Der Rostocker Überseehafen: "Das Tor zur Welt"

16. Dezember 2019, 11:49 Uhr

1957 begann der Bau eines Überseehafens, dem "Tor zur Welt". Der Hafen entwickelte sich prächtig und feierte 2008 das erfolgreichste Jahr seit seinem Bestehen.

Bereits kurz nach Gründung der DDR diskutierte die Staats- und Parteiführung darüber, ob es sinnvoll wäre, eine eigenständige DDR-Handelsflotte aufzubauen. Das Finanzministerium war der Meinung, die Sache werde sich nicht rentieren, die DDR sei "keine Seefahrernation". Die SED hielt dagegen: Die Einnahmen würden in kurzer Zeit die Investitionen bei weitem übertreffen. Auf ihrem 3. Parteitag entschied sie daher, umgehend eine leistungsfähige Handelsflotte zu schaffen. Und so vermerkte der erste "Fünf-Jahr-Plan" (1951-1955) folgerichtig: Fertigstellung von 22 Handelsschiffen "zur Sicherung der Überseetransporte für unseren Außenhandel".

Es gibt keinen Überseehafen

Aber es gab noch ein großes Problem für die aufstrebende Seefahrernation: Die DDR besaß keinen brauchbaren Hafen. Die vorhandenen Anlagen in Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald waren lediglich für Küstenmotorschiffe ausgelegt, nicht aber für Überseefrachter. Größere Schiffe mussten regelmäßig in Stettin oder Hamburg entladen und die Güter auf dem Schienenweg in die DDR gebracht werden. Das kostete Zeit und vor allem wertvolle Devisen. Es musste also schleunigst ein "Tor zur Welt" errichtet werden. Die Wahl fiel nach langen Debatten schließlich auf die Bezirkshauptstadt Rostock. Auf einem etwa sieben Quadratkilometer großen Brachland sollte, zehn Kilometer nördlich der Stadt, der Überseehafen entstehen.

"Große Bedeutung für überseeischen Weltverkehr der DDR"

1957 erfolgte der erste Spatenstich. Doch die Planer merkten bald, dass die an der Küste vorhandenen Arbeitskräfte für ein solches Großprojekt nicht ausreichten. Und so bat das Rostocker Stadtparlament die Bevölkerung der DDR um Unterstützung. Das Echo war überwältigend: Binnen kurzer Zeit kamen fast vier Millionen Mark an Spenden zusammen und es reisten Hunderte Helfer – mehr oder weniger freiwillig – aus allen Teilen der Republik in den hohen Norden, um mit Hacke, Spaten und ehrlicher Begeisterung den Aufbau "ihres Überseehafens" zu unterstützen. Im Ganzen waren es mehr als 2.000 Arbeiter, die in drei Schichten unzählige Pfähle in das sumpfige Weideland rammten, Kaimauern hochzogen sowie Lagerhallen und ein Verwaltungsgebäude errichteten.

Dieter Brunner 2 min
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Drei Jahre später, am 30. April 1960, konnte der erste Abschnitt des Überseehafens Rostock von Walter Ulbricht seiner Bestimmung übergeben werden. "Dieser moderne Hafen hat große Bedeutung für den überseeischen Weltverkehr der DDR", sagte der SED-Chef in seinem sächsischen Singsang. "Der Bau wurde notwendig infolge der gewaltigen Steigerung der Produktion und planmäßigen Erhöhung der Lebenshaltung der Bevölkerung."

Einer der größten Ostseehäfen

Komplett fertig gestellt wurde der Rostocker Überseehafen jedoch erst weitere neun Jahre später, 1969. Freilich ergab sich auch in den folgenden Jahren die Notwendigkeit, den Hafen ständig zu modernisieren und zu erweitern. Auch entstanden rings um das riesige Gelände Werftanlagen, Reparaturbetriebe für Schiffsmotoren, Fischverarbeitungsfabriken und Kühlhallen für Südfrüchte.


1989 wurden so viele Güter wie nie zuvor umgeschlagen – knapp 20 Millionen Tonnen gingen über die Kaikanten. Doch mit dem Ende der DDR schien auch das Schicksal des Rostocker Überseehafens besiegelt zu sein: Die alten Handelspartner der DDR orderten wegen der Währungsumstellung kaum noch etwas und was ansonsten noch zu verschiffen war, wurde in Häfen im Westen erledigt. Insgesamt ging der Umschlag um mehr als 60 Prozent im Vergleich zum Jahr 1989 zurück - nicht einmal 8 Millionen Tonnen wurden etwa 1991 verschifft.

Ideen und Investitionen 

Ideen waren nun gefragt: Die Verantwortlichen des Hafens setzten auf den Ausbau des Fährverkehrs nach Skandinavien und ins Baltikum und bauten Teile des Hafens um – wo einst Metall verladen worden war. Bis 1994 entstanden moderne Fähranleger. Gleichzeitig wurde in dieser Zeit der Seekanal verbreitert, es entstanden größere Liegeplätze und die alten Anlagen wurden schrittweise modernisiert. Immerhin aber gingen mehr als zehn Jahre ins Land, bis der Umschlag erst einmal wieder das Niveau des Jahres 1989 erreichte.

Rosige Aussichten

2008 schließlich konnte der Rostocker Hafen das erfolgreichste Jahr seines Bestehens feiern: 27 Millionen Güter wurden umgeschlagen und 2,4 Millionen Passagiere abgefertigt. Und auch die Wirtschaftskrise 2009 mit einem Rückgang der Umschlagszahlen um immerhin mehr als 20 Prozent vermochte den Optimismus der Hafenbetreiber nicht nachhaltig zu trüben. "Wir halten Kurs", verkündete Geschäftsführer Ulrich Bauermeister trotzig. Und eine Studie des Verkehrsministeriums von Mecklenburg-Vorpommern stützte Bauermeisters Optimismus  - die Autoren der Studie prophezeiten dem Rostocker Hafen goldene Jahre. Bis 2025 soll sich der Umschlag im Vergleich zum Jahr 2008 noch einmal mehr als verdoppeln.

(Quelle: Andreas Biskupek, Olaf Jacobs: "DDR ahoi! Kleines Land auf großer Fahrt"; Mitteldeutscher Verlag Halle, 2010)

(Zuerst veröffentlicht am 26.04.2010)


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