Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeinde

21. Mai 2002, 15:27 Uhr

Unter Zinzendorfs Leitung entstand in Herrnhut die "Brüdergemeinde", in der sich ein gottesdienstliches Leben mit intensiver gegenseitiger sozialer Fürsorge entfaltete.

Statue von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, dem Förderer der Herrnhuter Brüdergemeinde.
Förderer der Herrnhuter Brüdergemeinde: Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf Bildrechte: imago/imagebroker/Bahnmüller

Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorf und Pottendorf (1700-1760) gilt als der Gründungsvater der Herrnhuter Brüdergemeinde. Bereits 1722 gewährte der durch den Pietismus geprägte ehemalige Schüler von August Hermann Francke (Frankesche Stiftungen zu Halle) mährischen Exulanten die Ansiedlung auf dem Grund und Boden seiner Gutsherrschaft Berthelsdorf in der Oberlausitz an der Landstraße zwischen Löbau und Zittau. Er wollte damit den in ihrer Heimat vertriebenen "Böhmischen Brüdern" - einer vorreformatorischen Kirche in Böhmen und Mähren - ein neues Zuhause "unter des Herrn Hut" geben und zugleich mit der Unität eine ökumenische Gemeinschaft schaffen, in der mit anderen Glaubensdissidenten die Vielfalt protestantischer Glaubensformen der evangelischen Kirche zusammengeführt werden sollten.

Weil es nicht zu vermuten ist, daß alle Einwohner in Herrnhut einerlei Sinn nach Christo haben, so wird davon nur ein redlich Bekenntnis verlangt, und alsdann einem jeden von den Statuten soviel zu unterschrieben gegeben, als sich für ihn schickt.

(Statuten der Herrnhuter Brüdergemeinde I,41)

Auf Hierarchien weitgehend verzichtet

Zinzendorfs Ideal, das Nebeneinander der einzelnen protestantischen Glaubensbekenntnisse, konnte sich indes nicht durchsetzen. Der Graf wollte die einzelnen Gruppen als Erscheinungsformen einer universellen Kirche verstanden wissen, die auf Jesus Christus ausgerichtet ist. Stattdessen entwickelte sich die Unität zu einem eigenen Bekenntnis. 1749 wurde die Gemeine in England als eigenständige Kirche anerkannt und in Sachsen als Konfessionsverwandte im Sinne des Augsburgischen Bekenntnisses geduldet. Zum Merkmal der Brüdergemeine wurde ihre christozentrische Struktur, in der auf Hierarchien weitgehend verzichtet wurde. Auch in der Bibelexegese, bei der die vier Evangelien im Mittelpunkt standen, bemühte sich der Graf um eine für alle verständliche Auslegung: "Es ist eine unverantwortliche Torheit, die Bibel so auszukünsteln, daß man wider allen Sinn und Verstand glauben soll, daß sie gelehrt, zusammenhängend, nach unserer Art methodisch geschrieben sei." (Zinzendorf, Theologische Bedenken, 1742)

"Kein Zanken gegen Andersgesinnte"

1749 zählte die Gemeinde etwa 1.000 Personen, darunter mehrere hundert Adlige. Voraussetzung für diese Entwicklung waren die 1727 von Zinzendorf verliehenen Statuten für ein christlich-soziales Gemeinwesen auf der Grundlage brüderlicher Liebe und gegenseitiger Unterordnung, die keine sozialen Notstände aufkommen lassen sollten. Herrnhut sollte mit seinen mährischen Exulanten "in beständiger Liebe mit allen Brüdern und Kindern Gottes in allen Religionen stehen, kein Beurteilen, Zanken oder etwas Ungebührliches gegen Andersgesinnte vornehmen, wohl aber sich selbst und die evangelische Lauterkeit, Einfalt und Gnade unter sich zu wahren suchen.."

Keine bedingungslose Bekehrung

Bereits im ersten Jahrzehnt des Bestehens der Gemeinde setzten ausgedehnte Missionsreisen ein. Bewegt vom Los der afrikanischen Sklaven in der Karibik zogen die ersten Missionare auf die westindischen Inseln und legten den Grundstein zu einem weltweiten Diakoniewerk. Bezeichnenderweise wollte Zinzendorf keine bedingungslose Bekehrung der "Heiden". Ihm ging es vorrangig darum, Menschen in Not von Jesus zu künden, um denen, die sich bereit erklärten, die Taufe zu ermöglichen. "Fangt nicht mit öffentlichen Predigten an, sondern mit Zuspruch bei einzelnen Seelen, die es wert sind, die euch der Heiland anweisen und ihr fühlen werdet. Wenn es aber von euch begehrt worden, so bezeugt jedermann das Evangelium auch offenbar" (Missionsinstruktionen Zinzendorfs). Die Übersee-Mission gehört zu den bedeutendsten Aktivitäten der Brüdergemeinde, denn den Missionsstationen angeschlossen waren immer auch Schulen und medizinische Einrichtungen. Die Zahl der bis 1760 ausgesandten Missionare wird auf etwa 300 geschätzt.

Heute versteht sich die Herrnhuter Brüdergemeinde als eine evangelische Kirche, deren Gemeinde eine Dienstgemeinschaft darstellt. Deutlich äußert sich dies in den weltweiten Brüdergemeinden und diakonischen Einrichtungen der Unität.

Graf Zinzendorf bleibt mit seiner toleranten Grundhaltung, seinem Eifer in religiösen Angelegenheiten, der nie in blinden Bekehrungswahn umgeschlagen ist, und seiner Umtriebigkeit eine der interessantesten Gestalten der Kirchengeschichte des 18. Jahrhunderts.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch in "Im Herrenhuter Sternenglanz" 05.12.2017 | 20.15 Uhr