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Deutsche Einheit und die MedienDie Sternstunde des DDR-Fernsehens kam nach der Wende

06. Dezember 2021, 19:23 Uhr

Das Fernsehen der DDR unterlag wie alle Medien strengen Vorgaben und Anweisungen der SED. Doch im Herbst 1989 bröckelte deren Meinungsmonopol und das Fernsehen entwickelte sich zu einem demokratischen Medium. Journalisten stellten Politikern kritische Fragen und begleiteten die erste freie Volkskammerwahl. Reporter wie Andreas Brückner, bis dahin beim unpolitischen Kinderfernsehen, packten mit an. Viele hatten die Hoffnung, den Sender weiter umzugestalten. Doch am 31.12.1991 war Schluss.

Von Anfang an hatte die SED bestimmt, was im Land verbreitet werden durfte und was nicht. Das Fernsehen unterlag wie sämtliche Medien des Landes strengen Vorgaben und Weisungen der Regierung. In den Redaktionen der Zeitungen und des Fernsehens saßen mehr oder weniger linientreue Mitarbeiter. So schafften es die Losungen der Staatspartei bis in den hintersten Winkel des Landes. Arbeiter müssen immer wieder die vorgegebenen Parolen in die Mikrofone sprechen. Sie haben damit Mühe. In der Redaktion der "Aktuellen Kamera" erzählt man sich die Anekdote, dass sich ein Reporter stets ein Pappschild um den Hals hängt, auf dem er die geforderten Sätze notiert hat, damit die Arbeiter sie nur noch ablesen müssen.

Doch im Herbst 1989 bekommt das zementierte Meinungsmonopol deutliche Risse. Die Bürger begehren auf, nicht nur gegen die Politik, sondern auch gegen das Meinungsmonopol der SED. Sie fordern Pressefreiheit.

Die "Aktuelle Kamera" - Sprachrohr der SED

Berlin Adlershof: Hier befindet sich die Zentrale des DDR Fernsehens. Tausende Mitarbeiter produzieren das gesamte Programm - und zwar auf Anweisung. Über die Abteilung Agitation greift die SED hier direkt ein - vor allem in den Nachrichtensendungen der "Aktuellen Kamera". Die Redakteure haben klare Vorgaben, was sie zu senden haben." Viele Sendungen bekamen ideologische Vorgaben, was den Sendungen nicht immer gut bekommen ist", erinnert sich Heinz Adameck, von 1954 bis 1989 Intendant des DDR-Fernsehens und Vorsitzender des staatlichen Komitees für Fernsehen. "So entstanden Sendungen, über die oft gehässiger Weise gesagt wurde, es will sie zwar keiner sehen, wir machen sie aber trotzdem."

Startbild Aktuelle Kamera Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Im Herbst 1989 bröckelt die Deutungshoheit der SED

Erst Anfang November 1989 wird der Druck der Straße auch in Adlershof empfangen. Ein Paradigmenwechsel steht an. "Wir haben es zugelassen, dass unser Medium durch dirigistische Aufrufe missbraucht wurde", erklärt der Intendant. "Dadurch wurde das Vertrauen vieler Zuschauer und nicht zuletzt zahlreicher Mitarbeiter ins Fernsehen erschüttert. Dafür bitten wir die Bürger der DDR um Entschuldigung." Jetzt beginnen auch im Fernsehen ganz neue Zeiten.

Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz live übertragen

Am 4. November 1989 findet auf dem Berliner Alexanderplatz eine Großdemonstration statt. Mehr als eine Million Menschen sind an diesem grauen Samstagmorgen zusammengekommen. An ihrer Spitze die Künstler und Intellektuellen des Landes: Schauspieler, Schriftsteller, Musiker, Bürgerrechtler. Doch auch SED-Politiker stehen auf der Bühne. Das Fernsehen der DDR überträgt die gesamte Demonstration live. Es ist eine Sternstunde der Demokratie, denn erstmals stehen Bürgerrechtler und SED-Funktionäre auf einer Bühne.

Mauerfall am 9. November 1989

Eine neue Offenheit hat sich jetzt Bahn gebrochen. Das Fernsehen ist bei wichtigen Anlässen stets dabei. Vorgaben gibt es kaum mehr. Erstmals werden Pressekonferenzen live übertragen, Journalisten dürfen munter Fragen stellen. Eine neue Situation für alle. Unabsichtlich reißt Günter Schabowski, Mitglied des SED-Politbüros, am Abend des 9. November die Mauer ein, als er erklärt, dass DDR-Bürger über alle Grenzübergänge das Land verlassen können. Auf die Frage eines italienischen Journalisten, wann diese Regelung in Kraft tritt, nuschelt Schabowski: "Das tritt nach meiner Erkenntnis... ist das sofort... unverzüglich." Durch die Live-Übertragung sind die Sätze in der Welt, wenige Stunden später ist die Mauer bereits Geschichte.

Legendäre Reportage über die SED-Waldsiedlung in Wandlitz

Damit beginnt auch in Adlershof eine neue Zeitrechnung. Intendant Heinz Adameck erinnert sich: "Plötzlich hörten alle Anrufe bei der 'Aktuellen Kamera' auf. Aus dem 'Großen Haus', wie wir in Adlershof immer das ZK-Gebäude genannt haben, meldete sich so gut wie niemand mehr." In Adlershof wird nun überlegt, wie man Glaubwürdigkeit bei den DDR-Bürgern erringen könnte. Ein Meilenstein ist die Sendung "Elf 99". Hier wird beispielhaft freier Journalismus praktiziert. Berühmtheit erlangt eine Reportage über die Waldsiedlung Wandlitz, in der die Mitglieder des Politbüros seit Jahrzehnten abgeschottet residieren.

Das einstige SED-Politbüromitglied Kurt Hager und seine Frau in der Waldsiedlung Wandlitz im Gespräch mit "Elf 99" Bildrechte: Elf 99 spezial vom 15.12.1990

Pressefreiheit in der DDR

5. Februar 1990: Auf Initiative des Runden Tisches werden von diesem Tag an Journalisten in der DDR vor staatlichen Eingriffen und Willkür geschützt. Zensur ist ab sofort ausdrücklich verboten. Die Pressefreiheit wird garantiert.

Die neue Freiheit manifestiert sich schon wenige Wochen später - bei der Berichterstattung über die ersten freien Volkskammerwahlen in der DDR. Vor allem das Fernsehen soll den Wahlkampf diesmal unabhängig begleiten. "Die Oppositionsparteien setzten am Runden Tisch durch, dass es eine Wahlredaktion geben sollte, die den siebenwöchigen Wahlkampf begleitet", erinnert sich Andreas Brückner, damals Journalist beim DDR-Fernsehen in Adlerhof. Brückner gehört dazu. Er ist politisch unvorbelastet, weil er beim Kinderfernsehen gearbeitet hat.

Und so sind bei der Wahl am 18. März nicht nur neue Politiker, sondern auch neue Reporter zu sehen. Und das Fernsehen der DDR heißt von nun an Deutscher Fernsehfunk, kurz DFF.

Einst beim DFF: Andreas Brückner Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Ungewisse Zukunft beim DFF

Doch aller hart erkämpften Erfolge zum Trotz: Die Zukunft des DFF ist ungewiss. Das Misstrauen gegen die Fernsehleute in Adlershof ist nicht nur in der DDR noch immer gewaltig. "Bevor es in Adlershof eine Zukunft gibt, muss dort mindestens zwei Meter rote Erde abgetragen werden", witzeln etwa die Mitarbeiter des SFB im Westen Berlins. Keiner der DFF-Mitarbeiter weiß im Frühsommer 1990, wie es weitergehen wird. Im Medienministerium wird an der Neuausrichtung des Senders gearbeitet. Die Zeiten einer in Berlin zentrierten Berichterstattung sind vorbei. Regionalisierung heißt das Zauberwort. "Die Mehrheit der DDR-Bürger wünschte sich so etwas Ähnliches wie ARD und ZDF, vielleicht auch Privatsender", erinnert sich Manfred Becker, 1990 Staatssekretär im Medienministerium der DDR-Regierung. "Es war spätestens im Mai klar, dass wir wieder Bundesländer haben werden. Und dann werden die neuen Bundesländer auch die Medienhoheit haben."

Stasi-Mitarbeiter müssen den DFF verlassen

Im Juni 1990 wird eine neue Führung des DFF gewählt. Mit Michael Albrecht und Christoph Singelnstein werden neue, unbelastete Persönlichkeiten Intendanten für Fernsehen und Radio. DFF-Leute, die für die Stasi gearbeitet haben, sollen den Sender möglichst schnell verlassen. Doch die Frage, wer bei der Stasi war, ist nicht so einfach zu klären. Es hilft eine Fügung: eine zugespielte Gehaltsliste aus dem Ministerium für Staatssicherheit. "Da die 'Offiziere im besonderen Einsatz' ein doppeltes Gehalt bezogen, fielen sie auf. Das war unser Glück", erinnert sich Christoph Singelnstein.

Auch strukturell gibt es Veränderungen: Dezentralisierung ist das vorrangige Ziel. Landesstudios in Leipzig, Gera und Schwerin werden ausgebaut. Sie schaffen die Grundlage für zahlreiche Sendungen des DFF aus den Regionen des Ostens. 

Bundeskanzler Helmut Kohl in einer Wahlsendung des DDR-Fernsehens am 18. März 1990 Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Der DFF soll abgewickelt werden

Oktober 1989. Die Wiedervereinigung steht kurz bevor. Die Volkskammer kommt zu ihrer letzten Arbeitssitzung zusammen. Einer der Tagesordnungspunkte: die "Wahl des Rundfunkbeauftragten". Es ist ein wichtiger Posten. Der Einigungsvertrag legt fest, dass der Rundfunkbeauftragte das DDR-Fernsehen nach der Wiedervereinigung neu organisieren wird. Doch der Ministerrat vergaß, einen Kandidaten vorzuschlagen, und so wird kein Rundfunkbeauftragter gewählt. Laut Einigungsvertrag soll der Rundfunkbeauftragte in diesem Fall durch Vertreter der neuen Bundesländer gewählt werden. Bei der Bestimmung dieser Personalie mischt Helmut Kohl kräftig mit. Der Kanzler will einen Bundesdeutschen auf dem Posten haben. Er schlägt den Medienprofi Rudolph Mühlfenzl vor, einen strammen CSU-Mann aus Bayern. Wie vorgesehen, wird Mühlfenzl auch gewählt. Und er hat nur eine Aufgabe: Den alten DDR-Sender abzuwickeln und die Mitarbeiter zu entlassen. Stattdessen sollen dezentrale Medienstandorte entstehen, ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk nach dem Vorbild der alten Bundesrepublik.

Sandmann, "Polizeiruf 110" und das Fernsehballett bleiben vom DFF übrig

"Mit dem Einigungsvertrag war klar, dass es keine Zukunft für den DFF mehr geben würde", erinnert sich Andreas Brückner. "Rudolph Mühlfenzl hat diesen Sender nur noch abzuwickeln und wir werden eine Kündigung erhalten. Es herrschte auf den Gängen sehr viel Pessimismus und Frust."

Doch die Mitarbeiter des DDF machen weiter. Sie nutzen die neuen Freiheiten. Sendungen wie etwa "Elf 99" machen den DFF beliebt bei den Zuschauern. Aber die Flure in Adlershof leeren sich zusehens. Am 31. Dezember 1991 gehen schließlich alle Lichter aus.

Nur wenige Sendungen des DFF schaffen es in die neuen Programme von ORB und MDR: Der Sandmann etwa, der "Polizeiruf 110" und auch das Fernsehballett.

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Dieses Thema im Programm:Zeitenwende - DDR-Medien zwischen Aufbruch und Untergang | 15. Dezember 2020 | 22:15 Uhr