Porträt von einem Hund und einem Mann mit Bart vor schwarzem Hintergrund, Porträts sind links bzw. rechts angeschnitten
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Zoobiquity Medizin: Auch wir sind nur Tier

23. Oktober 2019, 10:36 Uhr

Wenn sich der Mensch technische Meisterleistungen in der Tierwelt abschaut, heißt das Bionic. Wenn's allerdings um unsere Gesundheit geht, isolieren wir uns gern. Die Forschungsinitivative Zoobiquity möchte das ändern.

Der Mensch verbaut sich seine Chancen – mal wieder durch zu viel Eitelkeit. Denn wenn man bedenkt, dass Tierärzte meist für eine ganze Reihe an Arten zuständig sind, erscheint es umso verrückter, dass Menschen-Ärzte sich nur um eine Art kümmern. Und weil die Krone der Schöpfung sich eben gern von anderen Tieren abhebt, erfolgt die medizinische Versorgung seit langer Zeit völlig isoliert. Schade:

"Uns Ärzten fehlen Jahrzehnte Erfahrung und Erkenntnis", resümiert Barbara Natterson-Horowitz von der Harvard-Universität beim Bayerischen Rundfunk. Die Kardiologin sollte vor 14 Jahren im Zoo Los Angeles Herzoperationen durchführen und wurde vom Tierarzt gebeten, die Tiere nicht direkt anzusehen, diese könnten sonst eine Fangmyopathie erleiden. Das bedeutet: Plötzlicher Herztod durch Stress – unter Veterinären seit langem bekannt, beim Menschen bis dahin aber kaum erforscht. "Weil wir uns nicht als Tiere sehen und Tiere in der Natur abwerten", so Natterson-Horowitz.

Human- und Tiermediziner treffen sich in Stockholm

Zoobiquity – dt. Wir sind Tier – hat die Medizinerin das Manifest genannt, in dem sie auf diesen Misstand aufmerksam machen möchte. Es gäbe eine Reihe solcher psychischer Phänomente, die in der Tiermedizin schon lange berücksichtigt, in der Humanmedizin aber ignoriert wurden. Die gleichnamige Forschungsinitiative bringt auf Konferenzen Human- und Tiermediziner zusammen und unterstützt den Austausch der Ärzte. Zum Beispiel im September in Stockholm, als es am dortigen Karolinska Institutet um einen Erfahrungsaustausch zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und auf dem Gebiet von Fortpflanzungsgesundheit ging.

Ein Braunbär streift durch sein Revier
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Bären mit erstaunlichen Nieren

Auch Bären waren bei der Stockholmer Konferenz Gesprächsthema. Oder Patienten mit Nierenleiden, eben je nach Perspektive. Denn Bären haben erstaunliche Nieren: Während des Winterschlafs gehen die Tiere nicht aufs Klo und bekommen trotzdem keine Nierenkrankheiten. Für Humanmediziner ist das beeindruckend, denn keines der menschlichen Symptome bei Patienten mit Nierenleiden tritt bei Bären auf. Die Beobachtung von Tieren kann auch bei der Bekämpfung von Zivilisationskrankheiten hilfreich sein. Wie bei Menschen gibt es auch bei Libellen erhöhte Blutzuckerwerte, Labradore haben unstillbaren Appetit und Schweine Magersucht in Stresssituationen.

Mensch- und Tier-Teenies machen das gleiche durch

Natterson-Horowitz und Co-Autorin Kathryn Bowers, eine Wissenschaftsjournalistin, haben erst im September nachgelegt: Schon der Untertitel ihres neuen Buches Wildhood dürfte Mensch provozieren: "Die unglaubliche Reise von der Jugend ins Erwachsenenalter im Menschen und anderen Tieren". Darin zeigen die Autorinnen, dass die schmerzhaft-anstrengende Zeit, die Jugendliche (beim Tier-Tier und dem Menschen-Tier) durchmachen müssen, es den Teens erst erlaubt, als Erwachsene richtig zu funktionieren – für Eltern durchaus beruhigend, zu diesem Schluss kommt die Los Angeles Times. Und so zeigen sich erstaunliche Parallelen, zwischen jungen Seeottern, die sich etwas sehr nah an hungrige Haie rantrauen und dem Autofahrverhalten von jungen Menschen. Oder junge Gazellen, die sich durch einen auffälligen Gang als schwer zu erbeuten präsentieren und damit ein ähnliches Verhalten an den Tag legen wie Teenager, die vorgeben, stärker zu sein sein als sie sind – um keine Schläge zu kassieren.

Eine Forderung von Zoobiquity: Patientendaten zwischen Human- und Tiermedizinern sollten geteilt werden. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, in der Erforschung der Gesamt-Tiermedizin.

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