Erfurter Anger aus dem Jahr 1970.
Erfurter Anger 1970 Bildrechte: picture alliance/dpa

"Raser" im DDR-Straßenverkehr: Wie hoch waren die Strafen?

18. November 2021, 14:57 Uhr

Der neue Bußgeldkatalog wurde wegen eines Formfehlers zurückgenommen. Gab es eigentlich in der DDR "Raser"? Im Trabant mit 80 Sachen durch Dresden oder Ost-Berlin? Das war gar nicht so ungewöhnlich. Auch im Osten wurde nämlich häufig viel zu schnell gefahren, trotz verhältnismäßig hoher Bußgelder und vieler schlimmer Unfälle.

"Bisweilen scheint es, manche Kraftfahrer führen einen regelrechten Kampf um Meter und Sekunden. Unfair zwar und mit einem zusätzlichen Tritt aufs Gaspedal, aber sie rasen, bis sie in eine Kontrolle der Verkehrspolizei geraten. Meistens kommt dann das böse Erwachen", schrieb ein Reporter, der Verkehrspolizisten zu einer Geschwindigkeitskontrolle auf einer Ost-Berliner Hauptstraße begleitet hatte, 1982 in der Fachzeitschrift "Straßenverkehr". "Innerhalb einer einzigen Stunde waren hier 28 Auto- und Motorradfahrer gestoppt worden, die auf einem Streckenabschnitt, auf dem 50 Stundenkilometer zugelassen waren, mit mehr als 60 Sachen angefahren kamen."

Mit 80 km/h durch Dresden

Das Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit gehörte auch im Osten eher zur Normalität. Wo immer es die oftmals maroden Straßen zuließen, traten die Fahrer von Trabant, Skoda, Wartburg oder Lada kräftig aufs Gaspedal. Wobei eine Geschwindigkeitsüberschreitung von etwa zehn Stundenkilometern noch eine Lappalie darstellte. Bei der Erprobung von Radargeräten im Stadtgebiet und in der Umgebung von Dresden konnten beispielsweise sehr häufig Geschwindigkeiten von über 80 km/h in geschlossenen Ortschaften gemessen werden. Erlaubt waren 50 km/h.

Verkehr in der Wilhelminenhofstrasse in Berlin
Straßenverkehr 1990 in Berlin-Oberschöneweide Bildrechte: imago/Bernd Friedel

Trabant lässt BMW stehen

Auf Landstraßen galt damals eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h, auf Autobahnen durfte man nicht schneller als 100 km/h unterwegs sein. Oft wurde natürlich schneller gefahren als erlaubt. Nicht selten wunderten sich Bundesbürger, die sich auf den Transitautobahnen in der Regel penibel an die geltenden Vorschriften hielten, über einen Trabant oder Skoda, der sich mit munteren 110 oder 120 Sachen an ihrem schweren BMW oder Mercedes vorbeiquälte.

Schwere Unfälle durch überhöhte Geschwindigkeit

Dabei war die Gefahr, beim zu schnellen Fahren ertappt zu werden, keineswegs gering, denn die Verkehrspolizei führte, vor allem auf Autobahnen, regelmäßig Kontrollen durch. Überhöhte Geschwindigkeit war nämlich auch in der DDR als häufigste Unfallursache. Und die Unfälle waren oft sehr schlimm, weil beispielsweise auf Autobahnen und Landstraßen Leitplanken fehlten. Bereits ab einer Überschreitung von 5 km/h wurden die Autofahrer jedenfalls gnadenlos zur Kasse gebeten. Die Strafen bewegten sich zwischen zehn und hundert DDR-Mark, bei besonders schweren Vergehen gab es auch einen oder mehrere Stempel, vergleichbar den heutigen "Punkten". Die Höhe des Bußgeldes lag übrigens auch im Ermessen des jeweiligen Verkehrspolizisten. War er milde gestimmt, kam ein Verkehrssünder vergleichsweise günstig davon.

Anarchie in der Wendezeit

Im Herbst 1989 begann auch im Straßenverkehr der DDR das Jahr der Anarchie. Die Straßenverkehrsordnung war mehr oder weniger außer Kraft gesetzt. Jeder fuhr so schnell wie er wollte, parkte, wo sich gerade ein Platz fand und selbst eine rote Ampel war nicht in jedem Fall ein zwingender Grund, den PKW zu stoppen. Angst vor der Volkspolizei hatte niemand mehr. Die einstmals gefürchteten Ordnungshüter galten den Leuten als Büttel des alten SED-Regimes und traten nur noch vorsichtig in Erscheinung. Und sie standen allerdings oft auch auf verlorenem Posten, wenn sie etwa in ihrem alten Barkas einen getunten BMW verfolgen mussten.

"Freie Fahrt für freie Bürger"

Mit der Deutschen Einheit im Oktober 1990 normalisierte sich das Geschehen auf den ostdeutschen Straßen allmählich wieder. Das Jahr der Anarchie war vorbei und die Polizisten in ihren neuen Uniformen verschafften sich umgehend Respekt. Autofahrer, die gern etwas schneller unterwegs waren, konnten nun jedenfalls richtig durchstarten, denn Tempo 100 aus DDR-Zeiten war gefallen. Es galt nun auch im Osten: "Freie Fahrt für freie Bürger".

Dieses Thema im Programm: Umschau | 16. Juli 2020 | 20:15 Uhr