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HintergrundBegegnungen mit dem Buchenwaldkind Stefan Jerzy Zweig

22. April 2021, 16:43 Uhr

Der Schauspieler Armin Mueller-Stahl, der Historiker Bill Niven oder die Witwe des Schriftstellers Bruno Apitz – sie sind Stefan Jerzy Zweig nahegekommen. In Interviews für die Dokumentation "Buchenwaldkind" von Dr. Ute Gebhardt erzählen sie von ihren Erfahrungen.

Kiki Apitz, die Witwe des Schriftstellers Bruno Apitz

Als Bruno Apitz 1958 seinen Roman "Nackt unter Wölfen" veröffentlichte, galt das "Buchenwaldkind" als verschollen. Ein Umstand, der Apitz sehr betrübte. Und so war er tatsächlich freudig erregt, als 1963 Stefan Jerzy Zweig endlich ausfindig gemacht werden konnte. Als Zweig ein Jahr später die DDR besuchte, trafen sich die beiden auch sofort. Aber der Romanautor war vom wirklichen "Jerzy", der jetzt ein junger Mann von 23 Jahren war, schnell "enttäuscht", wie sich Apitz' Witwe Kiki Apitz erinnert. So soll Stefan Jerzy Zweig der Ansicht gewesen sein, dass die beträchtlichen Honorare aus dem Verkauf des Buches eigentlich ihm zustünden, da er doch der Held des Buches sei. Bruno Apitz sah das natürlich etwas anders. "Mein Mann hätte gern einen Sohn in ihm gesehen", sagt Kiki Apitz, "einen ihm freundschaftlich verbundenen Sohn. Aber das ergab sich leider nicht ..."

Der Schauspieler Armin Mueller-Stahl

1963 verfilmte der DEFA-Regisseur Frank Beyer den Roman "Nackt unter Wölfen". Armin Mueller-Stahl, der Zweig in den 60er-Jahren in Babelsberg begegnet war, spielte eine der Hauptrollen. "Der Film bot die Möglichkeit, die breite Masse zu erreichen", erinnert sich der Schauspieler, "einfach weil einen die Geschichte dieses Kindes sehr berührte." Mueller-Stahl verkörperte den Kommunisten André Höfel, einen "überaus sensiblen Mann, der den Strapazen im KZ physisch nicht gewachsen war", und dennoch einen großen Anteil an der Rettung des "Buchenwaldkindes" hatte. Das reale Vorbild Höfels war übrigens Willy Bleicher, der später in der Bundesrepublik ein maßgeblicher Gewerkschaftsfunktionär war. Bevor Stefan Jerzy Zweig nach seiner "Entdeckung" 1964 die DDR besuchte, fuhr er zunächst nach Stuttgart, zu Willy Bleicher, um ihm als erstem für seine Rettung Dank zu sagen.

Ende der 1990er-Jahre wurde dem Film "Nackt unter Wölfen" vorgeworfen, man könne nicht die Geschichte der Rettung eines Kindes erzählen und meinen, damit den Holocaust insgesamt erzählt zu haben. Mueller-Stahl hält diesen Vorwurf für "läppisch", denn "es geht um die Rettung eines Kindes und nicht um das Schicksal aller Kinder". Ein Film oder ein Roman sei "nicht verpflichtet, die ganze Palette des Unglücks im KZ zu erzählen".

Der Historiker Bill Niven

Der britische Historiker Bill Niven, Professor für Zeitgenössische Deutsche Geschichte an der Nottingham Trent University, legte 2009 sein Buch "Das Buchenwaldkind. Wahrheit, Fiktion und Propaganda" vor. Dort rekonstruiert er akribisch die tragische Geschichte Stefan Jerzy Zweigs. "Die Geschichte des 'Buchenwaldkindes'", so Bill Niven, "ist immer zu einseitig erzählt worden, sowohl in der DDR als auch heute. Die Wahrheit ist viel widersprüchlicher und komplizierter."

Nach dem Ende der DDR war in verschiedenen Publikationen versucht worden, den von der SED in den 50er-Jahren installierten Mythos von der heldenhaften Rettung des Kindes durch kommunistische Häftlinge des KZ Buchenwald zu zerstören. Dieser wurde nun abgelöst durch eine in sein Gegenteil verkehrte Neuinterpretation der damaligen Ereignisse. Und sogar das "Buchenwaldkind" wurde in dieser Zeit – etwa durch den Romanautor Hans-Joachim Schädlich - indirekt bezichtigt, Schuld auf sich geladen zu haben, weil anstatt seiner ein anderes Kind in den Tod geschickt worden war.

Prof. Dr. Volkhard Knigge, Direktor der Gedenkstätte Buchenwald

Als einen "Antisemiten" und "Säufer jüdischen Bluts" bezeichnet Stefan Jerzy Zweig den Direktor der "Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora", Prof. Dr. Volkhard Knigge. Für Zweig war es ein ungeheuerlicher Affront, dass 1999 die Gedenktafel an der Effektenkammer des KZ Buchenwald abmontiert wurde, auf der die Rettungstat der Häftlinge in heroischem Tonfall beschrieben war. Volkhard Knigge verweist auf die Anbringung einer neuen und in sachlichem Ton gehaltenen Tafel, auf der von der Rettung von mehr als 900 Kindern und Jugendlichen im KZ Buchenwald die Rede ist. Stefan Jerzy Zweig genügt diese Tafel aber keineswegs. Er kann nicht verwinden, dass sein Name getilgt worden ist. "Wenn man einem Juden seinen Namen nimmt, löscht man ihn ein zweites Mal aus", schreibt die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek im Nachwort von Zweigs Autobiografie "Tränen allein genügen nicht". Volkhard Knigge sieht sich dennoch im Recht ...

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im Fernsehen:Thüringenjournal | 08.05.2018 | 19:00 Uhr

Buchtipps:Zacharias Zweig (posthum) und Stefan Jerzy Zweig: Tränen allein genügen nicht. Mit einem Nachwort von Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, herausgegeben im Eigenverlag: Wien 2005; 34 Euro

Bill Niven: Das Buchenwaldkind.
Wahrheit, Fiktion und Propaganda. Mitteldeutscher Verlag, 2009, Hardcover, 327 Seiten, ISBN: 978-3-89812-566-6