Zwei gefährdete Spitzmaulnashörner laufen durch die Steppe Kenias.
Das Spitzmaulnashorn – hier in Kenia abgelichtet – ist eine von 18 vom Aussterben bedrohten Arten im Zoonomia-Datensatz. Bildrechte: Noah Snyder-Mackler

Zoonomia-Projekt Was der Mensch von Hummelfledermaus, Wal und Amazonasdelfin lernen kann

28. April 2023, 09:31 Uhr

Warum halten einige Säugetiere Winterschlaf, warum riechen andere so außergewöhnlich gut und warum sind manche – so wie der Mensch – so anfällig für Krankheiten? All das sind Fragen, auf die ein internationales Genetik-Forschungsprojekt Antworten liefern soll: Im Zoonomia-Projekt haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Erbgut von 240 verschiedenen Säugetieren untersucht und analysiert. Die Ergebnisse erzählen uns unter anderem etwas über die Evolution, Krankheiten oder Biodiversität.

Säugetiere haben sich im Verlauf von 100 Millionen Jahren an fast jede Umgebung und alle Veränderungen der Ökosysteme angepasst. Mehr als 6.000 Säugetierarten gibt es heute auf dem Planeten – inklusive uns Menschen. Und das Erbgut der Säugetiere birgt viele Geheimnisse, von denen das Zoonomia-Projekt einige entschlüsseln wollte. Über Jahre hat ein internationales Forschungsteam die Genome von 240 Säugetier-Arten sequenziert und analysiert – von der winzigen Hummelfledermaus bis zum tonnenschweren Wal und vom afrikanischen Savannenelefanten über den Amazonasdelfin bis hin zum Hund. Die 240 Arten repräsentieren insgesamt mehr als 80 Prozent der Säugetierfamilien.

Ein seltener Riesenotter liegt auf einem Baumstamm in der Sonne.
Der Riesenotter ist eine von 52 gefährdeten Arten im Datensatz. Bildrechte: Marcos Amend

Die Sammlung genetischer Daten, die die mehr als 150 beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammengetragen haben, ist der weltweit größte genetische Datensatz zu Säugetieren. Und erste Erkenntnisse dazu, was uns die Gene der Tiere verraten, haben sie bereits in elf Studien untersucht, die nun alle gleichzeitig in einer Sonderausgabe des Fachmagazins Science veröffentlicht werden.

Vergleich offenbart unveränderte Stellen im Genom

Die Untersuchungen der Säugetier-Genome sind ein riesiger Wissens-Schatz. Schon diese ersten Analysen liefern Erkenntnisse über Krankheit und Gesundheit oder gewähren uns einen tiefen Einblick in die Evolutionsgeschichte.

Dieses Studien-Paket zeigt wirklich, was man mit dieser Art von Daten machen kann und wie viel wir aus der Untersuchung der Genome anderer Säugetiere lernen können.

Elinor Karlsson, Broad Institute of MIT und Harvard

Aber warum hat das Forschungsteam diese jahrelange Fleißarbeit gemacht, die 240 Genome zu sequenzieren? Dazu braucht es etwas Vorrede: Das menschliche Genom besteht aus ungefähr 20.000 Genen, die den Code für die Herstellung aller Proteine im Körper enthalten. Das Genom enthält außerdem die Anweisungen, wo, wann und wie viel der Proteine produziert werden. Diese Teile des Genoms, die auch regulatorische Elemente genannt werden, sind viel schwieriger zu identifizieren als die Teile, aus denen Proteine entstehen. Die Untersuchung sehr vieler Säugetiergenome allerdings hilft dabei herauszufinden, welche Teile des Genoms das sind.

Unterwasser-Aufnahme eines Amazonas-Flussdelphins, der an einer Grünpflanze schwimmt.
Säugetier: Auch der Amazonasdelfin ist mit uns verwandt. Bildrechte: Marcos Amend

Das Zoonomia-Projekt verfolgt einen vergleichenden Ansatz. Die Forschenden haben also die sequenzierten Säugetiergenome miteinander verglichen. So konnten sie Regionen der Genome oder sogar nur einzelne DNA-Buchstaben finden, die tatsächlich bei allen Säugetierarten über Millionen von Jahren der Evolution hinweg konserviert sind und immer unveränderbar bleiben. Es sei naheliegend, dass das sehr wichtige biologische Anschnitte sind, so die Forschenden. Dabei handelt es sich genau um die Regionen, die nicht an der Eiweißbildung beteiligt sind, sondern für die Regulation zuständig. Gibt es in diesen Regionen Mutationen, könnte das eine wichtige Ursache für die Entstehung von Krankheiten sein oder besondere Fähigkeiten der Säugetiere begünstigen, glaubt das Forschungsteam.

Insgesamt identifizierten sie mehr als drei Millionen wichtige regulatorische Elemente im menschlichen Genom, von denen etwa die Hälfte bisher unbekannt war. Sie konnten auch feststellen, dass mindestens zehn Prozent des Genoms funktionsfähig sind. Nur ein Prozent - also ein Zehntel - davon ist für die Kodierung der Proteine zuständig.

Eine Fledermaus der Art Großes Hasenmaul hängt kopfüber an einem Ast.
Das Große Hasenmaul ist eine von 30 untersuchten Fledermaus-Arten. Bildrechte: Marcos Amend

Die Mutation, die krankmacht

Mindestens zehn Prozent des menschlichen Genoms gehören zu dem über Arten hinweg hoch konservierten Teil. Mehr als 4.500 Elemente seien bei mehr als 98 Prozent der untersuchten Arten nahezu perfekt konserviert, schreiben die Forschenden. Die meisten dieser konservierten Region seien demnach an der Embryonalentwicklung und der Regulation der RNA-Expression beteiligt. Die Regionen dagegen, die sich häufiger veränderten und in denen es spontane Mutationen gebe, seien dagegen eher für die Anpassung des Tieres an seine Umwelt verantwortlich. Das geschehe etwa dadurch, dass Immunantworten reguliert oder die Haut verändert werde.

Ein Großteil der Mutationen, die zu Volkskrankheiten wie Diabetes führen, hat mit Genregulation zu tun. Unsere Studien erleichtern es, die Mutationen zu identifizieren, die zu Krankheiten führen, und zu verstehen, was schief läuft.

Kerstin Lindblad-Toh, Universität Uppsala

In einer der jetzt publizierten Studien hat sich das Forschungsteam die Säugetiergenome gezielt dahingehend angeschaut, mögliche Regionen zu entdecken, die mit Krankheiten beim Menschen zusammenhängen könnten. Dabei fanden sie Mutationen, die wahrscheinlich sowohl bei seltenen als auch bei häufigen Krankheiten, einschließlich Krebs, ursächlich seien, so die Forschenden.

Ein Südamerikanischer Tapir läuft über eine Wiese.
Das Genom des Tapirs hatten die Forscher, ein Waschbär-Genom dagegen war nicht zu bekommen. Bildrechte: Marcos Amend

Bei ihren DNA-Analysen fanden die Forschenden auch einen Teil der genetischen Basis für außergewöhnliche Fähigkeiten von Säugetieren – so wie den Winterschlaf oder den extrem sensiblen Geruchssinn einiger Arten. Und auch den Teil, der die erhebliche Gehirngröße der Säugetiere bedingt, konnten die Forschenden finden.

Evolutions-Booster Dino-Aussterben

Die Zoonomia-Daten erlauben tatsächlich auch einen tiefen Einblick in unsere Evolutionsgeschichte. Projekt-Koordinatorin Karlsson kann sogar sagen, wann die ihren Anfang fand: In etwa zu dem Zeitpunkt nämlich, als die Kontinente auseinanderdrifteten. Demnach diversifizierten sich die Säugetiere schon vor dem Massenaussterben der Dinosaurier. Doch dieses Ereignis vor etwa 65 Millionen Jahren war schließlich ein regelrechter Booster für die Säugetier-Evolution in der folgenden Zeit, erklärt Forscherin Karlsson.

Tatsächlich ist das mit dem Aussterben ja so eine Sache. Auch heute noch verlieren wir ständig Arten. Wie kann die Biodiversität – die Vielfalt der Arten – also erhalten werden? Offenbar kann die Genetik sogar etwas über das Risiko aussagen, das eine Art hat, von diesem Planeten zu verschwinden. Die Forschenden konnten Arten identifizieren, die besonders vom Aussterben bedroht sind. Denn Säugetiere mit weniger genetischen Veränderungen an den konservierten Stellen im Genom waren den Forschenden zufolge in der Vergangenheit einem höheren Aussterberisiko ausgesetzt.

Porträtaufnahme einer Frau mittleren Alters mit langen brünetten Haaren, die zu einem Zopf gebunden sind, sowie einer Brille.
Kerstin Lindblad-Toh, Universität Uppsala Bildrechte: Mikael Wallerstedt

Dies sind Informationen, die Grundlage für ein besseres Verständnis sein können, wie man eine Art schützt, um ihr beim Überleben zu helfen.

Kerstin Lindblad-Toh, Universität Uppsala

Eine der publizierten Studien befasst sich mit einer Risiko-Vorhersage: Die Forschenden haben Computermodelle mit den genetischen Informationen gefüttert, die sich auf die Demografie, die Vielfalt und Mutationen beziehen, die einen Einfluss auf die Gesundheit haben. Denn auf dieser Grundlage ließen sich die gefährdeten Arten nicht nur identifizieren, sondern auch abschätzen, wer wie gut durch welche Naturschutzmaßnahme profitieren kann. Generell seien Arten mit historisch kleineren Populationen heute einem höheren Aussterberisiko ausgesetzt. Die Studien-Autoren fordern, dass die genetischen Informationen künftig Teil der Bewertung von Schutzkonzepten werden.

Ein Datensatz für die Wissenschaft

Für die Projekt-Koordinatorinnen Elinor Karlsson vom Broad Institute of MIT and Harvard und Kerstin Lindblad-Toh von der Universität Uppsala in Schweden sowie die Forschenden, die schon seit 2005 Säugetier-Genome für das Zoonomia-Projekt und seine Vorgänger sequenzieren ist die Veröffentlichung der ersten elf Publikationen auch ein Anfang – oder besser ein Bruchteil dessen, was mit den Daten möglich ist.

Wir sind gespannt, wie wir und andere Forscher mit diesen Daten auf neue Weise arbeiten können, um sowohl die Genomentwicklung als auch Krankheiten zu verstehen.

Kerstin Lindblad-Toh, Universität Uppsala

Lindblad-Toh ist sich sicher, dass die Daten, die im Projekt produziert wurden, für viele Jahre für Evolutionsstudien und medizinische Forschung verwendet werden können. Das Zoonomia-Projekt wird den gigantischen Wissenschatz künftig für eigene weitere Forschung als auch für die Forschungsarbeiten anderer interessierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der ganzen Welt zur Verfügung stellen.

Ein Amerikanisches Bison steht auf einer Wiese.
Auch das Amerikanische Bison gehört zu den Zoonomia-Tieren. Bildrechte: Marcos Amend

Link zur Science-Sonderausgabe

Die elf Studien des Zoonomia-Projekts sowie weitere erläuternde Textes werden in einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift Science veröffentlicht. Hier kommen Sie direkt zur Sonderausgabe.

Hier finden Sie die Internetpräsenz des Zoonomia-Projekts.

(kie)

Wissen

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