Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio

Geschichte

DDRNS-ZeitZeitgeschichteMitteldeutschlandWissen

Schreckensort Hoheneck1953: Hungerstreik im Frauenzuchthaus

18. Februar 2022, 18:31 Uhr

Im Oktober 1953 revoltieren die Frauen im Zuchthaus Hoheneck. Drei Tage halten sie einen kollektiven Hungerstreik durch. Der Erfolg stellte sich erst Monate später ein, die Hälfte der Hoheneckerinnern werden entlassen. Unter ihnen ist auch Annemarie Krause. Sie war 1950 im ersten Transport in das neue Frauenzuchthaus Hoheneck. Ihr wurde die Liebe zu einem sowjetischen Unteroffizier zum Verhängnis. Es folgten die fünf schrecklichsten Jahre ihres Lebens.

Im Februar 1950 wurden mehr als Tausend Frauen in das neue zentrale Frauengefängnis Hoheneck gebracht. Sie kamen aus sowjetischen Speziallagern. Ihre Verhandlungen vor sowjetischen Militärtribunalen dauerten oft nur Minuten. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ohne Anwalt und ohne Beweise wurde in Schnellverfahren für die Frauen die Fahrkarte nach Hoheneck gelöst, ganz gleich welchen Hintergrund ihre vermeintliche Straftat hatte.

Die Hälfte der Frauen wurde wegen vermeintlicher Spionage verurteilt, oft zu 25 Jahren Haft. Tatsächlich wollte Stalin ein Exempel statuieren, um die neuen Machtverhältnisse in Zement zu gießen - zu sagen, bis hier und nicht weiter. Hier wird eine neue Macht installiert und die Bürger sollten einfach abgeschreckt werden.

Sebastian Lindner | Historiker

Der Liebe wegen nach Hoheneck

Unter diesen Frauen war auch Annemarie Krause. Wenn sie wieder herauskäme, dann sei sie schon eine Großmutter, hatte man ihr mit auf dem Weg gegeben. Das Todesurteil hätte man über sie verhängen müssen, wenn es das noch gegeben hätte, so wurde ihr bei der Verhandlung gesagt.
Doch Annemarie Krause war weder Aufseherin in einem Konzentrationslager noch hatte sie anderweitig im Krieg Schuld auf sich geladen. Nur der Liebe zu einem Rotarmisten hatte sie sich schuldig gemacht. Mit gerade einmal 15 Jahren verliebte sie sich in den Moldawier Maxim, der in ihrer erzgebirgischen Heimat stationiert war. Aus ihrer verbotenen Liebe entstand schon ein Jahr später die kleine Verena.

Es war eine schöne Zeit. Man war unerfahren. Man war glücklich. Er wollte, dass in den Westen flüchten, und dass wir dann eine Familie gründen und zusammen leben. Das durfte gar nicht sein.

Annemarie Krause | Hoheneck-Insassin von 1950 bis 1954

Weibliche Gefangene im Strafvollzug Hoheneck arbeiten in einer Näherei. Bildrechte: Archiv Stiftung Sächsiche Gedenkstätten

"Wenn es Gerechtigkeit gäbe, müsstet ihr alle verreckt sein."

Zu dieser Flucht kam es nicht mehr. Maxim wurde bereits als Deserteur gesucht, Annemarie galt als seine Komplizin. Am 05. Oktober 1948 wurde nicht nur das Liebespaar, sondern auch Annemaries Mutter sowie ihre Tante verhaftet. Das kleine Mädchen kam kurzerhand zu den Nachbarn. Maxim landete in einem sibirischen Straflager. Annemarie und er haben sich nie wieder gesehen.


Es herrschte Ausgangssperre in Stollberg, als der vermeintliche Abschaum aus Spionen und Verrätern in das neue zentrale Frauenzuchthaus nach Hoheneck gebracht wurde. Hier brauchten die Frauen nicht auf Gnade zu hoffen. Auch Annemarie Krause wurde von den Wachtmeisterinnen mit harten Worten begrüßt, wie sie heute berichtet: "Wenn es Gerechtigkeit gäbe, müsstet ihr alle verreckt sein."

Den Polizistinnen hatte man gesagt, die Frauen, die da kommen, sind Nazi- und Kriegsverbrecher. Man hat also auch auf Seiten der Polizisten Angst geschürt. Und dementsprechend wurden die Frauen auch in Hoheneck begrüßt.

Sebastian Lindner | Historiker

Seit 2015 gibt es in Hoheneck eine Gedenkstätte Bildrechte: MDR/Kathrin Aehnlich

Wo man beten und hassen lernt

Aus Annemarie wurde am ersten Tag in Hoheneck eine Nummer, ohne jegliche Habe. Mit Hemd, Hose, Jacke, Kopftuch, Fußlappen und Holzschuhen wurden die Frauen jeder Weiblichkeit beraubt. Das Schlimmste jedoch war, so berichtet Annemarie Krause heute, dass es keine richtige Unterwäsche gab. An wenig Wasser und Hunger konnte man sich gewöhnen, aber nur zwei alte Männerunterhosen für den letzten Bereich der Intimität? Selbst der Versuch sich Unterwäsche zu stricken, wie es Annemarie versuchte, stand unter Strafe. Zwei Wochen Dunkelhaft im Keller von Hoheneck, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, bekam man für einen gestrickten Schlüpfer. Das waren die harten Regeln im DDR-Frauenknast.

Hohenecker Frauen begehren auf

Das doppelt belegte Frauengefängnis verlangte seinen Insassinnen eine Menge ab. Post von der Familie gab es nur ein Mal im Monat - an Feiertagen auch mal Fotos und wenn man Glück hatte bekam man keinen "Scherenschnitt". Auch bei Annemarie Krause waren die Sorgen um ihre Tochter Verena unerträglich. Nur einmal hatte sie das Kind zufällig aus dem Fenster gesehen, als sie mit der Oma zum Gefängnis kam.

Die Haftbedingungen zermürbten die Frauen. Als sie im Juni 1953 die Nachricht vom Volksaufstand hörten, probten die Hoheneckerinnern im Oktober ihre eigene Revolution. Drei Tage hielten die Frauen einen kollektiven Hungerstreik durch, obwohl man ihnen das Wasser abgedreht hatte. Der Erfolg stellte sich erst Monate später ein. Im Januar 1954 gab es in der DDR eine Amnestie und die Hälfte der Hoheneckerinnern wurde entlassen. Unter ihnen war auch Annemarie Krause, für die am 20. Januar 1954 die Haft in Hoheneck ein Ende hatte. Nach ihr kamen allerdings noch viele Tausende Frauen nach Hoheneck und diese kehrten meist als gebrochene Menschen von dort zurück.

Mehr zum Thema

Über dieses Thema berichtete MDR-Fernsehen:MDR FERNSEHEN | unicato | 17. September 2020 | 00:25 Uhr