Papuas, weil sie ganz unten in der Haeckelschen Hierarchie stehen. Haeckel dachte, dass sie nicht alles lernen können, dass sie prinzipiell nicht in der Lage sind, Mathematik oder Logik der hochentwickelten Menschen zu verstehen.

Georgy Levit, Co-Autor

Uwe Hoßfeld (r.) und Georgy S. Levit
Die Biologie-Didaktiker Uwe Hoßfeld (r.) und Georgy S. Levit. Bildrechte: Anne Günther/FSU

...und verstieß gegen seine eigenen Prinzipien

Zu dem Schluss kam er aber als klassischer Schreibtischtäter. Er selbst hatte die Menschen dort nie besucht. Verwunderlich: Denn damit hielt sich Ernst Haeckel nicht an seine eigenen wissenschaftlichen Methoden. Die sahen nämlich vor, dass man Arten in ihrem eigenen Lebensraum erforschen muss.

Es gab einen, der das wusste: Sein Schüler Nikolai Miklucho-Maclay. Aufmerksam hatte der die Vorlesungen seines Lehrers verfolgt, wie Mitschriften des Schülers zeigen, die die Russische Geographische Gesellschaft den Forschern aus Jena zur Verfügung gestellt hat.

So ist es möglich, dass wir erstmals Vorlesungsmanuskripte aus der Haeckel-Zeit vorliegen haben. Er hat bei Haeckel Zoologie gehört und hat taggenau diese Vorlesungen mitprotokolliert.

Sein Schüler wurde selbst zum Papua

Nikolai Miklucho-Maclay wusste also: Um herauszufinden, ob die Papuas tatsächlich eine minder entwickelte Menschenrasse sind, muss man hinfahren. Und genau das hat er gemacht, sechs Mal. So wurde er selbst zum Papua, erzählt Uwe Hoßfeld.

Er hat dort über mehrere Monate gelebt, sich auch seine eigene Hütte gebaut, also konnte er alle Studien dort durchführen. Das ist die stationäre Feldarbeit, die ihn zum ersten Antirassisten macht. Nicht vom Schreibtisch aus, nicht durch Schädelvergleiche kommt er zu seinem Schluss, sondern er verbindet Praxis und Theorie.

Uwe Hoßfeld

Und bewies so, dass die Papua genauso entwickelt sind wie andere Populationen. Nikolai Miklucho-Maclay widerlegte damit seinen eigenen Lehrer Ernst Haeckel, schlug ihn quasi mit seinen eigenen Waffen. Wie fand das sein Lehrer? Das weiß man nicht, eines aber ist klar: Es herrschte Funkstille zwischen den beiden.

Er hat sich noch zu seinen Studienzeiten vom Lehrer abwendet hat. Es steht zu vermuten, dass beide sich überworfen haben. Es sind danach keine Briefe mehr untereinander ausgetauscht worden und der Kontakt war abrupt abgebrochen.

Jenaer Erklärung 2019

Studien von Miklucho-Maclay fanden keinen großen Anklang

Weder bei Haeckel noch in der damaligen Wissenschaft und Gesellschaft hatten die Studien von Miklucho-Maclay großen Einfluss. Er starb jung, im Alter von 42 Jahren, plötzlich an einer seltenen Krankheit, die er sich in den Tropen eingefangen hatte. Seine Frau verbrannte zu allem Unglück auch noch einige seiner Unterlagen. Haeckels Rassentheorien dagegen fanden im dritten Reich großen Anklang.

In Jena war er eine der zentralen Leitfiguren für Rassenkunde und Rassenhygiene. Jena war die Universität, wo die meisten Lehrstühle für Rassenkunde und Rassenhygiene etabliert wurden und die Mehrheit dieser Lehrstühle ist dann von Haeckel-Anhängern besetzt worden.

Uwe Hoßfeld

Ganz im Sinne des Erfinders war das nicht, sagen die beiden Wissenschaftler aus Jena. Haeckels Theorien haben die Nationalsozialsten für sich umgedeutet. Und so passiert es auch heute noch: Denn den Begriff "Rasse" gibt es noch immer. In der Wissenschaft wurde er aber längst abgeschafft.

Warum es keine Menschenrassen gibt Es gibt keine biologische Begründung für eine Einteilung von Menschen in Rassen. Stattdessen ist das Konzept der Rasse das Ergebnis von Rassismus – und nicht dessen Voraussetzung ("Jenaer Erklärung").

Die biologischen Unterschiede zwischen allen heute lebenden Menschen sind winzig, das haben weltweit angelegte, genetische Studien gezeigt: Im menschlichen Erbgut gibt es 3,2 Milliarden Basenpaare – aber bei keinem einzigen Basenpaar gibt es einen einzigen fixierten Unterschied, der zum Beispiel Afrikaner von Nicht-Afrikanern trennt.

Oft wird das Argument gebracht, dass es Hunderassen gibt. Sie sind aber ausschließlich das Ergebnis menschlicher Züchtung und eben nicht das Ergebnis eines natürlichen, biologischen Prozesses. Quelle: https://www.quarks.de/gesellschaft/darum-ist-die-rassentheorie-schwachsinn/

6 Kommentare

Heiko007 am 30.05.2020

"Die Idee, dass es Menschenrassen gibt, war und ist mit einer Bewertung dieser vermeintlichen Rassen verknüpft". Richtig, da liegt des Pudels Kern. Diese Bewertung (die nicht in Ordnung ist), ist das Problem. Und WEIL es diese Bewertung gibt, DARF es keine Rassen geben, schließen einige messerscharf. Die vermeintlich "oberflächliche und leicht wandelbare biologische Anpassung" wird aber nun mal vererbt, und man sieht sie noch in der 3 Generation, d.h. sie ist genetisch codiert. Was denn sonst. Ob man das nun Rasse nennt, oder dafür ein neues Wort erfindet, etwa Ethnie, ist Definitionssache und mir persönlich auch egal. In Gemeinschaften, die sich vorwiegend untereinander fortpflanzen, werden zufällige Mutationen vererbt und es entstehen zwingend auch andere Unterschiede (außer Hautfarbe) zu anderen Gemeinschaften. Immer auf den Durchschnitt bezogen, nicht aufs Individuum. Die "Medikamentenvergabe nach Hautfarbe" ist eine Näherungslösung, die auf solchen Durchschnitten basiert.

MDR-Team am 30.05.2020

Es wird nicht "jede gesellschaftlich vermeintlich diskriminierende Aktion als rassistisch und als Rassismus deklariert". Das ist eine Pauschalisierung, die schlicht nicht stimmt.
Rassismus ist eine Gesinnung oder Ideologie, nach der Menschen aufgrund weniger äußerlicher Merkmale als „Rasse“ kategorisiert und beurteilt werden. Wenn also z.B. Menschen aufgrund ihres Aussehens aufgefordert werden, in ihr vermeintliches Heimatland zurückzukehren, weil Deutschland den Deutschen gehört, dann ist das unmissverständlich Rassismus und u.U. strafbar.

MDR-Team am 30.05.2020

Teil (2/2)

Und wenn Sie sich auf einen Artikel beziehen, der fast 20 Jahre alt ist, dann reißen Sie ihn bitte nicht aus dem Zusammenhang. Denn in diesem Artikel heißt es auch: "Das simple Modell, die Medikamentenvergabe schlicht nach der Hautfarbe zu regulieren, taugt langfristig kaum. Wichtiger wären individuelle Gentests, die schnell und billig das Erbgut der jeweiligen Patienten kartieren." Eine medizinische Therapie lässt sich nicht an der Hautfarbe ausrichten, sondern nur am individuellen Gesundheits- bzw. Krankenbild des einzelnen Menschen.