Die Kanzlerkandidaten zur Bundestagswahl 2021: v.li:Armin LASCHET CDU,Annalena BAERBOCK, Buendnis 90/die Gruenen,Olaf SCHOLZ SPD.
Unter dem Hashtag #laschetverhindern finden sich tausende Beiträge auf sozialen Netzwerken. Auch über die anderen Kanzlerkanidaten wird heftig diskutiert. Dabei dienen soziale Netzwerke als emotionale Verstärker in politischen Debatten. Bildrechte: imago images/Sven Simon

Soziale Medien, Fehlerkultur und politische Debatten Härter und hasserfüllter: Krisenjahrzehnt und Social Media verschärfen Streitkultur

14. September 2021, 09:12 Uhr

Mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl scheint es, als ob politische Debatten zunehmend emotionaler, härter und hasserfüllter geführt werden. Gnadenlos werden vermeintliche Fehltritte von Spitzenpolitikern wie Baerbock, Laschet und Scholz bewertet und zerlegt. Es scheint, als ginge es in Diskussionen, besonders auf sozialen Netzwerken, oftmals nur darum, Personen zu schaden und sie schlechtzureden. Filterblasen, Anonymität und Algorithmen verstärken diesen Effekt. Wie sich das auf unsere Streitkultur auswirkt, erklärt Politikwissenschaftler Torben Fischer von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Öffentliche Debatten werden emotionaler geführt als noch vor ein paar Jahren. Ist die Gesellschaft an sich gereizter?

Torben Fischer: Was man nicht unterschätzen darf, wir haben ein Krisenjahrzehnt hinter uns. Das beginnt mit der globalen Finanzkrise geht über die Euro-Krise bis zur Situation mit den Geflüchteten. Und jetzt die Pandemie, wo man eigentlich im Dauerzustand des Stresses und der Belastung ist. Sowohl in der Politik als eben auch bei Bürgerinnen und Bürgern. Das schafft einen Raum oder auch Trigger für emotionalisierte Debatten. Das muss man ganz klar sagen.
Einer Studie der Robert Bosch Stiftung zufolge würden 70 Prozent der Befragten unterschreiben, dass die öffentliche Debatte in Deutschland zunehmend hasserfüllt ist. (Robert Bosch Stiftung, More in Common (Hg.), 2021). 65 Prozent der Befragten machen sich Gedanken über die Zukunft der Demokratie. Dazu gibt es eine starke Elitenskepsis. 53 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Medien ihre eigenen Absichten verfolgen, statt nach Fakten zu berichten. Dass Politiker und andere Führungspersönlichkeiten Marionetten seien, würden 51 Prozent sagen. Und da sieht man eben schon, dass diese Emotionalisierung auch mit einem schwindenden Institutionenvertrauen zu tun hat.

Welche Rolle spielen denn soziale Medien wie Facebook und Instagram oder Twitter bei politischen und öffentlichen Debatten?

Torben Fischer: Die klassischen Medien hatten bisher eine Gatekeeper-Funktion: Also ein Politiker oder eine Politikerin hat was gesagt, das wurde in einem Interview gedruckt oder es danach noch einmal gegengecheckt oder Ähnliches. [...] Dies ist natürlich durch die neuen sozialen Medien aufgesprengt, weil hier diese Sender-Empfänger-Logik anders ist. Jeder kann selber Nachrichten vermitteln, kann als Sender auftreten. Da ist es auch schwerer, die Fakten zu checken. Da kann jeder sein Angebot selber zusammenstellen. Es gibt diese sogenannten Filterblasen und Echokammern und dadurch kann man auch nur mit Inhalten referieren, die man selbst gut findet oder die zum eigenen Weltbild passen. Und das kann natürlich dann dazu führen, dass man da Verstärkereffekte hat.

Was sind Filterblasen und Echokammern?

Die Filterblase ("Filter Bubble") beschreibt das Phänomen, dass dem Nutzer oder der Nutzerin auf Sozialen Netzwerken vordergründig Inhalte angezeigt werden, die den eigenen Ansichten, Meinungen und Interessen entsprechen. Diese Inhalte werden von Algorithmen vorsortiert.

Der Effekt der Echokammer ist dem der Filterblase sehr ähnlich. Das Wort kommt ursprünglich aus der Akustik. Im übertragenen Sinne bedeutet es, dass der Kontakt auf Sozialen Netzwerken überwiegend mit Gleichgesinnten stattfindet, also mit Personen, die die gleichen Auffassungen haben. Die Kommunikation verstärkt die gegenseitigen Positionen.

Torben Fischer ist Politikwissenschaftler an der Universität Halle im Lehrbereich Systemanalyse und Vergleichende Politikwissenschaft.
Bildrechte: Torben Fischer

Über Politikwissenschaftler Torben Fischer Torben Fischer ist im Lehrbereich Systemanalyse und Vergleichende Politikwissenschaft an der MLU Halle-Wittenberg tätig. In einem Forschungskonzept beschreibt er gemeinsam mit Prof. Dr. Petra Dobner, wie Fehler in politischen Debatten kategorisiert werden, wie sie sich von politischer Kritik abgrenzen und welche Effekte die Dramatisierung dabei erzielen kann. Das vollständige Forschungskonzept wurde in der Zeitschrift für Parlamentsfragen veröffentlicht [ZParl, 49. Jg. (2018), H. 4, S. 870 – 884].

Wie hat sich der Umgang mit Fehlern in politischen Debatten in den letzten Jahren entwickelt?

Torben Fischer: Ich würde sagen, dass es keine lineare Entwicklung gibt. Man kann nicht sagen, dass sich das in der Politik in den letzten Jahrzehnten generell verbessert oder verschlechtert hat. Aber hier müssen wir auch zwischen zwei Dingen unterscheiden, nämlich dem Fehlermanagement und der Fehlerkultur.
Fehlermanagement beschreibt Methoden zur Erkennung, zur Vermeidung und zur Korrektur von Fehlern. Da gibt es schon eine gewisse Professionalisierung in der Politik und Verwaltung. Also wir haben in der Verwaltung die Einführung von Risikomanagementsystem und es gibt Fehleranalysen. Da wurde versucht, aus der Wirtschaft Methoden zu übernehmen, zum Beispiel bei Bauprojekten oder bei der Pressearbeit, um da eben solchen Fehlern zuvorzukommen. Gleichwohl wird Politik immer komplexer und sie wird vor allem auch immer schneller. Das hat mit der technischen Entwicklung zu tun und auch damit, dass sich Politiker und Politikerinnen heutzutage auch sehr schnell über soziale Medien äußern. Da besteht ein hoher Handlungsdruck und das ist natürlich immer eine Fehlerquelle.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen, wie sich Politiker oder Parteien professionalisiert haben?

Torben Fischer: Dass es auch bei den politischen Parteien eine Professionalisierung infolge von Fehlern gibt, kann man bei der SPD ganz gut sehen. Nach dem letzten Bundestagswahlkampf, der ja nicht so gut gelaufen ist, haben sie 2018 eine Evaluation veröffentlicht. Im Bericht "Aus Fehlern lernen" haben sie festgestellt, dass eine ganze Menge im Wahlkampf schiefgelaufen ist. Es gab keine klare Verantwortungsstruktur für den Wahlkampf, sie haben parteiinterne Konflikte nach außen getragen und sie hatten keine wirklichen Kernbotschaften formuliert. Und siehe da: im Jahr 2021 tritt die SPD relativ geschlossen im Wahlkampf an, sie hat als erste Partei den Kanzlerkandidaten und ihr Parteiprogramm vorgestellt. Und daran sieht man, dass die Partei daraus gelernt hat.

Warum entschuldigen sich Politiker und Politikerinnen eigentlich so selten für einen Fehler?

Torben Fischer: Es ist unglaublich schwer für politische Akteure, Fehler öffentlich einzugestehen. Wenn das dann erfolgt, dann eigentlich immer anlassbezogen und ad hoc und weil es einen Bedarf dafür gibt, dass man sich für irgendetwas entschuldigen muss oder irgendwie eingestehen muss, dass man das nicht richtig gemacht hat.
Das hängt auch damit zusammen, dass da sehr viel auf dem Spiel steht: Einerseits politische Macht und die Reputation auf Seiten der Politiker und Politikerinnen. Aber andererseits buchstäblich Lebenschancen auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger. Wenn wir jetzt beispielsweise an eine Pandemie denken, an eine Wirtschaftskrise oder an die Hochwasserkatastrophe, dann kann man da schlecht sagen "Oh sorry, ist schlecht gelaufen." Sondern das hat massive Auswirkungen für die Bevölkerung. Ich denke, dass Politik ein wirklich schwieriges Feld ist, um eine gute Fehlerkultur zu entwickeln. Das geht glaube ich wenn überhaupt eher nach innen. Also, dass man intern eine gute Fehlerkultur entwickelt und dass Parteien oder die Verwaltung das intern auswerten, um mögliche Fehler frühzeitig zu erkennen oder sogar ganz zu verhindern.