Gestern, heute und morgen Wie Wissenschaftler aus Mitteldeutschland den Wintersport revolutionieren

13. Januar 2021, 13:55 Uhr

Mitteldeutschland hatte schon zu DDR-Zeiten eine Vorreiterrolle im Wintersport – und zwar auch dank kluger Ingenieure und Ingenieurinnen. Damals sollte in Oberhof die erste computerberechnete Bob- und Rodelbahn den DDR-Athleten zu Höchstleistungen verhelfen. Auch heute sind Wintersport und Ingenieurwesen eng verknüpft und so entstehen Ideen, die den Wintersport revolutionieren.

Die Bobbahn in Oberhof war ein Prestigeprojekt des DDR-Sports: Nachdem es zuvor lediglich Bahnen gegeben hatte, die existierenden Natureisbahnen nachempfunden waren, entstand die Bahn in Oberhof ab 1969 auch am Computer. Genutzt wurde ein Großrechner an der TU Dresden, der mit Lochstreifen arbeitete – importiert aus England. Verantwortlich für den Bau der Bahn war damals die DDR-Firma "Sportbauten" unter Leitung von Udo Gurgel. Die Ingenieure berechneten Geschwindigkeiten, Beschleunigungen und Fliehkräfte.

Innovatives Kühlsystem

Rodelbahn in Oberhof
Die Rodelbahn in Oberhof, die weltweit zweite künstlich vereisbare Rodelbahn. Bildrechte: imago/Gerhard König

Damit die Bahn stabile Eisbedingungen bieten konnte, legten die Ingenieure im Inneren des Betonmantels ein Rohrsystem an – insgesamt 45 Kilometer lang. Gefüllt wurden die Rohre mit fast 40 Tonnen Ammoniak, das als sogenanntes "Kältemittel"  fungierte: Die Wärmeenergie der Eisbahn wurde in die Umgebung geleitet. Damals eine Innovation, wird Ammoniak noch heute in Kühlhäusern oder zur Klimatisierung von Büros genutzt. Gelangt der Stoff allerdings in die Umwelt, wird das schnell zum Problem: Ammoniak ist giftig und kann Ökosysteme schädigen.

Neue Herausforderungen

Fünfzig Jahre später sind gute Ingenieurinnen und Ingenieure immer noch wichtig für den Wintersport. Kluge Ideen sind nach wie vor gefragt, besonders weil es in den letzten Jahren immer weniger Schneesicherheit gab.

Skispringen bei Plusgraden

Peter Riedel
Peter Riedels Anlaufspuren funktionieren auch, wenn es rundherum grün ist. Bildrechte: Peter Riedel

Mit diesem Problem befasst sich der Bauingenieur Peter Riedel aus Raschau im Erzgebirge: Seit 2007 stellt er Anlaufspuren für Skisprungschanzen her. Das Besondere an seinen Spuren: Sie funktionieren auch bei Plusgraden. Anders als bisher fahren die Athletinnen und Athleten nicht mehr auf Schnee, sondern über 7,5 cm dicke Eisspuren. Kühlstränge, die um die Spuren verlaufen, halten das Eis permanent auf Optimaltemperatur.

Die Reibung entscheidet

Das trägt dazu bei, dass Skisprungwettbewerbe fairer werden, denn: Darüber, wie weit eine Skispringerin fliegt, entscheidet auch die Reibung auf der Anlaufspur. Ist diese geringer, wird die Springerin oder der Springer schneller und fliegt weiter. Während früher die Schneeschicht auf der Schanze durch wechselnde Temperaturen immer wieder Veränderungen ausgesetzt war, schafft das temperierte Eis von Peter Riedel nun gleiche Bedingungen für alle.

Ressourcenschonendes Arbeiten

Ein Mann sitzt auf der Skisprungschanze und schaut ins Tal
Die Anlaufspur der Schanze in Zakopane. Bildrechte: Peter Riedel

Der Klimawandel spiele ihm geschäftlich durchaus in die Karten, sagt Peter Riedel. "Wir können jetzt theoretisch eine Eisanlaufspur im Hochsommer erzeugen", so der Unternehmer. Dennoch sei es für ihn wichtig, ressourcenschonend zu arbeiten. Giftiges Ammoniak verwende er als Kältemittel nicht: "Wir setzen stattdessen auf lebensmittelechtes Antifrogen-L." Eine Flüssigkeit, die nicht nur beim Skisprung hilft, sondern laut Hersteller auch "als Kühlsole und Wärmeträgerflüssigkeit in Solar- und Wärmepumpenanlagen, im Lebens- und Genussmittelsektor z. B. in Brauereien, Molkereien, Speiseeisfabriken, Tiefkühlketten, Fischverarbeitungsbetrieben usw. Verwendung findet".

Mehr "Grip" für Snowboards

Dr. Jörg Kaufmann
Der Mann mit dem neuen Board: Dr. Jörg Kaufmann Bildrechte: Dr. Jörg Kaufmann

Über den Wintersport der Zukunft macht sich auch Dr. Jörg Kaufmann Gedanken: Er untersuchte im Rahmen seiner Promotion an der TU Chemnitz die Verformungseigenschaften von Faser-Kunststoff-Verbunden. Als leidenschaftlicher Snowboarder versuchte er, seine Forschungsergebnisse auf die Praxis zu übertragen: Mehr Grip dank besonderer Materialverwendung. "Das Ziel war ein Snowboard, das beispielsweise auf eisigen Pisten weniger abrutscht", sagt Dr. Jörg Kaufmann.

Spezielles Innenleben

Das Besondere an Dr. Kaufmanns Board ist sein Innenleben: Ganz wie bei herkömmlichen Snowboards sind Glasfasern und Kohlestofffasern verarbeitet, diese sind allerdings anders angeordnet als üblich. Das Ziel: Die richtungsabhängigen Eigenschaften der verschiedenen Materialien sollten genutzt werden. "Diese Effekte sind sehr schwer zu handhaben, an der Universität wird deshalb davon oft abgeraten", sagt Dr. Jörg Kaufmann. Mit einem Computerprogramm berechnete er dennoch 1.000 verschiedene Modelle des Bretts. Die Kantenverformung des Boards in verschiedenen Szenarien sollte untersucht werden.

Kanten drücken sich in den Schnee

Grafik eines Snowboards
Bildrechte: Dr. Jörg Kaufmann

Das Ergebnis der Untersuchungen: Ein Snowboard, das sich in den Kurven wölbt (siehe Grafik), sodass die Kanten sich stärker in den Schnee drücken – in anderen Fahrszenarien dagegen heben sich die Kanten an, damit das Brett nicht verkantet. Mittlerweile ist aus dem Forschungsprojekt das Unternehmen "silbaerg" geworden, welches das Spezialboard online verkauft. "Leider derzeit nur ein Nebenprojekt", sagt Dr. Jörg Kaufmann. Der Absatzmarkt sei relativ klein. Als Dozent an der Professur für Textile Technologie der TU Chemnitz beschäftigt er sich weiterhin mit dem Thema – aus wissenschaftlicher Perspektive.

Abfahrt ganz ohne Schnee

Jörg Kaufmann ist nicht der einzige an der TU Chemnitz, der sein Ingenieurwissen für den Wintersport der Zukunft nutzt. Jens Reindl und Felix Neubert haben an der Uni ebenfalls mit ihren Forschungen begonnen und daraus eine eigene Firma gegründet: Mr. Snow. Dort stellen die beiden Kunststoffmatten her, mit denen es möglich ist, ohne Schnee – wenn man will also auch im Sommer – praktisch an jedem Hang Wintersport zu betreiben. In Zeiten, in denen es mit der Schneesicherheit nicht gut aussieht, und Wintersport im Hochgebirge ökologisch bedenklich ist, sicher nicht die schlechteste Idee.

iz

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