Interview mit Michael Funke Illegal durch die Sowjetunion: "Es gab keine Vorschrift, die nicht umgangen werden konnte"

26. März 2020, 18:06 Uhr

Für Michael Funke gab es in den 1980er-Jahren nur ein Reiseziel im Sommer: die Sowjetunion. Insgesamt neun Mal war er bis zur Wende 1989 dort, davon jedoch nur einmal offiziell auf Einladung. Die anderen Reisen unternahm er mit Freunden auf eigene Faust und eigenes Risiko.

Herr Funke, warum ausgerechnet die Sowjetunion?

Reise an die Lena, 1984
Michael Funke Bildrechte: Michael Funke

Das Land war groß, weit und unbekannt. Es hatte so viele verschiedene Landschaften und Kulturen zu bieten. Das fand ich spannend. Auf meinen beiden ersten Reisen in die Sowjetunion waren wir in Armenien, Georgien und Aserbaidschan. Beim nächsten Mal ging es ins Fan-Gebirge im westlichen Pamir und in die "Märchenstädte" Taschkent, Samarkand und Buchara. Ein Jahr später dann nach Jakutien, so weit nach Osten wie nie wieder. Seit meinem kurzen Studienaufenthalt Anfang der 1980er in Kiew bin ich bis zur Wende jeden Sommer für vier Wochen mit Transitvisum in die Sowjetunion gereist.

Gab es in der DDR eine Szene der Rucksacktouristen, die sich über Routen, Erfahrungen usw. austauschten?

Es gab eine kleine Szene aus wenigen Gruppen. Man kannte sich und tauschte sich natürlich im Freundeskreis aus. Bei uns in Halle am Institut für Festkörperphysik und Elektronenmikroskopie zeigte ich ganz offiziell die Dias unserer Reise. Dass wir dabei in der Sowjetunion unerlaubt unterwegs waren, wussten wohl alle, das wurde aber eher mit Schmunzeln zur Kenntnis genommen.

Wie geheim hielten Sie Ihre Reisepläne?

Diese Reisen in die Sowjetunion waren nicht planbar. Viel hing vom Zufall ab. Familie und Freunden konnten wir nur sagen, dass wir wieder fahren. Wir schickten dann eine Karte von unterwegs.

Wie erklären Sie sich, dass Ihre illegalen Reisen in die Sowjetunion jedes Mal so glimpflich abliefen?

An der polnisch-sowjetischen Grenze in Brest wurde sehr genau kontrolliert, aber unsere Transitvisa waren ja okay. Im Land haben wir gepokert und uns als "Studenty" ausgegeben, die dort studierten. Zur Ausreise wählten wir immer den Umweg über Moldawien, d.h. über Kischinew (Chisinau) nach Rumänien. Die Grenzer erschienen etwas lockerer und kannten vermutlich ihre Pappenheimer. 10 Rubel "Straf" würden uns beim Einsteigen nach dem Umspuren der Waggons zurückgegeben. In dieser Hinsicht war die Sowjetunion ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Wohin reisten Sie nach 1989?

Urlaub im späteren Russland habe ich nach der Wende nicht mehr gemacht. Die Welt stand dann ja auch in die andere Richtung offen. Ich bin aber noch jahrelang nach Litauen gefahren – mit einem Lkw voller Hilfsgüter im Konvoi unter dem Dach der Caritas. Wir haben in Šumskas an der Grenze zu Belarus ein Krankenhaus unterstützt.

Was haben Sie von Ihren Reisen durch die Sowjetunion mitgenommen?

In der Wendezeit konnte ich vor diesem Hintergrund leicht Kontakte für das Neue Forum und die Hallenser Garnison knüpfen und Paketaktionen organisieren. Ich habe in der damaligen Sowjetunion eine Vielfalt an Lebensentwürfen kennengelernt. Und Freundschaften geknüpft, die noch heute bestehen. Es gab damals in der Sowjetunion Gruppen, die ganz anders lebten, als es dem offiziellen Bild entsprach. Das hat bei mir viel Verständnis für andere Lebensweisen geweckt. Gegenden wie Samarkand und Buchara, Swanetien im Großen Kaukasus oder die Lena in Jakutien kommen in unserer mitteleuropäischen Wahrnehmung der Welt wenig vor.

Vielen Dank für das Gespräch.

Über Michael Funke Funke ist promovierter Physiker, studierte auch Soziologie und Theologie. Seit 1994 ist er selbstständiger Organisationsberater in Leipzig.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: LexiTV | 08.06.2016 | 15:00 Uhr