Langzeitdokumentation von Barbara und Winfried Junge Die Kinder von Golzow: In den Kinderschuhen

(Folge 1-3)

28. Oktober 2016, 11:28 Uhr

Wie ist es in die Schule zu gehen? Wie fühlt es sich an, die ersten Buchstaben zu kritzeln? In einer Langzeitdokumentation begleiten Barbara und Winfried Junge die Schüler durch ihre Schulzeit. Gehen Sie mit den "Kindern von Golzow" und den faszinierenden Momentaufnahmen aus einer anderen Schulzeit auf Zeitreise.

Der erste Film 1961: "Wenn ich erst zur Schule gehe…"

"Wenn ich erst zur Schule gehe…" - Mit diesem Kinderlied zum Schulanfang beginnt und endet die Langzeitdokumentation "Kinder von Golzow" auch Jahrzehnte später.

Es sind vergnügliche Bilder von singenden Kindern im Sandkasten eines Kindergartens, gefolgt von Kindern, die große Zuckertüten aus einem Baum pflücken, während der Erzähler feststellt: "An so einem Tag bewegen uns große Gedanken", während die Kinder lärmend und unter Beifall ins Schulgebäude stürmen. Golzow 1961, ein kleines Dorf mit damals etwas mehr 1.000 Einwohnern, im Oderbruch, gelegen im heutigen Brandenburg.

Die Kinder von Golzow: Der mühsame Schulalltag

Schulalltag lernen - die Kamera zeigt, wie die Kinder den Schulalltag kennenlernen, aus der Bank treten, vor der Stunde aufstehen, die Lehrerin mit einem gemeinsamen "Guten Morgen" grüßen und ein Schüler sich dabei spontan verbeugt. Nahaufnahmen von Kindergesichtern, wenn die Lehrerin erklärt, dass wir in der Schule und nicht mehr im Kindergarten sind, neugierig die einen, verträumt die anderen, manche schüchtern - wer traut sich eine Schultüte an die Tafel zu zeichnen? Prompt folgt auf die vergnügliche Aufgabe die Arbeit - die umgekehrte Schultüte wird zum A, dem ersten Buchstaben, der erst in der Luft, dann ins Heft gemalt wird.

Wer vergessen hat, was für eine Mühe das Schreiben am Anfang macht, erinnert sich hier unweigerlich an genau dieses Gefühl, wie mühevoll sich die ersten Buchstaben aus dem Stift quälen. Und dann tut Abwechslung gut und die Kamera hält das ganz leise fest: Da stromert eine Katze übers Fensterbrett, die ein Schüler verträumt beobachtet, ein anderer bemalt sich den Arm oder linst ins Heft des Nachbarn, oder verdrückt eine Träne, wenn es so gar nicht klappt, wie es soll.
Der erste und kürzeste Film der Golzowreihe verlässt die Schule, die Kamera schweift mit ihrem Blick auf Augenhöhe der Erstklässler durch den verlassenen Schulflur: Ein langer Flur, die Türen, die Garderoben vor den Klassen und schließlich die ordentlich aufgereihten Gummistiefel-Paare, die auf ihre Träger warten, um wieder mit ihnen durch Pfützen und Matsch zu laufen, wie noch vor kurzem als Kindergartenkind.

Der zweite Film 1962: "Nach einem Jahr – Beobachtungen in einer ersten Klasse"

Der Lärm einer Schulklasse in einer Turnhalle, nackte Kinderfüße hüpfen auf und ab. Kinder feuern sich lauthals an: Hier erinnert nichts mehr an die schüchternen Erstklässler vom Sommer 1961. Im Vierfüßlerstand und mit Purzelbäumen geht es durch die Turnhalle. Nicht unbedingt mäuschenstill ist es in Mathematik, wenn an der Tafel im Wettbewerb bis hundert gerechnet wird und in den Bänken flüsternd vorgesagt wird und die Lehrerin sich ein Lächeln kaum verbeißen kann. Zeitlose Aufnahmen, die das Schulgefühl bei den meisten Zuschauern zurückholen, wenn die Lehrerin Arbeiten zurückgibt und laut vorliest – "Acht Fehler – noch eine Drei". Unwillkürlich bangt der Zuschauer mit den Kindern mit, während ein Schüler heimlich und so herrlich langsam, wie es nur ein Zweitklässler kann, auf einen Zettelt kritzelt "Jürgen ist dof“ und ihn durch die Reihen gibt.

Im zweiten Film der Langzeit-Doku ist der Filmemacher mit den Schülern auch draußen unterwegs, denn gelernt wird nicht nur im Klassenzimmer. Der Filmemacher begleitet die Schüler bei Ausflügen, zur Kohlernte auf die Felder, oder auf eine Geflügelfarm: Hier lauschen sie an warmen, noch nicht ausgebrüteten Eiern und nehmen Küken in die Hand, die in großen Schubladen gehalten werden. Zum Ende des Schuljahres begrüßen sie die Eltern zur Zeugnisausgabe mit dem Pioniergruß. Versetzt in Klasse 2.

Der dritte Film 1966: "Elf Jahre alt"

1966 sind die "Kinder aus Golzow", die der Filmemacher Winfried Junge begleitet, elf Jahre alt. Die Kinder sind in der 5. Klasse und überlegen, das Mikrofon in der Hand, was sie im Film zeigen wollen:

"Wie sie sich so verhalten?" schlägt ein Mädchen vor. Aber wollen sie das zeigen, den Lärm, die Rüpeleien und sollen das die Zuschauer echt sehen? So was haben sie ja selbst noch nie gesehen!? Und dann lachen die doch über uns?! - Eine verblüffend zeitlose Diskussion, die da 1966 in Golzow geführt wird. Eine verblüffende Analogie zu Diskussionen, die Jahrzehnte später im Zeitalter von Instagram, Facebook und Snapchat auch wieder geführt werden.

Denn bei den Kindern von Golzow geht es 1966 in der Pause zu wie auf Schulhöfen zu allen Zeiten: Es wird halb ernst, halb spielerisch geschubst, getuschelt und gestritten, und dann kommt der Lehrer und sein strenger Anpfiff. Die längere, strenge Schweigezeit, bis sich alle setzen dürfen, lässt auch den Zuschauer unwillkürlich tief Luft holen. Ist es die Kameraführung oder die eigene Schulerfahrung, die plötzlich wieder da ist? Beklemmende Momente aus der Schulzeit - plötzlich wieder lebendig.

Was haben die Eltern eigentlich gelernt?!

Winfried als Junge mit Kopfhörern.
Bildrechte: rbb/PROGRESS Film-Verleih

Es ist der erste Film der Golzow-Reihe, der einzelne Kinder in den Fokus nimmt, mit ihren persönlichen Interessen, wie Winfried, den Bastler, der daheim gerne lötet und sich Kopfhörer bastelt – und seine Basteleien gern im Unterricht heimlich den anderen zeigt.

Auch Eltern kommen zu Wort - berührende Momente, wenn ein Vater erzählt, dass er selbst nur vier Jahre in die Schule gegangen ist, "weil dann der Krieg kam", und sein Sohn 1966 feststellt, "Ich glaube, die haben früher nicht so viel gelernt" - weil sein Vater ihm bei den Schulaufgaben kaum noch helfen kann.

Politik kann man singen

Dokumentarfilmer Winfried Junge ist auch ganz nah dran an den Kindern, wenn sie im Musikunterricht lauthals singen "Anmut sparet nicht noch Mühe, Leidenschaft nicht noch Verstand, dass ein gutes Deutschland blühe, wie ein andres gutes Land" – hier zeigt der Filmemacher, wie der Sozialismus den elfjährigen spielerisch-musikalisch ins Ohr geht.

Er zeigt aber auch, wie die Kinder neugierig auf die Welt werden: "Ich möchte mal wissen, wie die allerersten Tiere entstanden sind ... die Menschen ... warum die USA gegen Vietnam Krieg machen ... wie die Bilder auf das Fernsehgerät kommen ... " Noch ist die Welt für die Elfjährigen aus Golzow ein Rätsel und ihre Neugier ist auch in dieser Dokumentationsfolge bestechend offen und nahe festgehalten.