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Zehn Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima stehen auf dem Gelände des Atomkraftwerks zahlreiche Speichertanks, in denen radioaktiv verseuchtes Wasser lagert. Bildrechte: IMAGO / Kyodo News

Zehn Jahre nach FukushimaDie neue Atomkraft-Debatte

11. März 2021, 14:54 Uhr

In Anbetracht der Herausforderungen durch die Klimakrise werden immer wieder Stimmen laut, die die Atomkraft als mögliches Mittel im Kampf gegen die Erwärmung ins Spiel bringen. Und so ist hierzulande genau zehn Jahre nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima eine neue Atom-Debatte angelaufen, obwohl der deutsche Atom-Ausstieg längst beschlossene Sache ist. Und schaut man etwas genauer hin, wird auch schnell klar: Auch der "neue" Atomstrom dürfte daran nichts ändern.

Der 11. März 2011 hat sich ins kollektive Gedächtnis Japans eingebrannt: An diesem Tag bebte im Osten des Landes an der Küste vor der Region Tōhoku die Erde. Das löste einen Tsunami aus, dessen Flutwelle auch das direkt am Meer gelegene Atomkraftwerk Fukushima Daiichi traf. In drei Reaktorblöcken kam es infolge der Zerstörungen zur gefürchteten Kernschmelze. Es war der Super-GAU. Große Mengen radioaktiven Materials wurden freigesetzt und verseuchten Boden, Wasser und Luft. Rund 150.000 Menschen mussten das kontaminierte Gebiet vorübergehend oder sogar dauerhaft verlassen. Bis heute ist ein 300 Quadratkilometer großes Areal rund um das Kraftwerk Sperrgebiet. Fukushima Daiichi wird seit der Nuklearkatastrophe zurückgebaut, verseuchtes Wasser lagert bis heute in zahlreichen Speichertanks auf dem Gelände.

Sperrgebiet: Eine Geisterstadt in der Nähe des AKW Fukushima Daiichi Bildrechte: IMAGO / Kyodo News

Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahr 1986 war die Annahme verbreitet, dass eine ähnliche nukleare Katastrophe in den Industrieländern nicht passieren könne. Fukushima bewies allerdings das Gegenteil: Vor einer Naturkatastrophe ist niemand sicher. Mehrere Länder beschlossen im Nachgang den endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie – darunter auch Deutschland. Die letzten Atomkraftwerke sollen Ende kommenden Jahres abgeschaltet werden.

Mit Atomstrom gegen den Klimawandel?

Menschen, die sich für die Atomenergie aussprechen, betonten in letzter Zeit häufig, dass der Atomstrom beim Kampf gegen die Klimaerwärmung helfen könne. Einer der prominentesten Vertreter dieser These dürfte wohl der französische Präsident Emmanuel Macron sein, der behauptete, dass das EU-Klimaziel von 55 Prozent weniger Kohlendioxid-Emissionen im Jahr 2030 ohne Atomenergie nicht zu erreichen wäre. Das mag für Frankreich sogar naheliegend sein: Das Land erzeugt 70 Prozent seines Stroms im Atomkraftwerk. Die Laufzeit der ältesten Anlagen soll sogar um zehn Jahre verlängert werden, wenn an den alten Reaktoren Reparaturen gemacht werden.

Das AKW Emsland wird Ende 2022 als eines der letzten in Deutschland außer Betrieb genommen. Bildrechte: IMAGO/Hans Blossey

Und an dieser Stelle zeigt sich schon das erste Problem der alten Technologie: hohe Kosten. Die Atomkraftwerke aus den 60er- und 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts entsprechen unter anderem gar nicht mehr den heutigen Sicherheitsanforderungen, sagt Dr. Christoph Pistner – Bereichsleiter Nukleartechnik & Anlagensicherheit am Öko-Institut in Darmstadt. "Reaktoren an dieses Niveau heranzubringen", sagt er, "ist praktisch unmöglich oder zumindest sehr schwierig und auch mit sehr hohen Kosten verbunden."

Generell verursachen Bau und Betrieb von Atomkraftwerken so hohe Kosten, dass sich nur ein Betrieb mit möglichst hoher Auslastung rechnet, heißt es von Fachleuten. Erneuerbare Energien seien dagegen hierzulande kostengünstiger. Die Investitionskosten für Solar und Wind seien in den vergangenen 20 Jahren um etwa 90 Prozent gesunken, sagt Dr. Nico Bauer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Insgesamt sei zu beobachten, dass die Atomenergie in den vergangenen Jahren weltweit Marktanteile verloren habe – also auch dort, wo kein Atomausstieg diskutiert wird. Der Anteil ist Bauer zufolge von 17 auf zehn Prozent gesunken. Erneuerbare Energien erzeugen Strom also weitestgehend kostengünstiger und ein Super-GAU ist auch ausgeschlossen.

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Aber da Sonne und Wind nicht immer verfügbar seien, sollte man die Atomenergie trotzdem auf dem Schirm behalten, meint dagegen der emeritierte Professor Holger Rogner vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) aus Österreich: "Das heißt, die eigenen Kosten pro Kilowatt sind nicht wirklich maßgebend, was die Systemkosten angeht." Um eine gesicherte 24/7-Energiebereitstellung zu ermöglichen, seien die Kosten deutlich höher, weil Speicher und sonstige Sachen bereitgehalten werden müssten, ergänzt Rogner. "Die Speicher selbst sind noch nicht so weit, dass wir sie großtechnisch einsetzen können."

Wir brauchen deshalb andere, sprich fossile oder nukleare Technologien, die die Grundlast und die Versorgungssicherheit bereitstellen.

Prof. em. Dr. Holger Rogner, Internationales Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA)

Wenn wir als Gesellschaft also auf fossile Energiequellen wie die Kohle verzichten wollen, könnte die Atomenergie eine Alternative sein. Befürworterinnen und Befürworter betonen außerdem immer wieder, dass die Atomkraft CO2-neutral sei. Doch das stimmt nicht ganz. Dem Umweltbundesamt zufolge entstehen die Emissionen hier vor allem vor und nach der Stromerzeugung – etwa beim Bau der Kraftwerke oder der Entsorgung des Atommülls. Und auch der Abbau von Uran sei nicht emissionsfrei möglich.

Neue Utopien: Reaktoren vom Fließband

Alte Atommeiler bringen auch die alten Probleme mit sich. Deshalb wird schon seit Jahrzehnten an neuen Technologien geforscht. Und in diese neuen Reaktortypen setzen die Menschen, die den Einsatz von Atomenergie befürworten, ihre Hoffnungen. Sie klingen geradezu wie das Versprechen von sichererer Atomkraft: weniger gefährlich sollen sie sein, besser kontrollierbar und nur einem geringen Abfallproblem verbunden.

Auf der einen Seite wird an den sogenannten Reaktoren der Generation IV gearbeitet. Ein Forschungsverbund untersucht deshalb seit dem Jahr 2000 einige potentielle Technologien, die aber teilweise bisher nur erdacht, nicht aber gebaut wurden. Auch wenn Generation IV nach etwas ganz Neuem klingen mag, stammen die Reaktor-Konzepte aber aus den 50er- und 60er-Jahren des letzten Jahrtausends, erläutert Christoph Pistner.

"Wir reden hier über flüssigmetallgekühlte Reaktoren, also natriumgekühlte oder bleigekühlte Reaktoren, wie wir sie in Deutschland ja auch in der Diskussion hatten mit Kalkar – eine der großen Bauruinen in Deutschland", ergänzt der Forscher. Außerdem gehörten so genannte Hochtemperaturreaktoren zur Generation IV, aber auch bei dieser Variante seien alle Versuche bisher gescheitert, so Pistner. "Wir werden sehen, wie da der Erfolg sein wird. Ich zweifle da sehr." Außerdem seien die Kosten bei den neuen Reaktoren kaum geringer.

Die Entwickler selbst sagen: Na ja, vielleicht könnten wir so 2045, 2050 erste Systeme dann tatsächlich als Prototypen am Markt haben und langsam einführen. Und in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts könnten diese Systeme dann unterstützende Dienstleistungen (...) parallel zu den heutigen Reaktoren erfüllen. Das heißt, da ist völlig klar: Für die Frage Klimawandel spielen diese Systeme überhaupt keine Rolle.

Dr. Christoph Pistner, Öko-Institut

Das schwimmende AKW: Die Akademik Lomonossow Bildrechte: imago images / ITAR-TASS

Bei diesen Atomkraftwerken würde es sich um ähnlich große Anlagen wie heute handeln. Doch da gibt es auch noch die Idee, das ganze eine Nummer kleiner anzugehen: Small Modular Reactors (SMR) – also Modulare Kleinreaktoren. Die Idee: Tausende Mini-AKWs, günstig "am Fließband" produziert, sorgen für eine dezentrale Energieversorgung. Auch an diesem Konzept wird schon seit Jahrzehnten geforscht. Am ehesten gehen wohl die schwimmenden Atomkraftwerke der Russen in diese Richtung – so wie etwa die Akademik Lomonossow in der Ostsibirischen See. Zwei kleine Druckwasserreaktoren mit jeweils 35 Megawatt Leistung versorgen dort vom Meer aus die Stadt Pewek.

Die SMR-Technologie findet derzeit eine Menge Zuspruch. Auch der Milliardär Bill Gates glaubt daran und investiert in ihre Entwicklung. In seinem neuen Buch "Wie wir die Klimakatastrophe verhindern" wirbt er für diese Technologie. Doch bisher existieren auch im Bereich SMR nur Forschungs- und Testanlagen. Der Start eines kommerziellen Betriebs könnte noch Jahrzehnte entfernt sein, glauben Fachleute.

Richtig ist, Kernenergie wird bis 2030 keinen großen neuen Beitrag leisten können. Aber ich bin trotzdem der Meinung, dass bis 2050 auch mit (...) Small Modular Reactor SMR`s einiges erreicht werden kann.

Prof. em. Dr. Holger Rogner, Internationales Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA)

Vorher-Nachher: Das AKW Fukushima-Daiichi vor und nach der Kernschmelze in drei Reaktoren. Bildrechte: IMAGO / Kyodo News

Auch bei den SMR-Reaktoren muss zwischen der Generation IV und den wassergekühlten Reaktoren unterschieden werden, erläutert Christoph Pistner. Die Argumente der SMR-Befürworter seien vielfältig, sagt er. Wenn es gelinge wassergekühlte Reaktoren von ihrer Leistung her kleiner zu machen, dann sei die Hoffnung, dass sich auch ihre Sicherheit erhöhe. Denn jede Anlage würde dann deutlich weniger radioaktives Material enthalten. "Gleichzeitig stellt sich dann aber die ökonomische Frage", ergänzt der Forscher. "Der kleine Reaktor ist per se bezogen auf die installierte elektrische Leistung teurer als ein großer Reaktor." Dieses Problem soll die Massenproduktion lösen.

Die Hoffnung ist, dass diese kleinen Reaktoren industriell hergestellt werden können. Ich glaube, es wird dann immer so suggeriert, dass es dann ähnlich wie bei der Tesla Giga Factory eine große Fabrik gibt und da laufen die dann so am Stück raus. Das ist aber extrem unwahrscheinlich, dass das so funktioniert.

Dr. Christoph Pistner, Öko-Institut

Damit die SMR-Technologie tatsächlich einen relevanten Beitrag zur Energieerzeugung der Zukunft leisten kann, müssten sehr viele Anlagen gebaut werden. Einer neuen Untersuchung zufolge bräuchte es "viele Tausend bis Zehntausend SMR-Anlagen", um allein die heutigen rund 400 Atomkraftwerke weltweit zu ersetzen, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Und die Studie belege außerdem, dass die Technologie ihre Versprechen wohl gar nicht einhalten könnte. Das bestätige auch ein zweites Gutachten des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften in Wien, das ebenfalls am 11. März, dem Jahrestag der Katastrophe veröffentlicht werde.

Sicherheitsrisiko: Das Atomwaffen-Problem

Schlussendlich weisen zahlreiche Fachleute noch auf ein weiteres Problem hin, das die Atomenergie – insbesondere dann, wenn tausende kleine Reaktoren überall auf der Welt stehen würden – nie loswerden wird: Sie ist ein internationales Sicherheitsrisiko.

Die Atomanlage Buschehr in Iran Bildrechte: imago/UPI Photo

Denn wo Atomkraft ist, sind auch Atomwaffen nicht weit. PIK-Forscher Nico Bauer weist in diesem Zusammenhang beispielsweise auf Iran und Saudi-Arabien hin: "Die bauen ihre Atomkraftwerke ganz offenkundig nicht aus ökonomischen Gründen, die haben so viel Gas und so billiges Gas, da kann die Nuklearenergie eigentlich nicht gegen konkurrieren." Außerdem sei die Kühlung in diesen sehr heißen Ländern ein großes Problem. "Also der Ausbau dort dürfte primär militärische Gründe haben", schlussfolgert Bauer.

Wenn wir aus der CO2-Produktion raus wollen, welche Alternativen haben wir denn? Da haben wir eben sehr viele erneuerbare Energie-Technologien zur Verfügung und wir haben Atom zur Verfügung. Und im Vergleich zwischen diesen Technologien müssen wir abwägen. Und da sehe ich, dass es sich bei den anderen Technologien eben nicht um Risiko-Technologien handelt, die (...) auch internationale Sicherheitsfragen tangieren, sodass für mich da die Abwägung relativ klar ist.

Dr. Christoph Pistner, Öko-Institut

Mit Atomstrom gegen den Klimawandel? Lieber nicht meinen viele Fachleute. Bildrechte: imago/CHROMORANGE

Auf das Risiko der sogenannten Proliferation von Atomwaffen weisen auch die zwei aktuellen Untersuchungen hin, über die die Süddeutsche Zeitung berichtet. Proliferation bedeutet, dass Akteure sich über vermeintlich zivile Umwege das Know-How und die Materialien für Atomwaffen aneignen. Die SMR-Technologie vereinfache das allein schon durch ihre Dezentralität erheblich.

Hat die Atomkraft unter diesen Voraussetzungen also eine Zukunft für den Klimaschutz? Für zahlreiche Fachleute ist Kernenergie eher eine Technologie der Vergangenheit – zu alt für die Zukunft. Dafür spricht neben dem Sicherheitsrisiko und hohen Kosten auch, dass die vermeintlich innovativen Konzepte seit Jahrzehnten nicht oder kaum in die Praxis umgesetzt wurden. Eine strahlende, klimaneutrale Welt dank Atomkraft dürfte wohl hierzulande auch weiterhin eine nukleare Utopie bleiben.

Explosion im AKW Fukushima-Daiichi am 14. März 2011 Bildrechte: picture alliance/dpa | Abc Tv

Etwas anders scheint man das – zehn Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima – in Japan zu sehen. Die Regierung dort plant nach wie vor für die Olympischen Spiele. Und der symbolische Fackellauf soll ausgerechnet in der Präfektur Fukushima starten.

(kie)

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