Wie grau ist ein Elefant? Wie sich Blinde ihr Bild von Tieren machen

24. Mai 2019, 06:44 Uhr

Wie grau ist ein Elefant? Für blind Geborene etwas, das sie sich nur schwer vorstellen können. Ansonsten wissen sie ziemlich genau, wie verschiedene Tiere aussehen. Wie sie das machen, wollten amerikanische Wissenschaftler wissen und fanden Erstaunliches heraus.


Ein Elefant in freier Wildbahn – das Bild ist leicht unscharf, im Bereich seines Kopfes ein großer grauer, etwas strahlenförmiger Fleck.
Die hier simulierte Makula-Degeneration ist eine der häufigsten Sehbehinderungen im fortgeschrittenen Alter. Nervenzellen im Bereich des schärfsten Sehens werden Zerstört. (Quelle: absv.de) Bildrechte: imago/Design Pics/MDR (M)

Wie ein Elefant aussieht, das lernen wir, indem wir z.B. in den Zoo gehen und uns einen anschauen. Menschen, die von Geburt an blind sind, müssen sich das Wissen darüber, wie ein Tier aussieht, jedoch anders erschließen - aber wie? Dass sie sich von Sehenden beschreiben lassen, wie ein Tier aussieht, wäre eine naheliegende Erklärung. Damit wollten sich die Forscher der Northwestern University in Evanston / Illinois nicht zufrieden geben.

Sie luden 20 Testpersonen ein, die von Geburt an blind sind. In einer Vergleichsgruppe nahmen 55 Menschen teil, die sehen können. Beide Gruppen mussten eine Reihe von Aufgaben lösen, in denen es um das Aussehen von Tieren ging: Sie sollten sie der Größe nach ordnen und z.B. nach Form, Hautbeschaffenheit und Farbe sortieren. Die Forscher achteten darauf, dass die verbalen Beschreibungen und die visuellen Reize, die die Probanden dafür zur Verfügung hatten, gleiche Inhalte transportierten. Bei allen Aspekten stimmten die Ergebnisse Blinder und Sehender grundsätzlich überein. Große Differenzen gab es allerdings, wenn es um die Farbe ging.

Vom Wesen auf das Aussehen schließen

Dass die Blinden ihre Vorstellung über dass Aussehen des Tieres davon bekommen, dass Sehenden ihnen die äußerlichen Merkmale beschreiben, das wollten die Wissenschaftler ausschließen. Deshalb bewerteten sie, welche Eigenschaften sie wie gut von einem Sehenden beschreiben lassen - zum Beispiel Form, Hautbeschaffenheit und Farbe. "Elefanten sind grau" - diese Beschreibung war für Sehende am einfachsten zu nennen, für die Blinden jedoch am schwersten vorstellbar. Deshalb ging die Vorstellung darüber, welche Farbe ein Elefant hat, bei Blinden und Sehenden am weitesten auseinander. Die Beschreibung hatte also nicht dazu beigetragen, dass sich die blinden Testpersonen ein Bild von einem Elefanten machen konnten.

Eigenschaften der Tiere, die nichts mit deren Aussehen zu tun haben, halfen den Blinden viel mehr, eine Vorstellung über deren Äußeres zu bekommen: zu welcher Gruppe sie zum Beispiel gehören und in welchem Lebensraum sie vorkommen. Wenn jemand, der von Geburt an nichts sehen kann, weiß, dass die Fledermaus ein Säugetier ist, schließt er daraus, dass sie wahrscheinlich Fell haben wird. Aus der Tatsache, dass sie fliegen kann, schlussfolgert er, dass sie auch Ähnlichkeit mit einem Vogel haben muss. Wie ein Tier aussieht, leitet ein Blinder also eher von dessen Wesen ab als von den Beschreibungen sehender. Die Ergebnisse ihrer Studie veröffentlichten die Psychologen aus Illinois jetzt in den Forschungsberichten der National Academy of Sciences of the United States of America.

Blind ist nicht gleich blind

Mann mit Blindenhund
Bildrechte: imago/Westend61

Wie es sich anfühlt, blind zu sein, ist schwer vorstellbar für Sehende. Ein Leben in völliger Dunkelheit ist jedoch nach Aussage des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes eher die Ausnahme. Irgendeine Art Seheindruck, und seien es auch nur Schatten, sei meist noch vorhanden. Nach deutschem Gesetz gilt als blind, wer weniger als zwei Prozent Sehvermögen hat. Bei uns in Deutschland sind das ca. 164.000 Menschen.

Was man dann noch sieht und wie, hängt von der Erkrankung ab, die zur Erblindung geführt hat. An einem Online-Sehbehinderungssimulator kann man selbst einmal ausprobieren, wie die Welt in etwa aussehen würde, wäre man selbst betroffen. Laut Statistik erblinden die Menschen bei uns im Alter von etwa 78 Jahren. Die meisten dürften also schon einmal einen Elefanten gesehen haben und sich an ihn erinnern.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Selbstbestimmt – Das Magazin | 14. April 2019 | 08:00 Uhr