Statue von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, dem Förderer der Herrnhuter Brüdergemeinde.
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Biografie Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf

(1700-1760)

06. Mai 2010, 15:03 Uhr

Graf von Zinzendorfs Werk, die Herrnhuter Gemeinde, hat sein Leben bis heute überdauert und genießt in der ganzen Welt Ansehen und Beachtung. Die evangelische Brüder-Unität hat in der Oberlausitz ihr Stammhaus.

Unser Lebenslauf sei, wie das Ende eines selgen Herzens ist, das mit Sehnsucht forteilt in die Hände seines Heilands Jesus Christ.

(Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, 1748)

Graf von Zinzendorfs Werk, die Herrnhuter Gemeinde, hat sein Leben bis heute überdauert und genießt in der ganzen Welt Ansehen und Beachtung. Die evangelische Brüder-Unität hat im sächsischen Herrnhut in der Oberlausitz ihr Stammhaus. Am 17. Juni 1722 hatten sich dort Migranten aus Böhmen und Mähren versammelt, um die in ihrer Heimat verfolgte Glaubensgemeinschaft der "Böhmischen Brüder" zu erneuern. Bestimmend für dieses Werk wurde das Wesen Zinzendorfs - eines Mannes, der durch seine Erziehung und seinen Lebensweg Toleranz und Glaubensfreiheit schätzen gelernt und selbst praktiziert hatte.

Der Graf entstammte einem alten niederösterreichischen Adelsgeschlecht, das im 16. Jahrhundert zum protestantischen Glauben konvertiert war. Als die habsburgischen Lande rekatholisiert wurden, siedelten die Zinzendorfs nach Kursachsen über. Schnell fassten sie Fuß und schlugen militärische beziehungsweise diplomatische Karrieren ein. Georg Ludwig von Zinzendorf, der Vater des Grafen, heiratete nach dem Tod seiner ersten Frau die junge Charlotte Justine von Gersdorf, die ihm 1700 Nikolaus Ludwig gebar. Seinen Vater hat der Graf nie kennen gelernt; wenige Wochen nach der Geburt seines Sohnes starb er an einem Blutsturz.

Nachdem seine Mutter 1704 erneut geheiratet hatte, wurde der junge Nikolaus Ludwig in die Obhut seiner Großmutter mütterlicherseits gegeben: Freifrau Henriette Katharina geborene von Friesen. Die als "gelehrte Friesin" geachtete Frau veranlasste die Erziehung des Grafen. 1710 wurde Zinzendorf Schüler des Pädagogium Regium in Halle (die späteren Frankeschen Stiftungen). Dort hatte August Hermann Francke großen Einfluß auf den heranwachsenden Grafen. Unter dem Eindruck der englischen "Society for Propagation of the Gospel in Foreign Parts" fasste der Graf den Entschluss, nach diesem Vorbild selbst eine Ordensgemeinschaft mit gemeinnützigen Zielen zu gründen. Weiter prägend für den Charakter Zinzendorfs wurde seine Teilnahme an gemeinschaftlichen Zusammenkünften von reformierten und katholischen Geistlichen in Utrecht. In Paris schloss er Freundschaft mit dem siebzigjährigen Louis-Antoine de Noailles, Kardinal und Erzbischof der mächtigen katholischen Prälatenkirche in Frankreich: "Von der Zeit an bemühte ich mich, das Beste in allen Konfessionen zu entdecken."

1721 hatte Zinzendorf die Volljährigkeit erreicht. Er übernahm die Standesherrschaft auf dem Gutsbezirk Berthelsdorf. Ein Jahr später trat der Mann in sein Leben, mit dem er die Grundfundamente seines späteren Lebenswerkes legte: Der Zimmermann Christian David ersuchte ihn um die Aufnahme von zehn mährischen Glaubensflüchtlingen. Zinzendorf sagte zu; als er nach einer längeren Reise nach Berthelsdorf zurückkehrte, entdeckte er zu seiner Verwunderung das neu errichtete Haus der Exulanten:

Wir fragten: wem ist dieses Haus?
Die Leute sprachen: Euer.
Da stiegen wir geschwind heraus und wärmten uns am Feuer.
Wie war doch unser Herz entbrannt, da Pilger vor uns stunden,
die weit weg von ihrem Vaterland die freie Gnade funden.

Schnell vermehrte sich die Zahl derer, die nach Herrnhut kamen. 1727 lebten dort fast 300 Menschen. Nur die Hälfte von ihnen waren mährische Exulanten, die andere Hälfte setzte sich zusammen aus Separatisten und protestantischen Außenseitern. Trotz der gegenseitigen Spannungen verbrüderten sich die Versammelten am 13. August desselben Jahres bei einem gemeinsamen Gottesdienst. Noch heute feiert die Gemeine diesen Tag als Gründungsdatum ihrer Bruderschaft.

Ausgleichend auf die gegensätzlichen Glaubensanschauungen haben auch die Statuten gewirkt, welche Zinzendorf kurz zuvor erlassen hatte: "Weil es nicht zu vermuten ist, daß alle Einwohner in Herrnhut einerlei Sinn nach Christo haben, so wird davon nur ein redlich Bekenntnis verlangt, und alsdann einem jeden von den Statuten soviel zu unterschrieben gegeben, als sich für ihn schickt." (Statuten I,41)

Zinzendorfs Ideal, das Nebeneinander der einzelnen protestantischen Glaubensbekenntnisse, konnte sich indes nicht durchsetzen. Der Graf wollte die einzelnen Gruppen als Erscheinungsformen einer universellen Kirche verstanden wissen, die auf Jesus Christus aufgerichtet ist. Stattdessen entwickelte sich die Unität zu einem eigenen Bekenntnis. 1749 wurde die Gemeine in England als eigenständige Kirche anerkannt und in Sachsen als Konfessionsverwandte im Sinne des Augsburgischen Bekenntnisses geduldet. Zum Merkmal der Brüdergemeine wurde ihre christozentrische Struktur, in der auf Hierarchien weitgehend verzichtet wurde. Auch in der Bibelexegese, bei der die vier Evangelien im Mittelpunkt standen, bemühte sich der Graf um eine für alle verständliche Auslegung: "Es ist eine unverantwortliche Torheit, die Bibel so auszukünsteln, daß man wider allen Sinn und Verstand glauben soll, daß sie gelehrt, zusammenhängend, nach unserer Art methodisch geschrieben sei." (Zinzendorf, Theologische Bedenken, 1742)

Seit der Gründung der Herrnhuter Gemeine widmete sich Zinzendorf fast ausschließlich der Gemeindearbeit. Nachdem er seine Anstellung im Dienste Sachsens aufgegeben hatte, trat der theologische Autodidakt 1734 in den geistlichen Stand ein. 1737 empfing er in Berlin die Bischofsweihe. Ein Jahr zuvor war er aufgrund seiner beständigen Aufnahme von Exulanten aus Kursachsen verbannt worden. Zinzendorf begann ausgiebig zu reisen. Neben einem Aufenthalt bei Friedrich Wilhelm I. in Preußen führten ihn seine Fahrten bis in die Neue Welt.

Bereits im ersten Jahrzehnt des Bestehens der Gemeinde setzten ausgedehnte Missionsreisen ein. Bewegt vom Los der afrikanischen Sklaven in der Karibik zogen die ersten Missionare auf die westindischen Inseln und legten den Grundstein zu einem weltweiten Diakoniewerk. Bezeichnenderweise wollte Zinzendorf keine bedingungslose Bekehrung der "Heiden". Ihm ging es vorrangig darum, Menschen in Not von Jesus zu künden, um denen, die sich bereit erklärten, die Taufe zu ermöglichen. "Fangt nicht mit öffentlichen Predigten an, sondern mit Zuspruch bei einzelnen Seelen, die es wert sind, die euch der Heiland anweisen und ihr fühlen werdet. Wenn es aber von euch begehrt worden, so bezeugt jedermann das Evangelium auch offenbar." (Missionsinstruktionen Zinzendorfs)

Als Graf Zinzendorf am 9. Mai 1760 starb, konnte er auf ein ansehnliches Werk zurückblicken. Die Gemeine hatte zu diesem Zeitpunkt Ansiedlungen in der ganzen Welt. Sie war anerkannt und auf Grund ihrer toleranten Haltung und nicht zuletzt ihrer wirtschaftlichen Potenz von ungebrochener Anziehungskraft. Die Geschichte der Brüderunität wird in der Forschung als eine Erscheinungsform des Pietismus angesehen. Zinzendorf war geprägt vom Halleschen Pietismus des August Hermann Francke und von Philipp Jakob Spener, dem sein Vater anhing. Er bemühte sich zwar nicht ohne Erfolg, seine Gemeine durch einen freudigen Umgang mit dem Wort Gottes und durch die Abkehr von einer allzu ernsthaften Bußhaltung von diesen Strömungen abzusetzen. Letztlich aber hat die Herrnhuter Gemeinde die pietistischen Grundzüge erneuert und erfolgreich in das 19. Jahrhundert geleitet.

Literaturtipps

Erich Beyreuther: Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, Stuttgart 1975

Stephan Hirzel: Der Graf und die Brüder. Die Geschichte einer Gemeinschaft, Stuttgart 1980

Beyreuther, Erich: Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Selbstzeugnisse und Bilddokumente. Eine Biografie, Gießen 2000

Zimmerling, Peter: Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeine: Geschichte, Spiritualität und Theologie, 1999

Geiger, Erika: Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Seine Lebensgeschichte, 1999

Zinzendorf, Nikolaus L. von: Er der Meister, wir die Brüder. Eine Auswahl seiner Reden, Briefe und Lieder, hrsg. v. Dietrich Meyer, Gießen 2000

Meyer, Dietrich: Zinzendorf und Herrnhut. 1700-2000, Göttingen 2000